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Schlagwort: Stadtteilgeschichte

Schillerhaus – Ein- und Ausblicke

von Wilma Rambow (Koordinatorin Schillerhaus und Abt. Bildung und Vermittlung, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)

Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig mit seinem charmanten Standort Schillerhaus setzt auch in diesem Jahr wieder verstärkt auf das Potential der attraktiven Außenflächen und öffnet die Gartentore für seine Gäste. Gerade unter den aktuellen Umständen ist der Schillerhaus-Garten von unschätzbarem Wert.

Die in den 1960er Jahren als Bauerngarten angelegte Freifläche mit Kräuter-Obst- und Gemüsebeeten, bunter Blumenpracht und Obstbaumbestand lädt zum Erholen, Verweilen und zum Naturgenuss inmitten des Großstadttrubels ein. Hier können die Gäste Kleingartenatmosphäre, die für jeden offen ist, erleben. Und, was viele noch nicht wissen: es ist ein Nasch- und Bürgergarten. Während der regulären Öffnungszeiten können Gäste kostenfrei in den Garten und das reichhaltige Obst- und Blumenangebot bestaunen und genießen. So können sie in den Sommermonaten – natürlich mit der nötigen Vorsicht – über die Buchsbaumhecken in die Beete steigen, um sich an unseren Beerensträuchern zu laben – so lange der Vorrat der Natur reicht! Trauen Sie sich bei ihrem nächsten Schiller-Garten – Besuch!

Den Vorgarten des Schillerhauses bereichert seit einigen Monaten ein bronzenes Tastmodell der Leipziger Bronzegießerei Noack. Zusammen mit einem Audioguide für Blinde und Sehbeeinträchtigte wurden so neue, attraktive und vor allem inklusive Zugänge zum Haus und seiner rund 300-jährigen Geschichte geschaffen.

Seit Juni werden Haus und Garten wieder von „Wiederholungstätern“ und „Neulingen“ frequentiert. Zum bewährten abendlichen Veranstaltungsprogramm mit Theater, Kabarett und musikalischen Darbietungen, u.a. vom Kulturbeutel e.V., TheaterPACK oder der MUSIKSCHULE Leipzig, gesellen sich neue Angebote. So konnte Die Kulturfabrik Leipzig e.V. – Werk II mit einem Kindertheaterprojekt gewonnen werden. Durch den Kontakt zur Naturschutzstation Parthenaue nahm das Schillerhaus dieses Jahr auch erstmalig am Tag der offenen Gartenpforte im Juni teil.

Der idyllische Bauerngarten lockt in diesem Sommer außerdem vom 20. 7. bis 12. 9. mit einer besonderen Präsentation der GEDOK Mitteldeutschland e.V.. Zwölf kleinplastische Keramik-Büsten der Bildhauerin Ute Hartwig-Schulz erinnern an bedeutende Frauen der Leipziger Kulturgeschichte. Mit diesem kleinen Garten-Highlight ist das Schillerhaus diesjährig zum ersten Mal auch Standort für das Gohliser Kunst- und Kulturfest „Nacht der Kunst“ am 4.9. Dabei wird nicht nur die Ausstellung zu sehen sein, auch für die Ohren können musikalische Genüsse angekündigt werden.

Die museumspädagogische Arbeit mit Schulklassen der Grundschule bis Oberstufe läuft in den Wochen vor den Sommerferien auch wieder auf vollen Touren. Es ist eine große Freude, kleine und große Besucher*innen wieder durch Haus und Garten zu führen. Und selbst die Jugend, der oft mangelnden Interesses an Museumsbesuchen und kulturhistorischen Themen nachgesagt wird, verlässt nach dem Besuch froh und sich bedankend das Schillerhaus. Die Lust auf gemeinsame Erlebnisse, Aktion und Interaktion ist nach der langen Durststrecke bei allen zu spüren!

Für die Sommerferien laden wir insbesondere kleinere Kinder zu Workshops im Garten ein. Dabei können die Teilnehmer*innen vom Fächerbau, über Schreiben wie zu Schillers Zeiten und bei Kräuterkunde-Angeboten kreativ sein, Wissen sammeln und Spaß haben.

Die Vorbereitungen für eine Neukonzeption der mittlerweile 30 Jahre alten Dauerausstellung im Schillerhaus sind derzeit in vollem Gange. Und so erwartet die Besucher*innen im Verlauf 2022 die neue Dauerausstellung „Götterfunken“, in der uns Friedrich Schiller als junger Mann in den Alltagsfacetten seiner Zeit begegnen wird und eine Nähe zu diesem großen Dichter und Denker auf eine zeitgemäße Weise hergestellt werden soll. Sie dürfen gespannt sein auf die erhellende Wirkung der „Götterfunken“.

Nicht zuletzt sei auf die langjährige Zusammenarbeit mit dem Bürgerverein Gohlis e.V. selbst hingewiesen. Stadtteilgeschichte und das Interesse an deren lebendigen, bürgernahen Vermittlung ist der große gemeinsame Nenner für die Zusammenarbeit beider Einrichtungen

So wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche gemeinsame Projekte realisiert und wird in 2021 eine Lesung und die Beteiligung des Schillerhauses beim Gohliser Advent in den Höfen und Gärten durch den Verein mit realisiert.

Die Museum-Team sieht der Zukunft des Schillerhauses mit Freude und Elan entgegen! Wir hoffen, sie beim Rundgang durchs Haus, beim Naschen an den Sträuchern, einem Konzert an lauem Sommerabend, an der Feuerschale im Advent oder einfach zu einem Plausch zwischen den Beeten begrüßen zu können!

 

 

Erste Namensideen für den Platz beim Sommerfest 2018

Erfolgreiche Benennung Fritz-Riemann-Platz in Gohlis

Bürgerverein Gohlis ruft zur Namensgebung weiterer unbenannter Plätze und Parks auf

In seiner Sitzung am 23. Juni hat der Stadtrat dem Antrag des Bürgervereins zugestimmt, den Platz zwischen der Virchowstraße, Wilhelm-Plesse-Straße und dem Viertelsweg zukünftig als Fritz-Riemann-Platz im Straßenverzeichnis zu führen. Parallel dazu hat der Bürgerverein einen Vorschlag zur Finanzierung einer Info-Tafel mit Hintergrundinformationen für die Auswahl des Namens für den Platz über das Stadtbezirksbudget beim Stadtbezirksbeirat Nord beantragt.

Diese Aktion reiht sich in die Bemühungen des Bürgervereins ein, unbenannte Plätze und Parks in Gohlis zu benennen. So konnte auch schon die Reaktivierung der Bezeichnung des Schillerhains im Straßenverzeichnis Leipzigs erreicht werden. Auch hier wird in der ersten Hälfte des kommenden Jahres im Zuge der Spielplatzsanierung eine Info-Tafel installiert. Gemeinsam mit seinen Netzwerkpartnern wird der Bürgerverein die inhaltliche Gestaltung dieser Tafel betreiben.

Gleichzeitig ruft der Verein Gohliserinnen und Gohliser auf, namenlose Plätze anzuzeigen und Namensvorschläge einzureichen. Diese können beim Bürgerverein Gohlis e. V., Lützowstraße 19 04157 Leipzig, per Telefon 0341 20018556 oder per E-Mail unter buergerverein@gohlis.info eingereicht werden.

Auszug aus der Begründung: Fritz-Riemann-Platz – warum dieser Name? Riemann entwarf die den Platz umgebenden Wohnhäuser aus den 30er-Jahren. Darüber hinaus wurden nach Riemanns Plänen in Gohlis, Connewitz, Eutritzsch und Leutzsch Wohnanlagen mit fast 2.000 Wohnungen gebaut. Als freier Architekt entwarf Riemann für verschiedene Bauherren über 500 weitere Wohnungen und zahlreiche Einfamilienhäuser, in Gohlis u. a. an der Ludwig-Beck-Straße sowie der Hoepnerstraße. Allein durch die Zahl der von ihm entworfenen Häuser und Wohnanlagen prägte Riemann also das Gesicht Leipzigs und des Stadtteils Gohlis.

Ein Gohliser Jubiläum… und wer dazu gehört TEIL 2 -Hansgeorg Herold

von Peter Niemann

Bereits in den vergangenen Ausgaben haben wir darauf hingewiesen, dass wir am 22. April 2022, ein sehr wichtiges Jubiläum begehen werden. Genau dann wird der Bürgerverein nämlich 30 Jahre alt! In der letzten Ausgabe des Heftes haben wir begonnen, Ihnen besondere Personen vorzustellen, die sich bereits seit sehr langer Zeit in unserem Verein engagieren und dabei Großes geleistet haben. In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen Hansgeorg Herold vorstellen. Ich habe mich Anfang Mai mit ihm in unserem Büro im Budde-Haus für das folgende Interview treffen können.

Herr Herold. Ich freue auf jeden Fall, dass wir uns heute treffen können, um ein kleines Interview zu führen. Beginnen wir mit einer kurzen Vorstellung.

Mein Name ist Hansgeorg Herold, Renter im ‚Unruhestand‘, fast 79 Jahre alt und seit 1992 Mitglied des Bürgervereins. Zunächst einmal wohnte ich seit meiner Geburt und für die ersten 28 Jahre meines Lebens in der Nähe von Gohlis: In der Nordvorstadt, dem heutigen Zentrum-Nord. 1970 zog ich dann in die Springerstraße, dann in den Schillerweg und schließlich in die Menckestraße.

Zeigt seinen alten Mitgliedsausweis aus den 90ern, der die Nummer 20 trägt. Dieser gibt ihn als Gründungsmitglied zu erkennen. Der damalige Schatzmeister Hajo Hannes quittierte dort noch händisch die Beitragszahlung.

Schön, dass Sie solche Dinge aufheben! Das sind ja letztendlich alles Zeugnisse unserer Vereinsgeschichte. Was haben Sie noch?

Ja es ist schade, dass es solche Mitgliedsausweise nicht mehr gibt. Ich sammle was mir wichtig erscheint. Einzelne Zeitungs- oder Zeitschriftenausschnitte zu Projekten, an denen ich mitgewirkt habe, hebe ich auf. Ansonsten sind die meisten Unterlagen der letzten Jahrzehnte im Archiv des Bürgervereins zu finden. Ich habe am Ende meiner Tätigkeit im Vorstand dafür gesorgt, dass sämtliche Dokumente in die richtigen Ordnern gelangen und alles verzeichnet und nachvollziehbar ist.

Was war bzw. ist eigentlich Ihre ganz persönliche Motivation, sich im Bürgerverein zu engagieren?

Wie ich schon in anderen oder ähnlichen Interviews in den Jahren immer wieder gesagt habe, gehört das ‚Einmischen‘, im positiven Sinne, zu den Grundsätzen meiner Lebensauffassung. Ich bin überzeugt davon, dass Veränderung im Stadtteil nur durch Mitwirkung von einem selbst zu erreichen ist. Ich wollte, nachdem ich Gohliser geworden war einfach hier im Stadtteil mitwirken. Als Gründungsmitglied des Bürgervereins, Mitglied in verschiedenen AGs sowie später auch als Schatzmeister (Diplom-Wirtschaftler) im Vorstand.

Wenn Sie nun auf die letzten Jahrzehnte der Vorstandsarbeit zurückblicken, welche Projekte liegen bzw. lagen Ihnen denn besonders am Herzen?

Es gibt eine Sache, die mir wichtig ist und die leider Gottes immer wieder in Vergessenheit gerät: Die Tatsache, dass über viele Jahre hinweg ABM-Kräfte bzw. später dann die AGH-Kräfte einen ganz wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dass der Bürgerverein heute existiert und einen so großen Wirkungsgrad hat. Nach der Wende gab es zahlreiche arbeitslose Akademiker, die beim Bürgerverein, zumindest zeitweilig ein herausforderndes und interessantes Betätigungsfeld finden konnten. Dadurch konnten teilweise bis zu drei Personen im Büro des Vereins anwesend sein. Der Vorstand konnte so bei seiner Arbeit enorm entlastet werden, bei bürokratischen Arbeiten wie dem Schreiben von Einladungen, von Protokollen, Korrespondenz mit Ämtern usw. Das Büro konnte täglich für die Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils geöffnet sein. Anliegen konnten aufgenommen und zeitnah beantwortet werden. Das alles wäre heute undenkbar.

Zeigt ein A4-Blatt mit einer langen Auflistung aller jemals in Bürgerverein beschäftigen ABM/ AGH-Kräfte. Frau Petra Kramer verließ als letzte Mitarbeiterin den Bürgerverein Ende 2014.

Wo waren Ihre persönlichen Anknüpfungspunkte für ein Engagement im Bürgerverein?

Ich habe damals die Arbeitsgruppe Verkehr und Umwelt geleitet, seit 1999 dann die AG Stadtteilentwicklung. Noch Ende der 90er Jahre war die Bausubstanz in Gohlis in einem bedauernswerten Zustand. Da galt es geplante Sanierungsmaßnahmen und Bauvorhaben im Stadtteil zu begleiten. Wir haben in dieser Zeit als Bürgerverein viel erreicht.

Projekte, die der Bürgerverein initiiert bzw. begleitet hat: Der Radweg Eutritzsch-Wahren, den Bau der Gohlis Arkaden, der Bebauung des Geländes der ehemaligen Stadtwäscherei in der Herloßsohnstraße, die Realisierung der Lichtsignalanlage am Schillerhain, der Mediencampus in der Menckestraße, der Bebauungsprozess des Areals der alten Mühle sowie die langjährige Begleitung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Gohlis-Süd (Brauerei Gohlis/Kaufland).

Sie sind zwar seit einigen Jahren nicht mehr im Vorstand des Vereins tätig, Sie haben haben aber auch nie aufgehört sich im Stadtteil ‚einzumischen‘. Wie können wir uns das konkret vorstellen.

Ich nehme zwar nach wie vor an den Treffen der heutigen AG Mobilität und Verkehr teil, allerdings habe ich mich etwas zurückgezogen und bringe mich nur noch bei den Themen ein, die mir wirklich am Herzen liegen. Dazu gehört vor allem der alte Gohliser Ortskern. Leider tut sich hier seit Jahren nicht wirklich etwas. Es gab zwar einige Initiativen und Veranstaltungen des Bürgervereins aber niemand stößt nach. Man muss da beharrlich sein und Antworten einfordern.
Darüber hinaus engagiere ich mit seit dessen Gründung im Förderverein Georg-Schumann-Straße. Dort organisiere ich jedes Jahr, anlässlich der Buchmesse ‚Leipzig liest an Leipzig längster Straße‘. Darüber hinaus bin ich als Vertreter des Bürgervereins im Magistralenrat und engagiere mich bei der ‚Denkwerkstatt Leipzig für das Gemeinwohl‘. Die Denkwerkstatt ist ein kreativer Ideen-Entwickler zur Förderung der Gemeinwohlarbeit in unserer freiheitlich-demokratischen Wirtschaftsordnung, wo jeder Bürger das Recht, aber auch die Pflicht hat, einen Beitrag zum Wohlstand zu leisten.

Was kann der Bürgerverein in Ihren Augen zukünftig noch besser machen?

