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Schlagwort: Geschichte

Ein Gohliser Jubiläum… und wer dazu gehört TEIL 3 – Irmgard Gruner

von Peter Niemann

Bereits in den vergangenen Ausgaben haben wir darauf hingewiesen, dass wir am 22. April 2022, ein sehr wichtiges Jubiläum begehen werden. Genau dann wird der Bürgerverein nämlich 30 Jahre alt! In der letzten Ausgabe des Heftes haben wir begonnen, Ihnen besondere Personen vorzustellen, die sich bereits seit sehr langer Zeit in unserem Verein engagieren und dabei Großes geleistet haben. Diesmal möchte ich Ihnen eine ganz besondere Frau vorstellen, die von Anfang an dabei ist und den Bürgerverein noch immer nach Kräften unterstützt. Ihr Name ist Irmgard Gruner und ich habe mich am 8. Juli auf eine Tasse Kaffee und ein kurzes Interview mit ihr verabreden können:

Hallo Irmgard. Ich freue mich sehr, dass es heute trotz des eher mäßigen Wetters mit einem Treffen im Garten geklappt hat. Vielleicht fangen wir einfach mit einer kurzen Vorstellung an.

Ich bin 81 Jahre alt, geboren in Leipzig, und wohne mit meinem Mann seit 1968 in der Hoepnerstr. 4a in Gohlis-Mitte. Wir haben 2 Kinder und 5 Enkel. Ich bin diplomierte Wirtschaftsmathematikerin und habe vor der Wende lange Jahre im VEB Rechenzentrum, später DVZ (Datenverarbeitungszentrum) Leipzig, danach kurz in der Universität als Programmiererin und Problemanalytikerin gearbeitet. Nach kurzer Arbeitslosigkeit ging ich ab 1992 zu der Beschäftigungsgesellschaft ABW. Dort wurden Arbeitslose von Orsta-Hydraulik aufgefangen und in ABM-Maßnahmen gebracht. Die letzten Arbeitsjahre habe ich im sog. Ostraumprojekt gearbeitet. Mein politisches Engagement begann mit dem Mauerfall. In der DDR habe ich mich auf dem Gebiet verweigert. Jetzt wollte ich mitmachen. Es war Zufall, dass ich beim Neuen Forum landete, wo ich gleich Gruppenleiterin für Gohlis bzw. Leipzig Nord wurde. Im Neuen Forum lernte ich Gert Klenk kennen, wir liefen gemeinsam mit vielen anderen um den Ring. Wir hatten konkrete Vorstellungen, wie ein neues Deutschland aussehen könnte. Das war eine super-tolle Zeit. Da war eine Aufbruchstimmung, sag‘ ich Dir. Wir haben da was geschafft, über die Parteigrenzen hinweg und zum Wohle der Stadt. Dort kam ich auch auf die Liste für das Stadtparlament. Und es gab ja so viel zu tun, das ist heute kaum vorstellbar: Trotz des hochtrabenden Progamms der Partei „Alle Dächer dicht“ waren so gut wie alle Dächer kaputt, der Putz bröckelte von den Wänden, es war feucht in vielen Wohnungen, du hast Dich in der eigenen Stadt nicht wohl gefühlt. Die Schönheit unserer Stadt wurde erst nach und nach erfahrbar. Der Bürgerverein Gohlis wurde nicht nur wegen des Budde-Hauses gegründet, wir wollten mit dazu beitragen, unseren Stadtteil wieder lebenswert zu machen Zum Glück wurde Gohlis bald förmlich festgelegtes einfaches Sanierungsgebiet, dann erweitertes Sanierungsgebiet, inklusive des Budde-Hauses.

Das klingt nach einer Menge Freizeit, die da ins Ehrenamt investiert wurde. Wie passte das mit der Familie bzw. deinem Mann zusammen? Hat das gut funktioniert?

Klar. Die Kinder waren ja schon raus. Mein Mann hat trotz vieler Arbeit als reprivatisierter Salzgroßhändler jede Gelegenheit genutzt , mich zu unterstützen. Er hat nie groß was gesagt, Sitzungen und langes Palaver sind nicht seine Welt. Er hat aber immer fotografiert, für den Bürgerverein, für den Seniorenbeirat, für die Grünen. Er hat nie was dafür verlangt. Er hat das gerne gemacht. Mein Mann kommt fast immer mit und ich finde das sehr, sehr schön.

Der Bürgerverein war also ein wichtiger Ausgangspunkt für Dein Bemühen um den Stadtteil. Wann ging das los? Wie muss man sich das vorstellen?