Ich will mal so sagen: ein Augenmerk in früheren Jahren, was sicher auch mit dem Vorhandensein der ABM-Kräfte zusammenhängt, lag früher auf Veranstaltungen, Zusammenkünften und Ausflügen mit Seniorinnen und Senioren. Auch wenn viele von diesen nicht Mitglieder des Bürgervereins waren, haben sie doch sehr dabei geholfen, das Engagement des Vereins in die Breite zu tragen und darüber zu berichten. Wenn man heute SeniorInnen trifft, sagen die, im Bürgerverein ist nichts mehr los. Beim Gohlis Forum würde ich mir wünschen, dass mehr darüber berichtet würde, was im Verein selbst passiert. Mit Blick auf das Baugeschehen in Gohlis wäre es schön, wenn häufiger über die Planungen selbst berichtet würde und der Verein sich noch stärker in Planungsprozesse einbringen würde. Probleme im Stadtteil sollen proaktiv angesprochen werden. In Gremien wie ‚Leipzig weiter denken’ sollte der Verein stärker aufgestellt sein. Ansonsten bin ich mit der Arbeit des Vorstandes, des Vereins im großen und ganzen zufrieden. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass nun alles ehrenamtlich gemacht wird.

Herr Herold. Vielen Dank!

Wiedergefundene „Unsere Zwillinge vom Kalender 2021“

von Ursula Hein

Seit dem 1. Juni sehen Sie auf unserem Gohlis-Kalender zwei Mädchen mit ihren Puppenwagen. Mädchen, so wie man sie in den fünfziger Jahren in Ost und West finden konnte. Brav, lieb und schüchtern, zumindest die linke. Gleich gekleidet in dunklen Mäntelchen mit weißem Pelzkragen, Handschuhen, Strickstrümpfen und Schnürstiefelchen. Wir hielten sie für Zwillinge, jetzt wissen wir es aber genauer. Das rechte Mädchen, Annelie, ist im Juni 1947 geboren und das linke, Brigitte, erblickte im September 1948 genau in dem Haus das Licht der Welt, noch heute mit ihrem Mann lebt.
Ihre Tochter Christine hat die Mutti links auf dem Bild des bekannten Gohliser Fotografen Karl-Heinz Mai entdeckt, der mit den Eltern unserer beiden Mädchen gut bekannt war.

Letzte Woche trafen wir die jüngere Tochter, coronabedingt nur per Telefon, und konnten uns gut zwei Stunden mit ihr unterhalten.
Die Krochsiedlung hat der Bürgerverein ja ausführlich im Ortslexikon von 2017 vorgestellt, Geschichte und Architektur, Bürgerverein Gohlis und die Sanierung. Jetzt stellen wir eine Gohliserin mit ihren Erinnerungen vor.

Interview:
Wir fragen Brigitte Stock nach Kindheit und Jugend:
Bis zur Klasse 10 ging ich in die Schule, habe dann bei der Post eine Berufsausbildung mit Abitur gemacht. Danach bin ich in die Industrie gewechselt und habe im Metallgusswerk Leipzig in der Buchhaltung gearbeitet.
Zur Wende hatte der Betrieb etwa 3000 Beschäftigte und wurde dann in drei GmbH` s geteilt – Alugusss, Grauguss und Stahlguss. 2020 war dann endgültig Schluss – die Fa. Halbergguss wurde geschlossen

Wie sah Ihr Leben in der Krochsiedlung aus?
Der Viertelsweg war deutlich grüner als heute, die Krochsiedlung sehr gepflegt mit Hecken, ein Hausmeister sorgte für die Ordnung. Es gab viel Spielmöglichkeiten, wir spielten mit Kreisel, fuhren Roller zwischen den Häusern. Wenn ein Auto kam, was selten genug geschah, gingen wir eben auf die Seite. Spielplätze gab es beim Gartenverein, bis dort Ende der 50er Jahre Garagen gebaut wurden, aber in jeder Häuserzeile standen Bänke für die Mütter um die Sandkästen. Auch Trockenplätze für die Wäsche gab es dort, auch dort konnten wir spielen.
Im Winter gingen wir zum Schlittenfahren zum Heizhaus der Siedlung, dort war ein kleiner Berg, und im Sommer zum Schwimmen ins vorwiegend ins Wackerbad und als größere Kinder ins Stadion des Armeesportvereins. Übrigens gab es von der Schule Ferienspiele und später dort auch Schwimmlager in den Sommerferien aus immer Schwimmlager.
Ach ja, die Schule, die lag in der heutigen Hans-Oster-Straße, ehem. Jonny-Schehr-Straße, auf der Rückseite ist noch heute die Katholische Kirche. Eine Grundschule, die 59. – heute sind dort Luxuswohnungen. Unsere Tochter ging in den 70er Jahren in die Alfred-Frank-Schule. Der Enkel geht in den Kindergarten in Gohlis Süd und die Enkeltochter in die benachbarte Erich-Kästner-Schule.

Was gab es neben der Schule noch für ein Vereinsleben?
Da war die Kirchengemeinde, aber die Pioniere fand ich interessanter als die religiösen Gruppen. Die Pioniere haben viel unternommen. An den Kindertagen gab es für die Schule Sportfeste im Stadion des ASV. auch das Pionierhaus hat für die Kinder ein großes Angebot bereit. Später bei der FDJ war es dann doch langweiliger. In der Schulzeit der Tochter gab es auch gute Freizeitangebote im Pionierhaus.
Direkt an Vereine kann ich mich in meiner Schulzeit nicht erinnern, höchstens noch an die Kleingärten. Dort wurden dann auch Kinderfeste gefeiert. Manchmal gingen wir auch mit den Eltern dorthin und tranken dann unsere Brause.

Wie war es mit dem Einkaufen?
Bis zur Wende hatten wir hier viele Einkaufsmöglichkeiten. In den Pavillons gab es vielerlei Geschäfte, rechts von uns lag der Gemüseladen, dann ein Lädchen mit Kurzwaren, auch einen Fischladen, dann noch den Blumenladen, nach der anderen Seite hatten wir den schönen Milchladen, Man holte dort noch lange die Milch mit der Milchkanne. Man musste noch lange mit Lebensmittelmarken kaufen. Auch ein Frisör war dort, die Drogerie Schlesinger, ein Buchladen und eine Fleischerei. Zwischen den letzten beiden Blocks entstand dann ein großer Milchladen, wo man auch guten Käse kaufen konnte. geplant war auch eine Milchbar-ist aber nie realisiert worden. Der Milchladen wurde geschlossen. Stattdessen wurde durch Vietnamesen ein Gemüseladen aufgemacht Da habe ich immer sehr gerne eingekauft, leider schloss der auch wieder, ebenso der Fischladen. Vor allem, nachdem der Gohlispark `99 gebaut wurden, gab es so nach und nach keine kleinen Lädchen mehr.

Können Sie sich noch an Gaststätten erinnern?
Daran habe ich nicht so viele Erinnerungen. Unsere Eltern hatten nicht so viel Geld, um in Lokale zu gehen. Höchstens `mal in das Lokal des Kleingartenverein. In der Nähe war noch eine Gaststätte, da haben die Besitzer häufiger gewechselt, (Herr Stock konnte sich noch erinnern), einer hieß Koschke. Die Gaststätte als Raum gibt es noch – nach der „Sonnenblume“ wurde die Räumlichkeit von Afghanen übernommen. Heute gibt es allerdings in Richtung Gohlispark noch Geschäfte und kleine Restaurants.
Manchmal gingen wir mit Mutti in die Stadt, Das war dann ein richtiges kleines Fest. In der Hainstraße bekamen wir dann eine holländische Schnitte aus dem Café.

Welche Unterhaltungsmöglichkeiten bot Gohlis für seine Bewohner?
Ein Kino gab in der Coppistraße, eins in der Elsbethstraße, wo jetzt Aldi ist, sonst mussten wir bis Eutritzsch laufen oder in die Stadt. Anderes wie Konzerte gab es nur in der Stadt, oder es gab mal Veranstaltungen von der Schule her, aber da habe ich keine Erinnerungen daran.

Fazit:
Insgesamt bin ich aber zufrieden. Ich war immer arbeiten und habe sehr gerne gearbeitet, bis ich dann 2013 in Rente ging, dann allerdings war es mit der Gesundheit nicht mehr so gut. Ich musste an die Dialyse, zum Glück konnte ich Heimdialyse machen, aber 2019 bekam ich eine Nierentransplantation, und seit 2020 geht es mir wieder gut, so dass ich sogar wieder Sport machen kann, Leider jetzt nur eingeschränkt, aber da müssen wir halt auch noch durch, es wird schon wieder besser werde.

Vielen Dank für das Gespräch, hierdurch wird die Kroch-Siedlung mit echtem Leben erfüllt.

 

Ausstellungen und Veranstaltungen in der Michaeliskirche am Nordplatz

von Elisabeth Guhr

Die Michaeliskirche ist bis September täglich von 15.00 – 18.00 Uhr geöffnet.

Ab 9. Juni findet mittwochs, 12.00 Uhr, die kleine Orgelmusik mit Studierenden der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig an der Sauerorgel von 1904 statt.

Die Ausstellungen in der Michaeliskirche sind dem Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gewidmet:

Noch bis zum 13. Juni ist die Ausstellung von Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum Berlin „Verschwundene Welt – Aufnahmen, Gedichte und Texte zur verschwundenen Welt des Ostjudentums“ zu sehen.
Die berührenden Aufnahmen von Roman Vishniac aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen ein unverfälschtes Bild der damaligen jüdischen Welt, die durch Krieg und Terror der Nazis untergegangen ist.

Vom 14. Juni bis 30. Juli erinnert die Ausstellung von Elisabeth Guhr
„Ich hatte einst ein schönes Vaterland“ noch einmal an jüdisches Leben in Gohlis und der äußeren Nordvorstadt, das vor hundert Jahren blühte und wenig später ein grausames Ende fand.

Veranstaltungen im Rahmen der Jüdischen Woche, die vom 27 Juni bis 4. Juli stattfindet:
1. Juli, 17.00 Uhr, Beginn vor der Michaeliskirche, Thematische Führung:
„Von Häusern und Menschen – jüdisches Leben in der äußeren Nordvorstadt“ mit Annekatrin Merrem und Elisabeth Guhr
(hierzu das Foto: Nordplatz 6, Geburtshaus Fritz Grübel. Foto: E.Guhr)

3. Juli 19.30 Uhr, Michaeliskirche: Szenische Lesung mit Prof. Friedhelm Eberle
Der Arzt von Wien, Monodrama von Franz Werfel, sowie Texte von Joseph Roth u.a., musikalische Begleitung Ketevan Warmuth
Franz Werfel schrieb sein Drama 1938 unter dem Eindruck des Freitods des bekannten Berliner jüdischen Arztes Ismar Boas. Der Begründer der Gastroenterologie, der in Wien im Exil lebte, setzte seinem Leben beim Einmarsch der Wehrmacht in Wien ein Ende.

4. Juli 14.00 Uhr, Beginn vor der Friedenskirche: Thematische Führung
„Von Häusern und Menschen – jüdisches Leben in Gohlis“ mit Annekatrin Merrem und Elisabeth Guhr

Im Mai gedachten wir mehrerer 100ster Geburtstage. Neben dem jüdischen Dichter Erich Fried, der als Gymnasiast vor den Deutschen nach England floh ist auch die Widerstandskämpferin Sophie Scholl im Mai geboren. Sie starb mit 21 Jahren unter dem Schafott. Nur einen Monat früher als diese beiden ist mein Vater geboren. Er war einer von den vielen verblendeten jungen deutschen Soldaten, die glorreich in den Krieg zogen und als Krüppel wieder nach Hause kamen. Mein Vater studierte nach dem Krieg Theologie. Bis zu seinem Tod hat ihn das Schicksal der Juden, des Gottesvolkes im Alten Testament, nicht losgelassen.

So habe auch ich mich mit diesem Thema immer wieder beschäftigt. Ich bin seit dreißig Jahren Gohliserin. Seitdem ich angefangen habe, nach dem Schicksal der Juden, die in meinem heutigen Wohnumfeld lebten, zu fragen, lässt mich dieses Thema nicht mehr los. Ich musste feststellen, dass kaum jemand von ihrer Existenz wusste. So gründlich hat die Verdrängung der Schuld nach Kriegsende funktioniert. Mit meinen Forschungen versuche ich, den vertriebenen, geflüchteten und ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die vor hundert Jahren Tür an Tür mit ihren nichtjüdischen Nachbarn friedlich lebten, wieder ein Gesicht zu geben.

Ich bin froh, dass ich einen Teil meiner Forschungsergebnisse in einer Ausstellung für die Michaeliskirche zeigen konnte. Die Stadtteilführungen, die ich seit ein paar Jahren zusammen mit der Denkmalpflegerin Annekatrin Merrem mache, sind für uns beide eine Bereicherung und wir freuen uns, unser Wissen damit weiter zu geben.

Eindrucksvolles Gedenken trotz ausgefallener Feier

von Dietmar Schulze

„Freude schöner Götterfunken…“. So hätte man ausrufen können bei diesem herrlichen Wetter am Sonntag den 9. Mai, dem 216. Todestag von Friedrich Schiller. Doch leider wurde aus der gemeinsam mit dem Bürgerverein Gohlis geplanten Gedenkveranstaltung an der Schillerlinde im Schillerhain nichts. Wollte doch der Leipziger Schillerverein zu diesem Anlass des Gedenkens an den großen Dichter auch zugleich die Initiative des Gohliser Bürgervereins unterstützen, den Schillerhain als solchen wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Gerade an der genau zum 100.Todestag Schillers gepflanzten Schillerlinde wäre das ein vortrefflicher Ort gewesen. Doch trotz der durch das bestehende Versammlungsverbot bedingten Absage fanden nicht wenige Schillerfreunde und Gohliser den Weg dorthin und viele Blumen dokumentierten doch eindeutig, dass wir mit der geplanten Veranstaltung auf große Resonanz gestoßen wären. So hoffen wir nun im nächsten Jahr auf eine Möglichkeit, das Gedenken an Friedrich Schiller an dieser Stelle durchführen zu können. Ganz im Sinne von Schillers wohl berühmtesten Liedes welches hier ganz in der Nähe entstand „Auch die Toten sollen leben! Brüder trinkt und stimmet ein, allen Sündern sei vergeben und die Hölle nicht mehr sein.“

Geschichte in Geschichten (Teil 7) – Schüler fragen Zeitzeugen: Gisela Kallenbach

von Cosima Czekalla, Ida Heepe und Jonah Herzig

Gisela Kallenbach, geboren 1944 in Soldin/Neumark, ist aufgewachsen bei der tiefgläubigen Großmutter. Wegen verweigerter Jugendweihe wurde ihr das Abitur verwehrt. Nach der Lehre als Chemie-Laborantin war sie im Auftrag des VEB Mineralölwerk Lützkendorf als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften in Leipzig tätig. Das Fernstudium der Technologie der Chemie beendete sie als Diplomingenieurin, 1967 machte sie den Abschluss als Fachübersetzerin Englisch. 1969 bis 1990 war Gisela Kallenbach Laborleiterin und Themenleiterin (mit zwischenzeitlicher Unterbrechung wegen Geburt und Erziehung der drei Kinder). Seit 1982 Mitglied einer kirchlichen Arbeitsgruppe Umweltschutz gehörte sie ab 1984 zu den Mitgestaltern der Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche. 1987-1989 beteiligt am Konziliaren Prozess der Kirchen der DDR. 1990 bis 2000 als Referentin im Dezernat Umweltschutz der Stadt Leipzig tätig, war sie von 2000 bis 2003 Internationale Bürgermeisterin der UN-Mission im Kosovo. 2004-2009 Europaabgeordnete in der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz und 2009-14 Abgeordnete im Sächsischen Landtag.

Warum haben Sie die Jugendweihe verweigert, obwohl Ihnen die Folgen – kein Abitur – klar waren?

Meine Oma Ida, eine tiefgläubige Frau, hat mich nach dem Tod meiner Mutter aufgezogen, ich bin mit Freuden zur Christenlehre gegangen, die Jugendweihe war für mich kein Thema. Die unbedingte Treue zum Staat und das Bekenntnis zur atheistischen Weltanschauung kam für mich nicht in Frage. – Meine Schwester durfte übrigens auch ohne Jugendweihe auf die Oberschule gehen. Nach der 10. Klasse habe ich dann eine Lehre als Chemielaborantin in Naumburg gemacht.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Schule in der DDR?

Der ganze Unterricht war natürlich ideologisch besetzt. Man muss ja eine Botschaft nicht nur in Staatsbürgerkundeunterricht oder Ethik, sondern in allen Fächern verbreiten. Die Folge war, dass die allermeisten Eltern und ihre Kinder mit zwei Zungen gesprochen haben. Das heißt, sie haben zu Hause was Anderes erzählt als in der Schule.

Ab wann kam bei Ihnen dieser Wunsch zu Veränderungen am System der DDR?

Es gab immer mal so ein paar Grenzen: Wir durften ja nicht reisen. Ich hatte eine Großmutter in Westdeutschland. Ich durfte also auch die Großmutter nicht besuchen, nicht mal zur Beerdigung. Der Widerstand, der Wille zu Veränderungen, kam aber erst spät, eigentlich mit der Einschulung meines ältesten Sohnes, weil mir da so sehr bewusst wurde, wie der Staat Einfluss auf die Erziehung der Kinder nimmt, wir aber meinten, dass wir als Eltern entscheiden wollen, wie unsere Kinder erzogen werden.

Wie kamen Sie zum Umweltschutz?

In der Theorie war in der DDR alles großartig. Wir waren eine der höchstentwickelten Industrienationen, wir waren führend, wo immer auch nur denkbar – aber nur in der Theorie, in der Praxis wusste jeder zu erzählen: Mangel da, Mangel dort. Der ganze Südraum Leipzigs war durch den Braunkohletagebau total zerstört und ich dachte, Du hast drei Kinder, es geht um deren Zukunft, wenn wir die Erde so zerstören.

Auch als Christin habe ich mich verpflichtet gefühlt, die Schöpfung zu bewahren, sie nicht zu zerstören. Diese maßlose Zerstörung unserer Umwelt wollte ich einfach nicht hinnehmen. Ich habe mir dann gesagt: So, du hast die Leute, die das tun, aber gewählt. Du regst dich auf, hast sie gewählt, also hast du ja eigentlich gar keine Legitimation, Kritik üben zu können.“

Wie kam es dazu, dass Sie an den friedlichen Demonstrationen teilnahmen?

1981 sind wir nach Eutritzsch gezogen, Pfarrer Aribert Rothe aus der Michaeliskirche hat mich auf die Arbeitsgruppe Umweltschutz hingewiesen, dort trat ich zunächst als Referentin auf – inzwischen war ich ja Chemieingenieurin in der Forschung der Wasserwirtschaft – und seit 1982 dann als Mitglied. Wir waren natürlich nur ein loses Bündnis, haben in Kirchgemeinden informiert und Aktionen gestartet. So kamen wir dann mit den Gerechtigkeits- und Friedensgruppen 1989 zur Friedlichen Revolution.

Also sind Sie ja praktisch mit einem anderen Ziel angetreten?

Mein Hauptziel zu DDR-Zeiten war: Einhaltung der Gesetze. Die DDR hatte eine erstaunlich gute Umweltgesetzgebung, der Schutz von Natur war in der Verfassung festgeschrieben, aber die Gesetze wurden nicht eingehalten. Es gab Tausende von Ausnahmegenehmigungen.
Aber dann kam alles anders und das viel rascher als gedacht.

Was ist Ihre stärkste Erinnerung an die Friedliche Revolution?

Wir hatten eigentlich mit unserer Umweltgruppe im September 1989 eine Veranstaltungsreihe in der Reformierten Kirche ab dem 4. Oktober geplant. Und dann kam der 9. Oktober, den ich auch nie vergessen werde in meinem Leben. Alle hatten Angst, jetzt passiert was, jetzt greift der Staat ein. Es gab tausend Gerüchte über Panzer am Stadtrand, Krankenhäuser mit zusätzliche Blutkonserven. Selbst die Universität, die Schulen haben gewarnt: „Geht ja nicht ins Stadtzentrum!“ Die Geschäfte machten um fünf zu, um sechs Uhr war immer das Friedensgebet, am 9. Oktober gleichzeitig in vier Kirchen im Stadtzentrum. Die Nikolaikirche war ab Mittag um zwei schon voll besetzt.

Wir sind jetzt drei Gruppen gewesen und haben uns Gedanken gemacht, was wir gegen diese drohende Gefahr der Gewalt tun könnten und haben einen „Appell für Gewaltlosigkeit“ formuliert. Am 9. Oktober habe ich diesen Appell in der Stadt verteilt und an Wände geklebt – dafür konnte man damals in den Knast gehen. Entscheidend aber war, dass am 9. Oktober 70.000 bis 100.000 Menschen auf der Straße waren, und die haben uns davor gerettet, als Aktivistinnen verhaftet zu werden. Das konnte man nicht mehr machen.
Es war ein großartiges Erlebnis, dass an diesem 9. Oktober, dann alles friedlich abgegangen war, dass eben kein Schuss gefallen ist.

Am 16. Oktober, jetzt komme ich zu dem Punkt, dass wir eben Veranstaltungen in der Reformierten Kirche abhielten und da kann ich mich noch erinnern: An diesem Tag waren dann plötzlich wieder so viele Menschen auf der Straße. Und die kamen dann schon mit ersten Transparenten an. Dass wir das erleben, das war so unfassbar, so unvorstellbar. Jetzt passiert hier was, jetzt kommen hier Veränderungen! Da war diese Euphorie und nachher muss ich sagen, man konnte es immer wieder gar nicht fassen. Das Wort des Herbstes war „Wahnsinn!“, es hieß immer wieder „Wahnsinn!“.

Wie haben Sie den Tag des Mauerfalls erlebt?

Der 9. November, das war nochmal unfassbar. Für mich ein Gedenken an die Reichspogromnacht, wir sind von einem Gottesdienst in der Nikolaikirche dann mit Kerzen zu dem Gedenkstein gelaufen und als ich dann abends wieder zu Hause war, da haben die Nachbarn erzählt: „Jetzt dürfen die direkt in den Westen fahren“. Keiner hat es eigentlich richtig kapiert, die Öffnung der Mauer und der Grenzen, das war sowas von abwegig und unvorstellbar. „Was, da stehen die auf der Mauer?“ Sonst wurde geschossen, wenn sich jemand der Mauer näherte und versuchte, in den Westen zu gelangen, die sind kaltblütig erschossen worden. Das waren alles Erlebnisse, die sind nicht jeder Generation vergönnt.

Wie sehen Sie den Vereinigungsprozess heute?

Helmut Kohl hat mit seiner massiven Art den Wiedervereinigungsprozess durchgezogen, im passenden Zeitfenster. Ich war mir mit vielen Freunden eigentlich einig, dass wir es schaffen, schrittweise über einen gemeinsamen Beitritt zur Europäischen Union dann quasi ein geeintes Deutschland in einem geeinten Europa zu werden. Aber das war mit der Bevölkerung nicht zu machen, und das war spätestens am 18. März 1990 klar, als das Bündnis aus CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch [Bauernpartei stimmt nicht! – W. L.] fast die absolute Mehrheit gewann. Ich hätte mir einen längeren Prozess gewünscht.

Rückblickend, was hat die Wende aus Ihrer Sicht verändert?

Für mich persönlich begann mein zweites Leben. Ich habe ja noch mal alle Chancen dieser Welt bekommen. Ich konnte die Hälfte der Woche für das Bürgerkomitee arbeiten und nur noch zwei Tage im Institut. Und dann hieß es: „Jetzt können wir Verantwortung übernehmen.“ Dann hatten wir am 7. Mai 1990 wieder Kommunalwahlen. Ich bin angetreten, wurde gewählt, gehörte damit zu den Entscheidern. Als persönliche Referentin des Dezernenten für Umweltschutz und Sport begann ich im Leipziger Rathaus zu arbeiten und konnte nun plötzlich alles Mögliche mitbeeinflussen. Wir kannten natürlich westdeutsches Verwaltungshandeln überhaupt nicht, das war „learning by doing“. Wir hatten viele Begleiter dabei, aus unseren Partnerstädten Hannover und Frankfurt. Das kann ich nicht anders sagen, das war toll, wie die uns begleitet haben

Wie sehen Sie alles heute?

Ich bin auch heute überzeugt, dass viele Dinge gesellschaftlich verändert werden müssen: Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit, es gibt die Klima-Krise und vieles mehr. Ich bin sehr froh, all die Jahre schon in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu leben, aber vieles ist noch nicht eingelöst: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung von Natur und Umwelt, globale Gerechtigkeit. Und deswegen finde ich, gibt es genügend Raum, noch weiter für bestimmte Ziele, bestimmte Ideale zu streiten, zu kämpfen, sich zu engagieren, und das werde ich sicherlich auch weiterhin tun.

Zum Ende hin würden wir Sie gerne fragen, was Sie in der DDR am meisten geprägt hat?

Die Ideologisierung hat bei den meisten Menschen keinen Widerstand erregt, jedoch bei mir schon. Wir waren so eine Art Notgemeinschaft. Mit Not meine ich jetzt nicht, dass wir etwa gehungert hätten oder dass wir in Sack und Asche gegangen wären. Wir haben auch in der DDR natürlich gelebt, geliebt, gelacht, Freunde gehabt, Geburtstage und Familienfeiern gefeiert und alles auch, was man so im Alltag und im Leben braucht, Konzerte besucht, Theater besucht und Literatur versucht sich zu besorgen und, und, und.

Wir hatten damals eine Mangelwirtschaft, der Tauschhandel blühte. Man hat sich gegenseitig sehr viel geholfen. Das gebe es heute viel weniger, höre ich immer wieder. Ich kann das persönlich nicht bestätigen, aber viele klagen, die Ellenbogengesellschaft habe ein mehr egoistisches Herangehen hervorgebracht. Und sie hätten auch Freunde verloren. Es könnte durchaus sein, dass da manches vielleicht heute nicht mehr so ausgeprägt ist, wie es damals zu DDR-Zeiten war.

[Gekürzt und redaktionell bearbeitet Ursula Hein]

Foto: Andreas Reichelt

Eine erfolgreiche Sammelaktion für Schule und Stadtteil

Eine erfolgreiche Sammelaktion für Schule und Stadtteil

Am 20.05.2021 konnten der Vorsitzende Tino Bucksch und der Projektverantwortliche Peter Niemann im Namen des Bürgerverein Gohlis e.V. der Schulleitung der Erich Kästner-Schule in Gohlis einen beachtlichen Spendencheck überreichen.

Zusammengekommen waren im Zuge des gemeinsamen 1. Gohliser Spendenlaufs, welchen der Bürgerverein im Oktober 2020 gemeinsam mit der Grundschule durchführte, insgesamt 18.224€. Die Hälfte davon wird nun für den Bau von zusätzlichen Außenspielgeräten auf dem Schul- und Horthof der Kästner-Schule verwendet. Die andere Hälfte wird genutzt, um die Restaurierung der historischen Handschwengelpumpen in Gohlis voranzutreiben. Als Auftakt fiel die Wahl auf die stark beschädigte Pumpe vom Typ ‚Vogelkäfig‘, welche noch bis Frühjahr 2020 unweit der Grundschule in der Fritz-Seger-Straße zu sehen war. Dazu übergaben Bucksch und Niemann im Namen des Bürgervereins der Schule eine vierteilige Plakatausstellung zu den Handschwengelpumpen in Gohlis. Diese informiert über die Standorte der noch existierenden oder demontierten Pumpen sowie über deren Geschichte und Funktionsweise. Zusammengestellt wurden diese Informationen von der AG Stadtteilgeschichte des Bürgervereins. Aufgrund der Corona bedingten Auflagen, konnte keine offizielle Eröffnung der Ausstellung erfolgen. Die Ausstellung ist jedoch öffentlich zugänglich und kann noch über die nächsten Monate hinweg an den Außenfenstern im Eingangsbereich der Grundschule angeschaut werden.

Mit der Ausstellung wollen wir auch auf die laufende Spendensammlung aufmerksam machen. Es werden nämlich noch finanzielle Mittel benötigt, um die Restaurierung und Installation der Pumpe zu finanzieren. Falls Sie das Projekt mit einer Spende unterstützen möchten, treten Sie gerne und jederzeit mit uns in Kontakt. Es zählt wirklich jeder gespendete Euro!

Weitere Informationen über das Projekt können unter spenden@gohlis.info in Erfahrung gebracht werden.

Foto: Andreas Reichelt
Abbildung: v.l.n.r. Tino Bucksch (Vorsitzender Bürgerverein Gohlis e.V.), Peter Niemann (Projektverantwortlicher), Carola Wirth (Schulleiterin), Eyke Hiersemann (stellv. Schulleiter)

Ein Gohliser Jubiläum… und wer dazu gehört TEIL 1 – Gerd Klenk

von Peter Niemann 

Bereits in der vergangenen Ausgabe haben wir darauf hingewiesen, dass uns am 22. April 2022, also ziemlich genau in einem Jahr, ein sehr wichtiges Jubiläum ins Haus steht. Genau dann wird der Bürgerverein nämlich 30 Jahre alt! Weil so viel Geschichte aber schwer verdaulich ist und kaum in einem einzigen Heft Platz finden könnte, fangen wir einfach schon in diesem Jahr an, Sie mit Informationen aus der Historie des Vereins zu versorgen. Schwerpunktmäßig soll es dabei zunächst einmal um ein paar besondere Menschen gehen, die sich nicht nur bereits seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten im Verein tummeln, sondern in all dieser Zeit auch noch dazu beitragen konnten, dass unser Stadtteil so lebenswert ist… wie er eben ist.

In dieser Ausgabe des Gohlis Forums beginnen wir mit einem der ersten Vereinsmitglieder. Sein Name ist Gerd Klenk und ich habe mich Ende März zu einem kurzen Interview mir ihm treffen können.

Hey Gerd. Ich freue mich natürlich sehr, dass es so kurzfristig mit einem Interview geklappt hat. Die Umstände sind ja Dank Corona nicht ganz so günstig für die zwischenmenschliche Kommunikation. Vielleicht fangen wir mit einer kurzen Vorstellung an.

Ich bin der Gerd, 72 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Söhne. Ich wohne seit 1980 in Gohlis. Zuerst in der Breitenfelder Straße, dann in der Lindenthaler und seit 1996 im Schillerweg in Gohlis Süd. Ich habe in verschiedenen Berufen gearbeitet. Zum einem war ich als Elektriker, als Ingenieur in der Projektierung und als Abteilungsleiter in einer Färberei tätig. Später dann Projektleiter bei Beschäftigungsprojekten und am Ende Migrations- und sozialer Schuldnerberater bei der Caritas. Jetzt bin ich aber im Ruhestand. (lacht)

Eine kleine Familie und reichlich Arbeit also. Trotzdem warst Du ja in Deiner Freizeit recht emsig und hast Dich engagiert. Wann ging das los? Warum?

Das ging eigentlich schon früh los vor der Friedlichen Revolution. War da aktives Mitglied des Friedenskreises Gohlis, weil ich das Geschehen in der DDR so nicht akzeptieren konnte. Dann [war ich] auch im Neuen Forum. Das mit dem Engagement wurde dann viel über die Jahre, wechselte aber auch immer mal. Die Tätigkeit im Bürgerverein war dabei sozusagen auch der Ausgangspunkt, sich für die Menschen im Stadtteil zu engagieren, Gohlis mitzugestalten und hier zunächst einmal Bürgerbeteiligung einzufordern und zu leben. Friedliches Zusammenleben aller Menschen, die hier le-ben ist mir schon immer sehr wichtig gewesen. Ich habe später dann den Flüchtlingsrat Leipzig und auch das Netzwerk Integration-Migranten in Leipzig mit gegründet, das man vielleicht durch die Leipziger Integrationsmessen kennt, welche auch durch die Stadt Leipzig (Referat für Migration und Integration) gefördert werden.

Der Bürgerverein war also ein wichtiger Ausgangspunkt für Dein Bemühen um den Stadtteil. Wann ging das los? Wie muss man sich das vorstellen?

Was die Gründung des Bürgervereins anbelangt war Initiatorin die Frau Dr. Heide Steer, seinerzeit zuständig für Stadtteilkultur im Kulturamt Leipzig. Frau Steer hatte mitbekommen, dass 1992 die Ersterwähnung von Gohlis sich zum 675 mal jährte und suchte nun nach Wegen, ein passendes Jubiläumsfest auf die Beine zu stellen. Die Idee war es unter anderem, dafür einen Verein als Träger zu gründen. Es gab dann ein Gründungstreffen im November 1991 im Gemeindehaus der Friedenskirche. Da bin ich mit Irmgard Gruner, die ja auch heute noch aktives Mitglied ist und die ich vom Neuen Forum her kannte, hin. Wir waren ja beide sehr interessiert an dem Potential von Bürgerbewegungen, von Möglichkeiten der Mitwirkung für uns Bürger in der schnelllebigen Nachwendezeit. Die Gründungsveranstaltung zum Verein fand dann im April 1992 in der Aula der Geschwister-Scholl-Grundschule statt. Die war gut besucht und so haben wir den Bürgerverein Gohlis mit immerhin 39 Mitgliedern gegründet. Pfarrer Gerhard Passold war der erste Vorsitzende. Ich selber war 1992 bis 1998 im Vorstand und dann von 1998 bis 2014 Vorsitzender.

Das war dann sicher ein tolles Jubiläumsfest?

Das auf jeden Fall. Es gab ja damals von der Stadt viel Geld. Manch einer kennt vielleicht das Video vom Jubiläumsfest. Vielleicht sollten wir das mal veröffentlichen. Wir haben die gesamte Menckestraße für das Straßenfest abgesperrt. Höhepunkt für mich war der Auftritt von Peter „Cäsar“ Gläser und seiner Band auf der MDR-Bühne vor dem Gohliser Schlösschen.

Und dann ging es ja offenbar weiter mit dem Verein?

Ja. Eigentlich kann man sagen, es ging bereits auf dem Jubiläumsfest weiter mit dem Verein. Da haben wir ja schon angefangen als Bürgerverein Unterschriften für den Erhalt des Budde-Hauses zu sammeln. Wir wollten verhindern, dass die Stadt das verkauft und dort stattdessen ein soziokulturelles Zentrum etablieren.

Das hat ja auch geklappt, wenn auch mit ein paar Jahrzehnten Problemen.

Hör bloß auf. Die Diskussion mit dem Verkauf gab es ja zwischendurch immer wieder. Wir haben anfänglich den Trägerverein ‚Förderverein Heinrich Budde-Haus e.V.‘‚ mit gegründet, um so den Er-halt des Hauses als soziokulturelles Zentrum zu sichern. Durch eine Kooperation mit dem Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung Leipzig konnte das Gebäude mit in das Gebiet der verstärkten Sanierung einbezogen werden. Das Nötigste konnte so gemacht werden und vor allem das Garten-haus wieder aufgebaut und der Garten dahinter gestaltet werden. Zwischendurch gab es auch Probleme mit dem Förderverein und den Mietern, die zum Ende der Trägerschaft führten. Ich bin froh, dass nun ein Verkauf schon seit ein paar Jahren ein Verkauf nicht mehr ansteht und sich mit dem FAIRbund nun ein verlässlicher Träger für das Budde-Haus gefunden hat. Auch die Sanierung wird ja weiter vorangetrieben und ist meines Wissens nach im nächsten Haushalt der Stadt Leipzig ein-geplant. An all diesen, ich sage mal jüngsten Entwicklungen hat der Bürgerverein ja auch seinen Anteil.

Was hat der Bürgerverein in den ersten Jahren noch so gemacht?

Eine der ersten Aktionen und wie ich finde auch wichtigsten Aktionen von uns war es auch, alle denkmalgeschützten Häuser in Gohlis zu erfassen und die Mieter/ Vermieter entsprechend zu informieren. Wir wollten ja, dass Gohlis so erhalten bleibt. Wir haben letztendlich auch dafür gesorgt, dass das Schlösschen und das Schillerhaus erhalten bleiben.

Ein großer Erfolg der ersten Jahre war ansonsten die Realisierung der Ampelanlage an der Stallbaumstraße. Besonders interessiert hat mich persönlich aber schon immer die – nicht nur scheinbare – Bürgerbeteiligung. Am Anfang fühlten wir uns nicht immer ernst genommen. Das Handeln der Verwaltung war nicht immer transparent genug. Es gab auch zeitweise den Sprecherrat der Bürgervereine, der die Lokale Demokratiebilanz förderte, dann aber feststellen musste, das es keine konkrete Umsetzung seitens der Stadt gab, zumindest in dieser Zeit nicht. Wir wurden entweder zu spät in den Planungsstand von wichtigen Bauprojekten eingebunden oder es gab dann keine Berücksichtigung der Einwände. Ich finde es auch schade, dass die Bürgerbeteiligung oft nur an konkrete Projekte gebunden war. Allerdings muss man auch sagen, dass sich da in den letzten Jahren was getan hat. Es gibt ja auch verbindliche Regelungen, die ab einem bestimmten Projektumfang Bürgerbeteiligung vorschreiben. Für Bürgervereine gibt es auch eine Förderrichtlinie, die diese finanziell unterstützt.

Wie siehst Du den Bürgerverein heute, mit ein wenig mehr Abstand und als ‚normales‘ Mitglied? Kannst Du dich mit dem identifizieren was wir ‚jüngeren’ Vereinsmitglieder so verzapfen?

Meiner Meinung nach genießt der Bürgerverein noch immer ein hohes Ansehen. Und es engagieren sich ja noch immer so viele unterschiedliche Charaktere hier. Es findet sich in der Arbeit des Vereins weiterhin eine soziale Komponente, die Seniorenarbeit spielt immer noch eine Rolle. Es erfolgen Reaktionen auf wichtige Bauvorhaben etwa. Die Vernetzung mit den Akteuren im Stadtteil und dem Stadtbezirksbeirat ist nach wie vor sehr gut. Im Rahmen seiner Möglichkeiten ist der Verein sehr aktiv, heute macht ihr ja alles ehrenamtlich und habt keine ABM-Kräfte als Mitarbeiter mehr. Es ist in jedem Fall auch gut, dass es die Initiativen wie das Weltoffene Gohlis noch gibt und ihr das Nordcafé weiterhin unterstützt. Was ich besonders wichtig finde, ist, dass der Bürgerverein aufgeklärt ist und schon immer Stellung bezieht und sich zu wichtigen Themen im Stadtteil eine Meinung bildet. Wir sehen natürlich keine Probleme beim Bau der Moschee und haben auch eine klare ablehnende Position zu Corona-Leugnern und den sog. Querdenkern und sagen bzw. schreiben das auch.

Ja. So ist das! Allerdings interessiert mich nun noch was der Bürgerverein denn in Zukunft besser machen kann? Schließlich wissen wir ja beide, dass es immer auch ein wenig Luft nach oben gibt…

Mmh. Manchmal sollte sich der Bürgerverein vielleicht noch mehr öffnen. Das ist gerade schwierig wegen Corona, aber es braucht mehr Gelegenheiten für Bürgerinnen und Bürger, um Anliegen vorzutragen. Sprechstunden reichen da vielleicht nicht immer. Regelmäßige Bürgerforen und ein Bürgerstammtisch wären vielleicht keine schlechte Idee. So kann man bestimmt noch mehr Menschen bewegen, sich vor Ort einzubringen und Gohlis letztendlich mitzugestalten.

Gerd, vielen Dank!

Schillerverein lädt zur Feier nach Gohlis-Süd

+++ Anmerkung +++ die geplante Veranstaltung fällt leider coronabedingt aus

von Dietmar Schulze

Jedes Jahr zu Schillers Todestag am 9. Mai ehrt der Schillerverein Leipzig den Dichter mit einer kleinen Gedenkfeier. Wir versammeln uns dazu am Schillerdenkmal oder anderen Orten, die für Schillers Aufenthalt in Leipzig relevant sind. Wir wurden von Frau Hein und Herrn Leyn, die beide auch Mitglieder im Schillerverein sind, auf das Engagement des Bürgerverein Gohlis aufmerksam gemacht, den Schillerhain wieder als solchen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Gerne wollen wir das Anliegen unterstützen und werden daher unser traditionelles Gedenken dieses Jahr im Schillerhain durchzuführen.

An der Schillerlinde, welche 2005 zum 100. Todestag Schillers von Schülern des Schillergymnasiums gepflanzt wurde, wollen wir auch an die historische Bedeutung des Ortes erinnern. Voraussichtlich wird sich auch die Schillerschule mit einem kleinen kulturellen Beitrag an der Zusammenkunft um 15 Uhr beteiligen. Wir möchten Sie dazu herzlich einladen. Wir freuen uns auf viele Gohliser, welche wir vielleicht für das Anliegen zur Aufwertung des Platzes interessieren können.

Dietmar Schulze ist 2. Vorsitzender des Schillervereins Leipzig e.V.

Geschichte in Geschichten (Teil 5) – Schüler fragen Zeitzeugen: Matthias und Uta Schreiber

von Gabriela Lewandowski, Lina Edel und Philipp Harazin

Matthias Schreiber (Jahrgang 1958) ist seit 1981 Cellist im Gewandhausorchester, sah auf Tourneen mehr von der Welt als die meisten DDR-Bürger. Im Herbst 1989 beteiligte er sich, abwechselnd mit seiner Frau, an den Leipziger Montagsdemos. Weil er als Schüler nicht in der Jugendorganisation FDJ war, bekam er keine Zulassung zum Abitur. Dennoch konnte er in Leipzig Musik studieren. Seine Ehefrau Uta Schreiber (Jahrgang 1963), war als Kind Mitglied der Jungen Pioniere und später auch der FDJ. Zugleich engagierte sie sich in der Jungen Gemeinde. Nach dem Abitur studierte sie in Weimar Musik und ist gegenwärtig als freiberufliche Musikerin tätig.

Sie sind mit dem Gewandhausorchester auch im Westen aufgetreten. Gab es ein Konzert, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Herr Schreiber:
In meiner ersten Spielzeit vom August 1981 bis zum Juli 1982 war ich mit der Leipziger Oper zum Gastspiel in Madrid. Üblicherweise durften die Musiker damals in ihrer ersten Saison noch nicht mit auf Westreisen. Aber es ergab sich, dass damals das Gewandhausorchester eine Konzertreise hatte und parallel dazu auch die Oper. Es fehlten also Musiker, und deshalb konnte ich mitfahren. Das war wunderbar: eine Woche mit der Oper in Madrid! Wir fühlten uns wie in einer anderen Welt. Es war dort alles irgendwie bunter, und die Menschen waren locker, wie die Südländer eben sind. Wir haben auch Spätvorstellungen gegeben, mit Opern, die sehr lange dauerten, wie Wagners „Meistersänger“. Danach konnten wir nachts bis um drei in die Gaststätten gehen und draußen auf der Straße sitzen. Das alles kannten wir von zu Hause nicht. Da war es grau und trist, die Luft war dreckig und an den Häusern blätterte der Putz ab.

Klar, waren ein oder zwei Offizielle von der Stadt mit dabei, und ein paar Stasileute unter den Kollegen auch, aber wir konnten uns dort uneingeschränkt frei bewegen, wann und wie wir wollten. Während der Bahn- und Busfahrten konnten wir den „Spiegel“ lesen, das hat niemanden interessiert, auch von den Begleitpersonen nicht. Das war im Rundfunkorchester ganz anders, wie ich von einem Musikerkollegen weiß, der dort mal mit auf Tournee war. Dem wurde klargemacht, dass Westzeitschriften nicht erlaubt sind. Der DDR-Rundfunk war als staatliche Institution eben viel mehr kontrolliert als wir im Gewandhausorchester.

Zurück zu Ihrer Schulzeit. Sie wurden nicht zum Abitur zugelassen, weil Sie nicht in der FDJ waren. Wie kam es eigentlich dazu?

Herr Schreiber:
Mein Vater war Pfarrer und ich bin in einem kirchlichen Haushalt großgeworden. Meine älteren Brüder waren auch nicht bei den Pionieren und nicht in der FDJ. Da war das für mich irgendwie folgerichtig. Aber man war auch so bissel stolz drauf, dass man da nicht drin war. Dass Nachteile damit verbunden sind, das hat man dann später bemerkt. Das betraf auch nicht alle gleichermaßen. Mein ältester Bruder durfte auf die Oberschule gehen und Abitur machen, obwohl er nicht in der FDJ war. Das war alles sehr willkürlich. Verletzend war eigentlich nur, dass da Leute zum Abitur zugelassen wurden, die deutlich schlechter in der Schule waren als ich, die sich aber für drei Jahre zur Armee verpflichtet haben und über diese Schiene zum Abitur gekommen sind. Das empfand ich als große Ungerechtigkeit. Wir waren eine kleine Gruppe von drei oder vier Schülern in der Klasse, die nicht in der FDJ waren.

Und alle anderen konnten dann das Abitur machen?

Herr Schreiber:
Nein. Das muss man vielleicht erklären. Es gab die Zehn-Klassen-Schule, das war die normale Schule. Und dann gab es die Erweiterte Oberschule, da konnte man Abitur machen. Da ist man dann in der neunten Klasse hingegangen. Dort gab es eine begrenzte Platzanzahl. Also nicht jeder, der etwa den entsprechenden Notendurchschnitt hatte, konnte Abitur machen. Dafür musste man sich bewerben. Da wurde ausgewählt, zum Teil nach der sozialen Herkunft der Eltern. Denn der Staat hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, die Arbeiterklasse besonders zu fördern. Also wurden Arbeiterkinder bevorzugt. Das war auch der Grund der Ablehnung bei mir. Und das haben sie auch so geschrieben.

Frau Schreiber:
Es ging aber auch danach, was in der Wirtschaft gebraucht wurde. Nicht so wie heute, wo jeder die freie Berufswahl hat, damals ging es darum, was gebraucht wurde, das wurde ausgebildet. In der DDR waren es nur ungefähr 10 % eines Schülerjahrgangs, die Abitur gemacht haben.

Sie konnten, anders als Ihr Mann, das Abitur ablegen.
Frau Schreiber:
Mein Mann hatte als Schüler Rückhalt von seinen Eltern, und dann waren in seiner Klasse auch andere nicht in der FDJ, und er wurde relativ in Ruhe gelassen. In meiner Schule wäre das jeden Tag ein Spießrutenlauf gewesen. Das hätte ich nicht ausgehalten. Also war ich bei den Pionieren und in der FDJ. Alles hing sehr davon ab, an wen man geriet und mit wem man gerade zusammen war. Ich bin in Döbeln in die Schule gegangen, das ist liegt in Richtung Dresden, da gab es nie Westfernsehen. Und dort war der Kreisschulrat ein ganz scharfer Hund.

Herr Schreiber:
Die Lehrer, die ich hatte, waren sehr verschieden. Manche haben viel Wert darauf gelegt, dass alles ideologisch richtig ist. Aber wir hatten auch einen ganz tollen Deutschlehrer. Da gab es schon Freiräume. Es war nicht alles so schwarz-weiß, wie es heute manchmal erscheint. Da kam sehr viel auf die Persönlichkeit der Lehrer an.

Wussten Sie damals, als Sie nicht zum Abitur zugelassen wurden, schon, dass sie Musiker werden wollen? Oder ist das dann erst später gekommen?

Herr Schreiber:
Das kam erst später. Ich hatte zunächst eine andere Berufsvorstellung. Ich hatte auch eine Lehrstelle. Das war damals anders als heute. Es gab in dem Kreis, in dem man wohnte, eine bestimmte Zahl an Lehrberufen, und wenn da nichts dabei war, was einem gefiel, dann hatte man Pech und musste trotzdem irgendwas davon machen. Es war undenkbar, dass man sagte: Ich mache erstmal gar nichts. Oder ein Auslandsjahr, das sowieso nicht. Oder ich ziehe irgendwohin und nehme mir eine Wohnung, weil es dort eine Lehrstelle gibt, die mir vielleicht gefällt. Das war undenkbar, es gab ja auch keine Wohnung. Also, ich hatte eine Lehrstelle, das hat mich auch interessiert, so Elektronikkram, also, was damals so Elektronik war. Ich habe die Lehre aber dann nicht angetreten. Wir haben zu Hause viel Musik gemacht, und mein ältester Bruder hat auch Musik studiert. Und ich hab dann einfach ordentlich geübt und es war wohl ausreichend. Jedenfalls dafür, dass ich meine Aufnahmeprüfung geschafft habe.

Eigentlich brauchte man doch das Abitur, um zu studieren. Und Sie hatten keins.

Herr Schreiber:
Das Abitur ist grundsätzlich die Voraussetzung. Zu Kunststudiengängen, also Musik, Malerei, Grafik, Fotografie usw. kann man aber auch ohne Abitur zugelassen werden. Das ist auch heute noch so.

Frau Schreiber:
Es gibt eine Klausel, dass man auf Grund besonderer Begabung auch ohne Abitur studieren kann. Früher war das bei den Musikstudenten in der DDR gar nicht so selten. Viele waren zuvor auf einer Spezialschule. Das war so ein Aussieben der Talente schon in der Kindheit, ähnlich wie in den Sportschulen. Eine andere Variante war, dass man bis zur zehnten Klasse in die Schule ging und sich dann für ein Musikstudium bewarb. Wenn man gut genug war, bekam man ein Vorstudienjahr. Das heißt, man war schon an der Hochschule, wenn auch noch kein richtiger Student. Man hatte noch ein bisschen Schulunterricht in zwei oder drei Fächern. Der Rest waren schon vorbereitende Fächer fürs Studium. Danach kam man dann ins erste Studienjahr.

Eine Frage zum Herbst 1989. Sie haben sich damals an den Montagsdemos beteiligt. Woran erinnern Sie sich?

Herr Schreiber:
Meine Frau und ich, wir sind abwechselnd zu den Montagsdemonstrationen gegangen. Damit immer einer für die Kinder da ist. Man wusste ja am Anfang nicht, wie es ausgeht, ob man wieder heimkommt. Am 9. Oktober gab es viele Gerüchte. Dass unheimlich viel Bereitschaftspolizei und Panzer zusammengezogen wurden, dass man in den Krankenhäusern zusätzliche Blutkonserven bereitgestellt hätte, dass sich Ärzte auf Schussverletzungen vorbereiten sollten. Und alles solche Sachen. Das war schon beängstigend.

Können Sie sich erklären, warum die Sicherheitsorgane dann doch nicht zugeschlagen haben?

Frau Schreiber:
Ich denke, da kam vieles zusammen. Da gab es ja namhafte Leute, die sich mit ihrer Person gegen ein gewaltsames Vorgehen gestellt haben. Der Aufruf der Leipziger Sechs, der über den Stadtfunk verbreitet wurde. Ganz wichtig war, dass sich die Demonstranten nicht zu irgendwelchen Gewalttaten hinreißen ließen. Die waren ja vorher in den Kirchen gewesen, bei den Friedensgebeten wurden sie eingestimmt darauf. Gegen die Friedfertigkeit, die von den Demonstranten ausging, waren Polizei und Armee irgendwie machtlos. Das war eine Erfahrung, die mir immer noch eine Gänsehaut macht.

Welche Veränderungen haben Sie sich damals am meisten gewünscht?

Frau Schreiber:
Mir war ganz wichtig, frei zu entscheiden, wie ich leben möchte und wo ich leben möchte. Reisen zu können. Zu entscheiden, wen ich treffen und welche Bücher ich lesen möchte. Dass ich mich nicht mehr belügen lassen muss und dass ich mir die Zeitung aussuchen kann, die ich lesen will.

Herr Schreiber:
Ich habe gehofft, dass die Umweltsituation deutlich besser wird. Dort, wo ihr heute baden geht, waren ja damals Braunkohlentagebaue. Und die Kraftwerke hatten noch keine modernen Filteranlagen. Auch die Chemieindustrie in Bitterfeld und in Leuna war alles andere als sauber.

Frau Schreiber:
Zu Hause haben alle Leute mit Kohle geheizt. Ab Oktober zog dieser Kohlenrauchgeruch durch die Straßen. Von diesen ekelhaften schwefelhaltigen Kohlen. Smog, unentwegt Smog, den ganzen Winter durch…

Ist nach der Wende alles Wirklichkeit geworden, was Sie sich erhofft hatten?

Frau Schreiber:
Ich habe nicht erwartet, dass jetzt die immerwährende Glückseligkeit eintreten würde. Es gab verpasste Chancen, viele Menschen sind auf der Strecke geblieben, und um die hat sich niemand gekümmert. Viele im Osten mussten sich komplett umorientieren, verloren ihre Arbeit und hatten das Gefühl, das liegt daran, dass sie nichts taugen, dass sie nicht gut genug sind. Damals kamen ja viele Glücksritter in den Osten, die hier ihren Reibach gemacht haben. Die haben Immobilien aufgekauft. Und Firmen, die sie dann platt gemacht haben. Nachdem die Fördergelder einkassiert waren, flogen die Beschäftigten auf die Straße. Das hat nicht zur Überwindung der Spaltung zwischen Ost und West beigetragen.

Herr Schreiber:
Statistiken sagen, dass es bis heute zwischen West und Ost ein Lohngefälle gibt, ein Rentengefälle, ein Wohlstandsgefälle. Dabei muss ich sagen: Uns geht es wirklich gut. Das können nicht alle von sich sagen. Es liegt ja auch nicht immer an einem selbst. Wir haben einfach Glück gehabt, mit dem Beruf, auch mit dem großen Orchester, dass das weiterbesteht. Viele kleine Orchester wurden nach der Wende aufgelöst, da sieht es ganz anders aus.

Frau Schreiber:
Es gibt in jedem System Probleme. Aber im Grunde genommen bin ich froh und dankbar, dass wir in einem System leben, so wie es jetzt ist. Vor allen Dingen hat man das Gefühl, man kann was machen. Und es gibt Wege, irgendwie zum Besseren zu kommen. In der DDR hattest du da nicht sehr viele Möglichkeiten.

(gekürzt und redaktionell bearbeitet von Wolfgang Leyn)

Schillerhaus en miniature als Tastmodell in Bronze

Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig erweitert inklusive Besucherangebote

Wenn die Museen nach ihrer coronabedingten Schließung wieder öffnen dürfen, wartet das Schillerhaus Leipzig in der Gohliser Menckestraße mit neuen Angeboten auf: Ein Tastmodell aus Bronze im Maßstab 1:100 gleich hinter dem Eingangsportal ermöglicht insbesondere sehbehinderten und blinden Besuchern, sich eine Vorstellung des historischen Gebäudeensembles zu verschaffen. Das eigentliche Schillerhaus wie auch das Kastellanhaus und der Garten sind in ihrer Lage zueinander, ihren Größenverhältnissen und ihrer Beschaffenheit in vielen Details zu ertasten.

Das Tastmodell wurde entworfen und realisiert von dem Bildhauer Jochen Zieger und der Bronzebildgießerei Noack aus Leipzig. Die beiden haben bereits langjährige Erfahrung mit Tastmodellen aus Bronze vorzuweisen, auch die beliebten Modelle vor der Universität am Augustusplatz und an der Thomaskirche beispielsweise stammen aus der Bronzebildgießerei Noack. Die Erfahrung zeigt, dass inklusive Angebote wie diese auch bei allen anderen Besuchern und Neugierigen ausgesprochen beliebt sind.

Zugleich erhalten Besucher die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines mobilen Audioguides auf einen Hörrundgang durch die Anlage und die Ausstellung führen zu lassen, der ebenfalls speziell für sehbehinderte und blinde Gäste entwickelt wurde. Hier versetzen nicht nur Texte und Beschreibungen, sondern auch Musikbeispiele den Besucher in die Sommermonate des Jahres 1785, in denen Friedrich Schiller in diesem Bauernhaus in Gohlis lebte, neue tiefe Freundschaften schloss und unter anderem seine berühmte »Ode an die Freude« dichtete. Für den Hörrundgang zeichnet die Berliner Firma Linon. Medien für Museen verantwortlich.

„Modell und Hörrundgang sind erste inklusive Angebote im Schillerhaus. Weitere Angebote werden in den nächsten Jahren folgen, wobei es in der denkmalgeschützten Anlage aus dem 18. Jahrhundert immer schwer bleiben wird, wirklich Barrierefreiheit herzustellen.“, so Ulrike Dura, stellvertretende Direktorin und Leiterin des Bereich Kunstsammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

Beide Projekte wurden gefördert durch das Investitionsprogramm Barrierefreies Bauen 2020 „Lieblingsplätze für alle“ des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig.

Geschichte in Geschichten (Teil 4) – Schüler fragen Zeitzeugen: Dr. Karl Heinz Hagen

Von Valentina Michel, Alena Ackermann und Sophie Schmeiduch (Bearbeitet und gekürzt durch Ursula Hein und Wolfgang Leyn)

Dr. Karl Heinz Hagen, Jahrgang 1954, absolvierte 1973-77 bei Carl Zeiss Jena eine Berufsausbildung mit Abitur. Nach dem Pädagogik-Studium war er bis 1985 Lehrer für Geschichte und Deutsch an der 10-klassigen Polytechnischen Oberschule „Friedrich Schiller“ in Gohlis, der Turmschule. 1989 folgte die Promotion an der Uni Leipzig. 1990 wurde er vom Kollegium der Schillerschule zum Schulleiter gewählt. Gemeinsam mit Schülern und Eltern entwickelte er das Konzept eines allgemeinbildenden Gymnasiums mit beruflicher Orientierung. Doch Sachsen übernahm das gegliederte Schulsystem nach dem Vorbild Bayerns und Baden-Württembergs, das Thema war damit erledigt. 1992 wechselte er als Lehrer und Oberstufenberater ans Humboldtgymnasium, organisierte dort die ersten Schülerfirmen in Sachsen. 1995-2010 war er Referent am Sächsischen Institut für Lehrerfortbildung in Meißen-Siebeneichen, seit 2006 auch Lehrer am Beruflichen Gymnasium. Zur Zeit der Wende lebte er mit Frau und drei Kindern in Leipzig.

Gibt es etwas, das typisch für die Erziehung der Kinder in der DDR war oder für Ihr Leben als Kind oder Jugendlicher?

Typisch war, dass wir eigentlich in der gesamten Schulzeit in eine Organisation eingebunden waren. Erst die Jungpioniere und später der Jugendverband FDJ. Die waren straff organisiert, mit Uniformen und Fahnen. Das haben wir als normal betrachtet und nicht groß darüber nachgedacht. Natürlich sind wir damit in gewisser Weise beeinflusst, ja sogar vereinnahmt worden. Andererseits hatte ich eine sehr glückliche Kindheit.

Unter welchen Verhältnissen sind Sie aufgewachsen?

Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wir hatten den Wald vor der Haustür. Ich hatte einen großen Freundeskreis. Kinder waren damals unbeschwerter unterwegs, die Eltern hatten auch nicht so eine Angst um sie. Wenn wir mal mit einem aufgeschlagenen Knie nach Hause kamen, rannte niemand zum Anwalt, damit derjenige, der das Loch in der Straße zu verantworten hat, dafür bezahlen muss. Da kriegte man paar hinter die Ohren: Pass beim nächsten Mal besser auf. Das Leben der Menschen war damals von mehr Zusammenhalt geprägt. Das war aber auch dem Mangel geschuldet. Jeder hatte irgendwas, das man nicht ohne weiteres kriegte. Der eine hatte Holz, der andere hat selbst geschlachtet, das war auf dem Land so. Da hat man dann getauscht, hat sich auch gegenseitig geholfen.

Sind Ihre Träume und Ziele von damals vergleichbar mit denen der jetzt 20- oder 30-Jährigen?

Ich denke, wir waren in der gleichen Weise verrückt wie die heute 20-Jährigen, wir hatten nur andere Bedingungen. Bei uns gab es noch kein Internet, keine Handys. Wir hatten Freundinnen, Freunde. Wir haben uns nach der Schule verabredet, waren zusammen beim Jugendtanz. Was wir damals nicht hatten, das waren diese Reisemöglichkeiten, wie sie heute zum Beispiel meine Enkeltöchter haben. Wo die überall schon waren mit ihren neun bzw. viereinhalb Jahren! Aber ich frage mich manchmal, was für sie noch ein erstrebenswertes Ziel sein wird, wenn sie 20 … 25 Jahre alt sind, als Studenten. Wenn ich hätte reisen können, hätte ich das vielleicht auch gewollt. Aber das war für uns kein Thema. Ich habe an der Grenze im Sperrgebiet gewohnt. Am Zaun war die Welt zu Ende. Basta!

Würden Sie sagen, dass die Mauer heute noch in den Köpfen existiert?

Je nachdem. Die Leute haben ja ganz Verschiedenes erlebt. Manche haben überhaupt nicht verstanden, was da passiert ist. 1989 war ich 35 Jahre alt und hatte an der Uni promoviert, dann ist über Nacht alles umgekippt. Was bisher unten war, ist auf einmal oben, und du musst dich neu orientieren. Da gab’s Leute, denen ist das relativ leicht gefallen, die gingen damals über Österreich in den Westen. Manche haben sogar ihre Kinder zurückgelassen. Andere kamen mit der Entwicklung überhaupt nicht klar und sind in Depressionen verfallen. Wieder andere haben völlig euphorisch „Helmut, Helmut!“ gerufen, denen konnte es mit der Einheit gar nicht schnell genug gehen. Die Mauer in den Köpfen, die gibt es bis heute, nicht nur bei den Ostdeutschen. Wenn man in Bayern oder in Österreich mit Einheimischen zusammensitzt und ins Gespräch kommt, da staunt man, wie wenig die wissen von dem, was im Osten passiert ist. Für viele Wessis hatte man hier den Slogan: „Jung, dynamisch, erfolglos“. Eine anderer böser Spruch war: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist das anders rum.“ Andererseits galten wir als „Jammer-Ossis“. Ich sehe die Chance, diese Vorurteile zu überwinden bei eurer Generation und der Generation meiner Kinder – ich habe selber drei erwachsene Kinder – und ich sehe, wie entspannt, wie ganz anders sie an manche Sachen herangehen. Aber ich sehe auch die Verantwortung, sich mit der Geschichte zu beschäftigen.

Zurück zu zwei Daten, dem 9. Oktober 1989 und dem 9. November. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich sage ganz ehrlich, ich habe nicht zu den mutigen Männern und Frauen gehört, die über den Ring marschiert sind, mit dem Ziel, diese DDR zu beseitigen. Ich war zu der Zeit verheiratet, hatte drei Kinder und hatte erlebt, wie die Staatssicherheit über den Lebensgefährten meiner Mutter zugegriffen hatte. Uns war nicht klar, wie der 9. Oktober ausgehen würde. Es war ein großes Glück, dass Kurt Masur und die anderen fünf, darunter der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, sich mit der Bitte an die Bevölkerung gewandt haben, die Situation nicht in Gewalt ausarten zu lassen. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Es ist bis heute ungeklärt, ob es einen Schießbefehl wirklich gegeben hat. Ich kam gegen 17 Uhr aus der Uni, da standen Autos von der Kampfgruppe und von der Armee. Die Straßenbahngleise am Augustusplatz, dem damaligen Karl-Marx-Platz, waren schon gesperrt, man musste also drüben bei der Hauptpost einsteigen. Ich hatte große Sorge, ich musste meinen Jüngsten aus der Kinderkrippe abholen. Da kamen dann Autos gefahren mit Leuten von der Staatssicherheit, die hatten Maschinenpistolen zwischen den Knien. Ich hab meinen Sohn abgeholt, wir sind nach Hause gefahren und haben gewartet, was passiert.

Der neunte November, damit hat man echt nicht gerechnet. Das war ein Versprecher von Schabowski, der einfach eine Meldung falsch interpretiert hat. Die Frage hieß: „Ab wann gilt diese Öffnung?“ und er sagte: „Ich meine, ab jetzt“. Damit war dann natürlich die Grenze offen. Kurz darauf setzte dieser Run auf das Begrüßungsgeld ein. Die Züge waren überfüllt. Meine Frau hat das einmal mitgemacht, das hat unser Jüngster fast nicht überlebt, die Leute im Zug hätten ihn beinahe zerquetscht. Zu diesem Zeitpunkt stand die Frage der deutschen Einheit noch nicht auf der Tagesordnung. Das passierte erst im Dezember 1989. Da hat dann Helmut Kohl in Dresden seine Rede gehalten, hat sein Zehn-Punkte-Programm aufgelegt und da kam dann konkret die Forderung, die beiden deutschen Staaten zu vereinigen.

Bei der großen Demonstration am 4. November 1989 in Berlin, wo auch viele Künstler gesprochen haben, ging es den meisten darum, so wie mir auch, im Sinne von Gorbatschows Perestroika diesen Staat DDR zu reformieren. Dann haben wir 1990 durch Gorbatschow diese Chance bekommen: die Einheit zum Nulltarif. Die Russen haben ihre Soldaten bis 1994 komplett abgezogen. Das war mit Kohl ausgehandelt, und Gorbatschow hat sich daran gehalten.

Welche Auswirkungen hatten Mauerfall und Einheit für Sie und Ihre Familie?

Mein Vater war damals 63. Als Meister im Zeiss-Werk war er für zehn, fünfzehn Leute verantwortlich. 1991 kam er eines Tages in die Spätschicht und man sagte ihm: „Das ist heute deine letzte Schicht, ab morgen brauchst du nicht mehr zu kommen.“ Nach 42 Arbeitsjahren. Der kam abends mit seinem Bündel nach Hause und hat ein halbes Jahr gebraucht, sich wieder zu sortieren. Meine Schwester war Zahntechnikerin in einem Krankenhaus. Das Labor wurde von einem Wessi gekauft, und als erstes wurden danach alle Frauen rausgeschmissen.

Meine Frau hat sich vor allem um die Familie gekümmert. Aber ich hatte den Ehrgeiz, mich als Schulleiter einzubringen, den Unterricht neu zu konzipieren, das Schulgebäude zu verändern. 1990 war das einzige Mal, dass in Thüringen und Sachsen ein Schulkollegium seinen Schulleiter wählen konnte, und ich bekam über 80% der Stimmen. Dann gab es 1992 eine Ausschreibung für die neuen Schulleiterstellen, weil in Sachsen die Schularten so wie in Bayern und Baden-Württemberg installiert worden sind. Damit war ich draußen und musste mich ganz neu bewerben. Nach dieser „Klatsche“ lag ich ein halbes Jahr am Boden. Da musst du dir überlegen, stehst du wieder auf und es geht weiter oder verfällst du in Selbstmitleid und ziehst dich zurück.

Würden Sie das heutige Schulsystem oder das von früher als erfolgversprechender bezeichnen?

Meine größte Erwartung war eigentlich, dass mit der Wende das Bildungssystem in ganz Deutschland verändert wird. Ich war sehr enttäuscht, dass aus dieser einmaligen Chance so wenig gemacht wurde. Beide Bildungssysteme hatten Vor- und Nachteile. Man hat leider nicht versucht, abzuwägen, was man hätte aus beiden Systemen machen können. Das DDR-System war ideologisch völlig überfrachtet und so wie es war, nicht erhaltenswert. Beim heutigen System sehe ich als entscheidenden Nachteil, dass die Entscheidung über die weiterführende Schulart nach der 4. Klasse zu früh ist. Ich glaube, mit 13 oder 14 Jahren weiß man das besser. Ihr habt natürlich am Gymnasium ab Klasse 5 ein anderes Anspruchsniveau. Andererseits habe ich auch erlebt, dass Kinder ins Gymnasium hineingeschoben wurden und dann nach der 7. Klasse abgegangen sind. An der Mittelschule galten sie dann als Loser, die das Gymnasium nicht geschafft haben. Es braucht schon für das Gymnasium eine große Leistungsvoraussetzung, Willensstärke und auch Unterstützung, damit sich ein Kind in dem Alter ordentlich etablieren kann. Ich fand die naturwissenschaftliche Ausbildung in der Breite früher besser. Heute ist in den Lehrplänen meines Erachtens zu viel Spezialwissen drin. Meine Hoffnung wäre gewesen, diese solide naturwissenschaftliche Ausbildung zu kombinieren mit Kurssystem und Wahlmöglichkeiten.

Wie haben Sie als Geschichtslehrer sich auf die neuen Anforderungen eingestellt?

Das war ganz einfach und zugleich schwierig. Einfach insofern, als es jetzt eine große Anzahl von Schulbuchverlagen gab, die uns regelrecht überschüttet haben mit ihrem Angebot an Unterrichtsmaterialien. Wenn man halbwegs interessiert war und sich gekümmert hat, dann hatte man jetzt Möglichkeiten, sich einzubringen. Damals habe ich nebenher nochmal angefangen zu studieren. Das, was wir früher gelernt hatten, war ja im Schwerpunkt DDR-Geschichte mit der Arbeiterbewegung, Marx, Lenin usw., aber zum Beispiel die Französische Revolution wurde nur gestreift. Allerdings hatten wir gelernt, ordentlich wissenschaftlich zu arbeiten. Dann habe ich mich also in die Deutsche Bücherei gehockt und neben meinem Unterricht gelesen, gelesen, gelesen. Ich habe nochmal ein gesamtes Studium für mich durchgezogen, und als ich dann am Humboldtgymnasium war und Leistungskurse hatte, da war man richtig gefordert. Ich habe von niemandem mehr verlangt als von mir selbst. Den Schülern muss man günstige Rahmenbedingungen schaffen, muss ihnen etwas zutrauen und sie laufen lassen. Genauso wie bei unseren Schülerfirmen: Wir hatten ein Schüler-Café, ein Reisebüro, einen Schreibwarenladen. Die Schüler haben gearbeitet, sie waren Sonnabend früh da, ohne dass sie gezwungen wurden. Mit dem Reisebüro haben sie sich ihre Kursfahrt verdient.

 

Seilbahnkönig & Tagebaugigant – Ein Leipziger Jahrhundertwerk, der Bleichert-Film von Dirk Schneider im MDR

Von Ursula Hein

Wenn Sie heute hinter der S-Bahnstation Gohlis auf der rechten Seite die neuen modernen Wohngebäude sehen, werden viele von Ihnen nicht mehr wissen, dass hier bis in die 90. Jahre des 20.Jhs ein florierendes Unternehmen stand, die ehemalige Seilbahnfirma Bleichert, dann VAT TAKRAF und vielen Menschen Lohn und Brot gab. Die früheren Fabrikhallen sind heute komfortable Luxuswohnungen.

Wie es früher hier aussah, zeigte gestern, am 19.1.2021 der Film des Regisseurs Dirk Schneider, eines ausgewiesenen Kenners der regionalen Industriegeschichte und ihrer Abwicklung nach 1990.

Ausgehend von der geradezu kriminalistischer Spurensuche auf Dachböden und Müllkippen, zeigt der inzwischen verstorbene TAKRAF-Ingenieur Günter Pyschik seine Schätze, Konstruktionszeichnungen, Pläne, Briefe, dem Ururenkel Hartmut von Bleichert, der sich von Rom her auf die Suche nach seinem bedeutenden Vorfahren und dessen Werk gemacht hat. Der langjährige Leiter der Geschichts-AG im BV Gohlis und ausgewiesener Kenner der Bleichert-Geschichte, Dr. Hötzel kann viele Details hinzufügen,

Die VAT-Konstrukteure Erhard Kleemann und Dieter Bittermann machen sich nach der Wende auf die Suche nach Bleichert-Seilbahnen und besuchen u.a. die Predigtstuhlbahn in Berchtesgaden. Weitere Seilbahne laufen noch in Meran, Bayern und der Schweiz, Innsbruck, Hafenseilbahn von Barcelona, am Nordkap, die südlichste – im chilenischen Punta Arenas in Feuerland die spektakulärste. Kurz vorgestellt werden Innovationen wie die weltbekannte Eidechse von 1923.

In der DDR wurde dann der Name Bleichert gelöscht, es entsteht das Kombinat TAKRAF, zuständig für kilometerlange Bänder für die Braunkohletagebaue der DDR und Kräne in Hochseehäfen. Die letzte Seilbahn ist dann in den 1960ern ein Sessellift in Oberhof.
Der interessante und mit vielen Dokumentaraufnahmen gespickte Film dauerte leider nur 45 Minuten, so dass bestimmte politische Aspekte zu kurz kommen mussten. Die doch sicher vorhandenen Verstrickungen in der NS-Zeit bleiben ausgeblendet, die DDR-Zeit der VAT sollte nicht nur von der technische, sondern auch stärker von der politischen Seite her beleuchtet werden. Die Liquidation des Betriebes durch die Treuhand – trotz der Mühen der Belegschaft den großen Betrieb nach der Vereinigung zu erhalten- könnte einen eigenen Film füllen.

Geschichte in Geschichten (Teil 3) – Schüler fragen Zeitzeugen: Ute Ziegenhorn

Von Judith Lucas, Laura Kronschwitz und Luise Petereit

Ute Ziegenhorn: Jahrgang 1940, aufgewachsen in Jena, besuchte sie von 1946-52 eine Schule in Leningrad, wohin ihr Vater als Zeiss-Spezialist dienstverpflichtet war, danach ging ihre Familie wieder nach Jena. Dort studierte sie von 1959-65 an der Friedrich-Schiller-Universität Medizin und machte eine Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Seit 1974 arbeitete sie in Leipzig u.a. in der Poliklinik Nord in Gohlis, in der Menckestraße 17, wo sie bis 1992 praktizierte. Nach deren Auflösung war sie bis 2009 selbständige Kinderärztin in Gohlis.

Laura: Unser Thema ist die Friedliche Revolution in Leipzig und die Wende und ich woll-te wissen, wie allgemein Ihre Einstellung zur Revolution war, wollten Sie die Wiedervereinigung?
Wiedervereinigung hin Wiedervereinigung her. Es war eigentlich der Druck in der Arbeitswelt, Vorstellungen vom beruflichen Dasein und vom Werdegang. Da denke ich, da ist die Wiedervereinigung schon ein Schritt gewesen, der einfach notwendig war, vieles war eben doch so, dass man keine freie Entscheidung treffen konnte, in der Berufswahl ging es ja schon los.
[…]

Laura: Haben Sie auch an den Demos teilgenommen?
[…] Bei den sozialistischen Veranstaltungen musstest du erscheinen und da habe ich mich registrieren lassen und habe mich dann abgeseilt. Wenn du da nicht erschienen bist, dann konnten sie dich von der Uni schmeißen. […]

Laura: Ach so, okay und an denen zur Revolution?
Ja, jeden Montag. Wir haben damals auch immer Spätdienst in der Markgrafenstraße gemacht da war es auch immer schwierig durch die Innenstadt zu kommen und jaja das gehörte dazu. […]

Laura: Gerade am 09. Oktober hatten Sie da Angst, dass das irgendwie eskaliert?
Ja, es war sehr angespannt und die haben ja alle möglichen Lastwagen und Überfallkommandos, was das alles war von der NVA und Bereitschaftspolizei, das hatten sie ja alles aufgefahren. Das war ja überall rund rum um den Ring und wusste ja keiner, was passiert. Alle hatten Angst, dass sie schießen, obwohl die von der Bereitschaftspolizei auch alle Schiss hatten. […] Ich habe ja als Kind schon erlebt, den Juni 1953. Das war ja auch schon so eine kritische Zeit, da war ich gerade 13, das war ja auch nicht ohne.

Laura: Und was genau hat Sie dazu bewegt, obwohl Sie so viel Angst hatten?
Weil wir was verändern wollten, einfach das. Nicht die sog. Freiheit, was ist denn Freiheit, aber einfach um diesen ewigen gesellschaftlichen Druck loszuwerden.

Laura: Haben sich Ihre Hoffnungen jetzt damit erfüllt wie es jetzt abgelaufen ist?
Nein, weil vieles war ja mehr oder weniger dann ein Politikum. Da sind die ganzen Polikliniken zerstört wurden, jetzt erfinden sie die Ärztehäuser wieder. […] Da war vieles in Ordnung und wie gesagt auch die Mütterberatung und die Betreuung der Kindereinrichtungen. Da sind wir ja immer einmal die Woche hingegangen und haben uns die Sorgenkinder angeguckt. […]

Laura: Welche Veränderungen mit der Wiedervereinigung waren für Sie am größten und am bedeutendsten?
Naja, für uns war es beruflich ja total anders. […] nach der Wende hat die Stadt uns ja alle entlassen, da mussten wir uns ja alle erstmal kümmern, um Praxisräume, um die Einrichtung. Ich war da Ende 40, das ist ja nicht so einfach, Schulden aufzunehmen, das kannten wir ja alles nicht Kredite in dieser Form […] Dann war das ja ein total anderes Abrechnungssystem, das haben wir ja alles in der vollen Sprechstunde nebenbei uns aneignen müssen, das war schon nicht so einfach.

Laura: Gab es auch Veränderungen vor allem in Ihrer Branche, die Sie so richtig gut fanden? Neue Methoden oder so, die eingeführt wurden?
Na klar. Wir haben ja nicht mehr so viel schreiben müssen dank Computer, Das war schon ein Schritt, ansonsten Sonographiegeräte und sowas, das hatten wir ja alles nicht.

Laura: Was haben Sie sich damals noch, Sie haben ja schon gesagt, Sie haben sich vor allem diese Freiheit erhofft, was noch?
Ja, die sog. Freiheit, da geht es ja auch um die Reisefreiheit, dass man eben mal in der Welt reisen kann. Das durften wir ja alle nicht und naja, dass du eben nicht diesen ständigen gesellschaftlichen Druck hattest […] Mein Vater und meine Schwester, die waren auf Reisekader, obwohl sie nicht in der Partei waren, ins westliche Ausland und, wenn ich nun hier mal einen Messegast hatte, das wurde ja alles weiter gemeldet das haben die ja alles gewusst, die Stasi. […]

Laura: Empfinden Sie das Gesundheitssystem, wie es jetzt organisiert ist, als besser, oder…? Was finden Sie besser oder schlechter?
Ich finde das… also naja, du hast halt heute ganz andere Möglichkeiten der Untersuchung von MRT angefangen. Das hatten wir ja alles nicht, selbst Universitäten hatten das nicht und die Ultraschall Geräte. […] aber ich sag mir eben immer: der Normalsterbliche, wenn der zum Doktor will, der will ordentlich angehört werden, der will nicht, dass der nur in den Computer guckt und sich auch mal mit dem Menschen unterhält und ein bisschen Zuwendung und das gehört eben auch mit dazu und das ist nicht in Ordnung wie es heute zum Teil läuft […]

Laura: Wenn Sie in der Schule Ihre Meinung gesagt haben, über den Staat und so, es gab ja auch das Fach Staatsbürgerkunde, haben Sie da irgendwie bemerkt, dass Sie da schlechtere Noten bekommen haben?
Ja, auch schlechte Beurteilung habe ich von meinem Klassenlehrer bekommen. Der ist mir dann, nachdem ich das Abitur dann hatte, da hat er so quasi sich entschuldigt… Das kannst du zwar nicht beweisen, aber das war so. […]

Laura: Ja, was weiß ich ja nicht, wie schnell das nach der Wende dann auch alles geändert wurde oder…
Ja, das ging ruckzuck. Die haben da auch keine Rücksicht auf uns genommen. Das hätten die mit keinem Wessi gemacht, was die mit uns gemacht haben. Die haben uns ja sofort das neue System aufgedrückt bei der vollen Arbeit. Da hat doch keiner gefragt, wie wir das bewältigen, das Programm. Es hatte keiner bei uns einen Computer, geschweige denn, das andere Abrechnungssystem, das war alles so nebenbei. […]

Laura: Also hätten Sie sich eher gewünscht, dass nicht einfach die DDR komplett an den Westen angepasst wird, sondern das, was es in der DDR gab…
Ja schon anpassen, aber sinnvoll überlegen, was ist hier erhaltenswert und was nicht, das hat man ja nicht gemacht. Man hat rigoros alles erstmal abgesenst. Das hat man doch gar nicht gemacht, Gedanken sich gemacht. Können wir uns das übernehmen oder nicht, das war ja alles schlecht. Und so war es ja nicht. Das ist ja Fakt. […]

Der Text wurde bearbeitet und gekürzt, Ursula Hein

Geschichte in Geschichten (Teil 4) – Schüler fragen Zeitzeugen: Meigl Hoffmann

Von Lina Keilhaue, Lucia Malinowski und Levin Imieske

Meigl Hoffmann wurde 1968 in Leipzig geboren. Nach dem Abschluss der 10. Klasse an der Leibnizschule gründete er als Lehrling sein erstes Kabarett. Opposition wurde ihm, wie er sagt, schon „in die Wiege gelegt“. 1987 stellte er einen Ausreiseantrag. Dieser wurde Anfang Oktober 1989 genehmigt und er musste die DDR verlassen. Anfang 1990 kehrte er aus Frankfurt/Main nach Leipzig zurück und gründete hier 1992 das Kabarett „Gohgelmohsch“.

Während der Wende, bei den großen Massendemonstrationen waren Sie nicht in Leipzig, sondern in Frankfurt/Main. Wie kam es dazu?
Mein Problem in der DDR bestand darin, dass meine Mutter, Leistungssportlerin, 1960 Teilnehmerin an den Olympischen Spielen in Rom, mehrfache DDR-Meisterin und so weiter, 1974 illegal in den Westen ging. Das hieß damals „Republikflucht“. Eigentlich wollte mein Vater mit meinem großen Bruder und mir hinterher, hat dann aber doch gekniffen und ist hier geblieben. Es hätte passieren können, dass er in den Knast kommt und wir dann ins Kinderheim. Meine Mutter versuchte, in die DDR zurückzukehren. Das haben die Behörden aber nicht zugelassen. Nun saß sie getrennt von den Kindern todunglücklich in Frankfurt. Es war sehr schwierig auszureisen, auch wenn du endgültig gehen wolltest. Das hat alles ewig lange gedauert. Die Behörden wollten nicht, dass die Leute massenweise die DDR verlassen. Deswegen haben sie ja 1961 die Mauer gebaut. Als Sohn einer Republikflüchtigen galtest du sofort als Staatsfeind. Noch dazu mit einem Vater, der am Volksaufstand vom 17. Juni 1953 teilgenommen hatte und danach ein halbes Jahr im Knast saß. Da war dir die Opposition schon in die Wiege gelegt. Im Prinzip konnte ich in der DDR gar nichts werden. Wer studieren wollte, musste sich länger für die Armee verpflichten. Der normale Grundwehrdienst dauerte anderthalb Jahre, und wenn du stattdessen nicht drei Jahre gegangen bist, dann haben die gesagt: Studienplatz bekommen Sie keinen und Abitur natürlich auch nicht. So bin ich ein bisschen als Wanderer zwischen den Welten aufgewachsen. Hätte ich meiner Mutter in den Westen folgen sollen? Das hätte gedauert. Und ich hing auch an Leipzig. So habe ich mich dann illegal in Prag mit der Mutter getroffen, in die DDR durfte sie ja nicht wieder rein.

Wie haben Sie sich damals Ihre berufliche Zukunft vorgestellt?
Mir wurde in der 9. Klasse klar, dass ich kein Abitur kriege. Mein Plan, Sportjournalist zu werden, was damit passé. Ich hatte aber keinen Plan B. Kumpels fragten, was ich denn werden wolle. „Ich werde Rockstar, Schauspieler oder Asozialer“, sagte ich. Hab mich dann erst mal für Punk entschieden. Dann sollten wir uns um eine Lehrstelle bewerben. In der DDR gab‘s ja offiziell keine Arbeitslosen und jeder bekam eine Lehrstelle. Nicht die, die er haben wollte, aber du kriegtest auf jeden Fall eine. Ich hatte keine Idee, was ich denn nun werden sollte. Da gab es so blaue Heftchen, da standen diese ganzen Berufe drin, also zum Beispiel Facharbeiter für Betonbau oder Zerspanungstechniker. Alles hat nur nach Arbeit und Schmutz gerochen, wenn du das gelesen hast. Wegen totaler Ratlosigkeit habe ich mich einfach gar nicht beworben. Daraufhin hat die Schuldirektorin meinen Vater hinbestellt. Der hat dann zu mir gesagt: „Hör zu, ich besorg dir eine Lehre. Die machst du ohne Fehlzeiten, die Sache wird dir zwar nicht gefallen, aber du machst sie so gut, wie du kannst. Musst ja später dann nicht in dem Beruf arbeiten. Dafür unterstütze ich alles, was du danach machst.“ Sag ich: „Okay, das ist ein Deal.“ Und dann hat er mir eine Lehrstelle als Maschinen- und Anlagenmonteur besorgt.

Wie kam es dann aber zum Kabarett?
Ich saß mit meinen Kumpels im Café, wir haben uns damals ja als Bohème, als Halbintellektuelle, betrachtet. Und da hatte irgendeiner ein Kabarettbuch einstecken, von der „Herkuleskeule“ in Dresden. Da hab ich reingeguckt, und da war ein Gedicht drin ‚Langsam im Denken‘. Das fand ich cool. Da hab ich gesagt: Ich schreibe keine Gedichte, ich singe keine kommunistischen Volkslieder. Wir machen Kabarett. Zusammen mit ein paar verrückten Kumpels aus der Berufsschule haben wir dann damit angefangen. Und das war so gut, also so jung, so gegen den Strich irgendwie, dass die in der Berufsschule gesagt haben, wir sollten gleich ein richtiges Kabarett gründen. Damals gab es eine Punkband, die hieß ‚Wutanfall‘, von der war ich großer Fan. Deswegen hab ich mein Kabarett ‚Mutanfall‘ genannt.

1987 stellten Sie einen Ausreiseantrag. Was hatte Sie dazu bewogen?
Vom September 1985 bis Mai 1987 habe ich meine Ausbildung gemacht und mit den Kumpels Kabarett gespielt. Dann wurde mir klar, dass das mit einer Theater- oder Kabarettkarriere unter dem Radar der staatlichen Organe nicht mehr lange weitergeht. Kabarett geht ab einer gewissen Öffentlichkeitswirkung nicht ohne Deal mit den Behörden. Und mit Mutter im Westen ist es sehr fraglich, ob sie dich überhaupt vor einem größeren Publikum auftreten lassen. Und da wusste ich, jetzt musst du gehen. Ich wollte eigentlich nicht weg, aber ich dachte mir: Hier kann ich nicht länger Kabarettist sein. Also habe ich einen Ausreiseantrag in den Westen gestellt, zur Pflege der Mutter. Die hatte schweres Rheuma.

Wie sind Sie mit der oppositionellen Szene in Leipzig in Berührung gekommen?
Ich kannte eine Menge Leute, die im Kirchenkeller der Michaeliskirche verkehrten, und kam auch viel in Kneipen und Klubs rum, so habe ich oppositionelle Leute kennengelernt. Das war mal so ein Umwelt-Typ oder einer, der fragte: „Rosa Luxemburg, kennst du die?“ Und dann war ich ja mit dem Kabarett sowieso kritisch unterwegs. Wir haben uns als Linke verstanden. Also den Staat selber nicht. Wir waren der Meinung: Das sind keine Kommunisten, das sind Arbeiterverräter. Wir dagegen fühlten uns als bolschewistische Avantgarde, als Trotzkisten, als Revolutionäre im Geiste von Bucharin und so. Das war uns schon irgendwie wichtig. Einer meiner Freunde und Mitbegründer des Kabaretts hat damals gesagt: „Ich bin zwar Genosse, aber ich trage das Parteiabzeichen nicht am Revers, sondern im Herzen.“ Also der war wirklich Kommunist, ein guter.

Mitte/Ende 1988 begannen dann in Leipzig die ersten oppositionellen Aktionen. Zur Dokfilmwoche haben wir das erste Ding gemacht. In der DDR war gerade die sowjetische Zeitschrift „Sputnik“ verboten worden, wegen eines Artikels über den Hitler-Stalin-Pakt. Vorm Kino „Capitol“ ließ eine kirchliche Gruppe Luftballons fliegen, wo ‚Sputnik‘ draufstand. Die Stasi hinterher, mit dem Regenschirm haben sie versucht, die Luftballons zu zerstechen… Die haben auch mal einem von uns aufs Maul gehauen. Also, das war schon nicht ohne. Und dann gab‘s am 15. Januar den Liebknecht-Luxemburg-Marsch, da war ich dann auch dabei. Das war die größte Demonstration seit dem 17. Juni 1953. Beim Pleiße-Gedenkmarsch, da ging‘s um die Umwelt, aber auch um Meinungsfreiheit. Dann häuften sich langsam Aktionen wie das Straßenmusikfestival am Thomaskirchhof im Juni 1989. Da war ich auch dabei, einen Steinwurf entfernt vom Geschehen stand ich hinter den Fotografen. Ich wusste ja nicht, sind die von uns oder von der Stasi.

Wie würden Sie Ihre Rolle während der Proteste beschreiben?
Ich selber war dabei wie ein Zeitzeugen-Journalist, der keinen Fotoapparat mithat, aber die Bilder im Kopf speichert. Zum Beispiel von der Einkesselung der Teilnehmer des Straßenmusikfestivals durch die Polizei. Danach wusste ich: Die werden den Staat verteidigen, wenn’s sein muss, auch gegen das eigene Volk. Nach dem Straßenmusikfestival habe ich meinen Ausreiseantrag dann auch gedanklich gestellt. Bis dahin war ich ein DDR-Bürger, der eigentlich lieber bleiben will, doch nun betrachtete ich mich als im Exil lebend hier in Leipzig. Ja, und dann wurde das im Sommer 1989 auf dem Nikolaikirchhof immer größer und immer interessanter. Neben dem „Wir wollen raus!“ gab’s auf einmal auch den Spruch „Wir bleiben hier!“. Da war ich live dabei, als der erfunden wurde. Nachdem die „Tagesschau“ darüber berichtete, kamen am nächsten Montag noch viel mehr Leute. Teilweise standen sie hinter der Absperrung, teilweise auf dem Nikolaikirchhof, immer mit Polizeiketten dazwischen. Am 2. Oktober haben die dann so ‘ne Kette aufgemacht, als der Druck von außen zu stark wurde. Was passierte? Die Zuschauer solidarisierten sich mit uns, und wie von Geisterhand zog ein Demonstrationszug los über den Augustusplatz, damals Karl-Marx-Platz. Ich stand da auf der Treppe vor der Oper und konnte es nicht fassen: Der Platz schwarz vor Menschen. Und alle waren sich einig: „Das kriegen die nie wieder in den Griff!“

Vier Tage vor der entscheidenden Demo am 9. Oktober wurde Ihr Ausreiseantrag genehmigt …
Ja, am 5. Oktober war es soweit. Ich hab noch zu meinen Kabarett-Leuten gesagt: „Ich würde ja gerne bleiben. Ich hätte auch in Mecklenburg einen Unterschlupf. Aber ich glaube, dass die am 9. Oktober schießen werden.“ Denn wenn die zulassen, dass der Demonstrationszug einmal um den Ring läuft, dann ist die Demonstrationsfreiheit da. Damit ist die Meinungsfreiheit gegeben, dann kommt als nächstes die Pressefreiheit. Danach die Forderung nach Reisefreiheit. Und bei der Reisefreiheit ist die Existenz des Staates DDR infrage gestellt.

Im Westen haben Sie sich entschieden, nach Leipzig zurückzukehren…
13 Tage nach meiner Ausbürgerung ist Honecker zurückgetreten. Da dachte ich, das kann doch nicht wahr sein: Die ganze Zeit halte ich durch. Und jetzt, wo das Arschloch zurücktritt, darf ich nicht mehr rein in die DDR! Die spinnen doch wohl. Wir durften dann endlich am Heiligabend visafrei wieder rein. Bis März 1990 bin ich noch gependelt, mal vier Tage Frankfurt, dann wieder drei Tage Leipzig. Und dann hab ich gesagt: Ich komme zurück. Denn hier sind die Freiräume. Im Westen ist alles schon fertig und verteilt, aber im Osten hast du noch die anarchische Möglichkeit, was zu machen als freier Künstler. Und genauso ist es gekommen.

Der Text wurde bearbeitet und gekürzt von Wolfgang Leyn.

[Ausverkauft] „Gohlis 2021 – Mobilität einst und jetzt“ – Der neue Kalender ist da!

+++ Ausverkauft +++

Zwölf Monate Gohliser Verkehrsgeschichte in Bild und Text bietet der neue Kalender des Bürgervereins für das kommende Jahr. Der Kalender wird mit einigen Details seine Käufer überraschen – so dürfte nicht jedem bekannt sein, dass 1884 in Gohlis eine der ersten Radrennbahnen Mitteldeutschlands eingeweiht wurde. Oder in den Bleichert-Werken nicht nur Seilbahnen, sondern auch Elektrofahrzeuge produziert wurden, darunter ab 1923 die weltweit patentierte „Eidechse“.

An die Doppelstockbusse, die von Ende der 50er bis Anfang der 70er durch die Max-Liebermann-Straße fuhren, werden sich die Älteren unter den Käufern erinnern, ebenso an das legendäre Fahrzeug „Krause Duo“ für Menschen mit Behinderungen aus der Elsbethstraße oder die Motorrad-Seitenwagen der Firma Stoye in der Lindenthaler Straße.

Die historischen Bilder im Kalender – Ansichtskarten, Archivfotos und Schnappschüsse – stammen aus dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig sowie von Vereinen, renommierten Fotografen und privaten Sammlern.

Der Wandkalender im DIN-A 4-Querformat kostet 9 €. Erworben werden kann dieser – solange der Vorrat reicht – telefonisch oder per Mail (Kontaktdaten siehe oben) sowie in ausgewählten Buchhandlungen wie dem „Bücherwurm“, Gohliser Straße 20 oder der Verlagsbuchhandlung Bachmann, Markt 1.

Geschichte in Geschichten (Teil 2) – Schüler fragen Zeitzeugen: Gerd Klenk

Wie im vorigen Gohlis Forum angekündigt, können Sie hier unser erstes Zeitzeugeninterview lesen, aus Platzgründen redaktionell gekürzt. Das gesamte Interview finden Sie später auf unserer Homepage. Alle neun Interviews wurden im Sommer 2020 von Schülern der Schillerschule im Rahmen eines Gemeinschafts-Projekts mit dem Bürgerverein Gohlis geführt. Wie haben Friedliche Revolution und deutsche Einheit das Leben der Zeitzeugen verändert? Wofür haben sie sich engagiert? Was wurde erreicht, was nicht?

Von Maximilian Mehlhorn, Martin Opitz und Jamal Ziegler

Geboren 1949, studierte Gerd Klenk nach Schule, Berufsausbildung und Abitur an der Volkshochschule an der TH Leipzig, arbeitete ab 1986 im volkseigenen Betrieb „Forschung und Rationalisierung“ im Süßwarenkombinat und engagierte sich in der kirchlichen Umwelt- und Friedensarbeit. 1989 wurde er Vertreter des Friedenskreises Gohlis im „Synodalausschuss für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung im Kirchenbezirk Leipzig-Ost“. Nach Konkurs des Betriebes nach der Währungsunion 1991 wurde er Projektleiter in Beschäftigungsgesellschaften und später Migrations- und Schuldnerberater beim Caritas-Verband. 1992 gründete er mit anderen Gohliser*innen den Bürgerverein Gohlis; von 1998 bis 2014 war er dessen Vorstandsvorsitzender.

Herr Klenk, wie haben Sie die Friedliche Revolution miterlebt?
Ich habe sie aktiv miterlebt als Mitglied des Friedenskreises Gohlis, der am 9. Oktober 1989 das Friedensgebet in der Nikolaikirche gestaltete mit dem geänderten Thema „Volkes Stimme wollen wir sein“. Geändert deshalb, weil wir in der Zeitung als Konterrevolutionäre bezeichnet wurden. Wir forderten deshalb den Dialog mit allen Schichten der Gesellschaft. Die Situation war sehr brenzlig, wir hatten alle Angst, konnten aber nicht mehr zurück. Frau und Kinder blieben zu Hause. Man befürchtete – das war ja vorher angekündigt – der Polizei-Einsatz wird blutig. Viele Genossen waren in der Nikolaikirche, die noch nie in der Kirche waren und viel ängstlicher waren, als wir, logischerweise. Die kannten das ja nicht. (…) Der Pfarrer der Markusgemeinde und Initiator der Friedensgebete, dessen Aufruf „Keine Gewalt“ von allen Basis- und Friedensgruppen immer weitergetragen wurde, lieferte einen wichtigen Beitrag, um eine Eskalation zu verhindern. Im Synodalausschuss für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung waren auch Vertreter von Basisgruppen, die nichts mit Kirche am Hut hatten. (…) Das war immer schwierig mit denen, da sie eigentlich nur ihren politischen Protest zum Ausdruck bringen wollten. Diese Gruppen bestanden meist aus Ausreisewilligen. (…)

Wie standen Sie den damaligen Ereignissen gegenüber?
Ja, das war ‘ne ziemlich dramatische Zeit, und man hatte dabei natürlich Ängste, aber auch Hoffnungen. Nach dem 9. Oktober wurden alle Basisgruppen- und Friedensgruppenvertreter eingeladen ins Rathaus. Und da merkten wir, dass man versuchen wollte, uns zu überreden, dass wir Einfluss nehmen, dass der Dialog nicht durch Demos auf der Straße geführt wird, sondern geordnet eben in Häusern. Man dachte, man könnte es noch ändern, indem man den Kopf der Führung wechselte, durch Egon Krenz. Aber das war dann alles zu spät. Und was ich bedauere, ist: die meisten Leute hatten dann nur noch die D-Mark im Kopf. „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“. Das war eigentlich nicht unser Ansinnen. Die Friedensbewegung wollte etwas Neues, eine Gesellschaft, die nicht so stark auf Konsum orientiert ist. Und wenn eine Vereinigung kommt, dann wollten wir uns da auch mit einbringen können, damit es etwas Gesamtdeutsches wird. Das ist es ja dann leider nicht geworden.

Was haben Sie sich für den neuen Abschnitt nach der Wiedervereinigung erhofft?
Ich hatte mir zumindest erhofft, dass die ostdeutsche Seite sich auch ein Stück mit einbringen könnte, dass der Wiedervereinigungsprozess nicht so verläuft, wie er dann verlaufen ist, also in einer Vereinnahmung, sondern zum Beispiel, dass man eine neue Verfassung vorschlägt; es gab ja nur das Grundgesetz. (…)
Wir wollten mehr. Und ich kenne auch viele in den alten Bundesländern, die wie wir gehofft hatten, dass diese Wiedervereinigung auch für sie eine Veränderung bringt, dass da was Neues entsteht, etwas Gemeinsames. (…)

Hätten Sie damals gedacht, dass es auch heute, 30 Jahre später, noch solche Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland geben wird?
Ich hätte nicht gedacht, dass es noch solche gewaltigen Unterschiede geben würde. Ich hätte mir eher gewünscht, dass wir – wie bei Fridays for Future – uns in eine positive Richtung engagieren, um die Gesellschaft zu verändern bei Themen wie Militarisierung und Umweltschutz und genauso Kapital und Konsum. Die ganze Gesellschaft ist ja sehr stark konsumorientiert. Aber Konsum ist ja nicht das Wichtigste. (…)

Was hätten Sie, wenn Sie damals Mitglied in der Regierung gewesen wären, anders gemacht?
In der Demokratie geht es ja immer darum, Mehrheiten zu bilden, das ist ja das Schwierige, und das war ja damals auch so, wenn ich keine Mehrheit habe, dann kann ich natürlich auch bestimmte Dinge nicht durchsetzen, wie im sozialen Bereich und beim Umweltschutz, obwohl das für die nächste Generation ein ganz wichtiges Thema ist. (…)

Was hätten Sie gern aus der DDR mit in die neue Zeit mitgenommen?
Löhne und Renten waren niedrig, aber auch die Mieten. (…) Gut war, dass in der DDR fast jeder einen Kindergartenplatz gekriegt hat. Außerdem das einheitliche Bildungssystem, auch wenn es negativ politisch belastet war. Wenn ich zum Beispiel von Leipzig nach Rostock gezogen bin, brauchte mein Kind nicht plötzlich neue Schulbücher, weil der Lehrstoff an der Schule dort anders ist als hier. Und natürlich die Zuschüsse für Grundnahrungsmittel. Eigentlich brauchte niemand Existenzangst zu haben.

Fazit

Das Interview mit Gerd Klenk war sehr interessant und aufschlussreich. Man lernt zwar in der Schule einiges über die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung, aber das alles ist rein objektiv. Die subjektive Meinung einer einzelnen Person, in unserem Falle Gerd Klenk, ist da nochmal was Anderes. Wir haben einige neue Dinge erfahren, die uns teilweise auch sehr überrascht haben. Wir können die Methode des Zeitzeugen-Interviews zum Thema Friedliche Revolution und Wende nur empfehlen, solange es noch möglich ist und Zeitzeugen leben.

(Der Text wurde bearbeitet und gekürzt von Ursula Hein, Wolfgang Leyn und der Redaktion)

 

Rückblick: Die AG Stadtteilgeschichte in Corona-Zeiten

Von Ursula Hein

Ende Februar haben wir uns zum letzten Mal im Budde-Haus getroffen, dann kam Corona, und nichts war mehr wie vorher. Aber es gab genug zu tun, und alle Mitglieder der AG Stadtteilgeschichte versuchten vor sich her zu werkeln. So viele Themen gab es ja zu bearbeiten: den Kalender für 2021 zur Gohliser Verkehrsgeschichte, das Zeitzeugen-Projekt an der Schillerschule, die Geschichte der Handschwengelpumpen, die Zukunft des Gohliser Schlösschens, Gohlis und die Spieldosen-Industrie (anlässlich des Jahres der Industriekultur) oder das Online-Lexikon, nicht zu vergessen die Ergänzungen zur Broschüre über die Gohliser Straßennamen. Herzlichen Dank dafür an Herrn Kullick und an Herrn Hüne!

Herr Pätzold war wieder unterwegs und hat uns mit vielen Fotos beglückt, die wir für den Kalender und für viele andere Themenbereiche brauchen. Herr Kullick hat sich auch an einer erneuten inhaltlichen und formalen Überarbeitung des Online-Lexikons beteiligt. Hier werden wir aber erst nach der Neugestaltung der Homepage wirklich weiterkommen.

An der Entstehung des Kalenders sind viele beteiligt, federführend Herr Leyn. Der Fotograf Karl Detlef Mai hat wie im letzten Jahr die Vorauswahl der Bilder getroffen, und der Vorstand hat anhand der Vorgaben endgültig ausgewählt. Zur Verfügung gestellt wurden sie von Museen, Archiven, Vereinen und privaten Sammlern. Bis September soll der Kalender gedruckt sein, das ist unser ehrgeiziges Ziel.

Die Tage der Industriekultur leiden natürlich auch unter Corona, aber der Gohliser Aspekt wird, in angemessener Form, weiterverfolgt (siehe Artikel „Gohlis und die Spieldosen-Industrie“). Neben der Arbeit am Kalender war das Zeitzeugen-Projekt gemeinsam mit dem Schiller-Gymnasium das Hauptbetätigungsfeld der AG im ersten Halbjahr 2020 (siehe Artikel „Schüler fragen Zeitzeugen – im Garten“).

Auch zur Zukunft des Gohliser Schlösschens hat sich die AG viele Gedanken gemacht, die dann auch in die Stellungnahme des Bürgervereins eingeflossen sind. Wir plädieren für eine Dauerausstellung zur Geschichte von Gohlis und des Gohliser Schlösschens, denn so etwas fehlt in Gohlis. Und wo könnte man besser eine solche Ausstellung präsentieren als in einem Flügel des Gohliser Kleinods. Es gibt dort genügend Platz.

Außerdem: Namensgebung für Gohliser Plätze wie den fast vergessenen Schillerhain (hier sind erste Erfolge in Sicht, auch dank der aktiven Arbeit des Vorstandes). Neue Gedenktafeln und Stolpersteine sind angedacht. Sicher habe ich noch einiges vergessen, aber dies sollte ja ein kurzer Rückblick auf unsere Tätigkeit sein.

Am 24. Juni haben wir uns dann in kleiner Runde im hinteren Pavillon des Budde-Hauses getroffen. Ein hübscher Platz, bei dem das Corona-Virus kaum Chancen hatte, sich auszubreiten. Wir haben uns sehr gefreut, alle gesund und munter wieder zu treffen. Und freuen aus auf das nächste Zusammensein am 29. Juli, entweder im hinteren oder im vorderen Pavillon des Budde-Hauses.

Gesprächscafé „Mobilität in Gohlis – einst und jetzt“

Wir laden Sie herzlich ein zum Austausch von Erinnerungen an das Unterwegssein in Gohlis. Wenn Sie Zeit und Lust haben, dann kommen Sie am Mittwochnachmittag um 17 Uhr ins Musikzimmer des Budde-Hauses in der Lützowstraße 19! Bei Kaffee und Kuchen möchten wir uns mit Ihnen über das Thema unterhalten. Wir, das sind die Mitglieder der AG Stadtteilgeschichte des Bürgervereins.

Nehmen wir als Beispiel das Fahrrad. Zusammen mit dem öffentlichen Nahverkehr ist das Rad auch für Gohlis das Fortbewegungsmittel der Zukunft. Es ist umweltfreundlich, gesundheitsfördernd und platzsparend, oft sogar schneller als das Auto.

Doch Fahrräder gehören ja schon seit Jahrzehnten zum Straßenbild. Wo gab es in unserem Stadtteil vor 1990 Radwege? Welche Fahrradwerkstätten gab es damals? Wo haben Sie Ihr Rad gekauft? Was haben Sie mit ihm erlebt? Wie sind Sie zur Schule, zur Arbeit oder in den Garten gefahren?

Wir wollen uns aber nicht aufs Fahrrad beschränken. Auch andere Erinnerungen an den Straßenverkehr der Vergangenheit in Gohlis sind willkommen, mit Straßenbahn und Auto – und zu Fuß natürlich. Hintergrund ist das Thema des nächsten Jahreskalenders, den der Bürgerverein herausbringen will: „Unterwegs in Gohlis – einst und heute“. Dafür erhoffen wir uns von diesem Gesprächs-Café gedankliche Anregungen und vielleicht auch ganz konkrete Tipps oder Kontakte.