Ihr habt ja darüber berichtet, dass das Jubiläumsfest der Aufhänger für die Gründung des Vereins im Gemeindehaus am Kirchplatz war. Ich kannte die Leute teilweise vorher schon. Gerd Klenk und Pfarrer Passolt natürlich. Wir haben uns in der Anfangszeit oft getroffen, nicht nur, um das Jubiläumsfest vorzubereiten, sondern auch, um zu überlegen was dann wird. Das Fest, das hättest Du erleben müssen! Die ganze Menckestraße war voll von Menschen. Die Verwaltung war da, das Planungsamt, das ASW. Bürgerinnen und Bürger konnten an Tafeln ihre Wünsche für Gohlis äußern und die Stadt war ehrlich daran interessiert, dass hier was passiert.

Und dann ging es ja emsig weiter mit dem Verein. Es musste ja schließlich das Budde-Haus gerettet werden und im Stadtteil gab es viel zu tun. Wo hast Du in den ersten Jahren deinen Platz im Verein gefunden?

Ich war immer im Vorstand des Vereins, oft auch stellvertretende Vorsitzende. Man wollte mich oft überreden, den Vorsitz zu übernehmen, aber ich war damals schon Mitglied im Stadtparlament und ich hatte ja zur Wendezeit an der Uni neu angefangen. Dann noch die Arbeit bei den Grünen, das reichte. Ich war jedenfalls immer froh, dass ich nicht Vorsitzende war.

[lacht] Das kann ich gut nachvollziehen. Ich fühle mich ja auch ganz wohl als Stellvertreter. Was waren eigentlich so Deine persönlichen Lieblingsprojekte des Bürgervereins?

[Lacht] Grünes Zeug. Zum Beispiel die Umsetzung des leider kaum bekannten und wenig genutzten Rabenparks. Der heißt so, wegen der großen Rabenskulpturen. Schräg gegenüber von Käse Lehmanns führt da ein kleiner Weg rein. Da gab es damals sogar ein Fest zur Einweihung. Ein weiteres, großes Projekt, von dem Du bestimmt noch nie gehört hast, ist der Rosentalpark. Aus dem ist leider nie was geworden. Dabei ging es um den Zusammenschluss aller Kleingartenvereine vom Schillerhain ganz im Osten, über Westgohlis, Volksgesundung, Brandts Aue, Neuer Weg, KGV Elstertal, Marienweg, Froschburg und wie sie alle heißen. Letztendlich sollte ein durchgängiges Wegenetz geschaffen werden mit neugestalteten Eingangsbereichen am nördlichen Ende des Heuwegs und in der Kirschbergstraße. Das Projekt fand viel Zuspruch bei den Kleingartenvereinen, geriet aber dann ins Stocken, weil eine Erbengemeinschaft ein Grundstück hinter der Schwimmhalle Mitte nicht veräußern wollte. Du kannst ja mal den Herrn Zech vom Grünflächenamt anrufen und fragen, was eigentlich aus dem Projekt geworden ist. Vielleicht lohnt es sich, das mal weiter zu verfolgen.

Wie siehst Du den Bürgerverein heute, mit ein wenig mehr Abstand und als ‚normales‘ Mitglied? Kannst Du dich mit dem identifizieren was wir ‚jüngeren’ Vereinsmitglieder so verzapfen?

Ehrlich gesagt bin ich positiv überrascht. Ich hätte uns das nicht zugetraut, nachdem wir 2014 vor dem Ende standen und nun auch keine ABM-Kräfte mehr haben, wieder so viel im Stadtteil zu bewegen. Auch die Frauen meiner Sportgruppe (AG Seniorensport) sind echt begeistert vom Gohlis Forum, von den Kalendern und dem, was ihr so macht. Ich wünschte mir, dass der Zuspruch der Bevölkerung größer wäre und sich noch mehr Menschen für die Arbeit des Vereins interessierten und auch spenden würden, um die Projekte des Vereins voranzutreiben. Das Problem ist ja, die Menschen, wenn sie selber betroffen sind, dann engagieren sie sich und spenden, aber es geht leider viel zu Wenigen um das große Ganze hier im Stadtteil.

Was mich abschließend noch brennend interessieren würde, was der Bürgerverein denn in Zukunft besser machen kann? Schließlich wissen wir ja beide, dass es immer auch ein wenig Luft nach oben gibt…

Es ist schade, dass immer nur so wenige unserer Mitglieder zu den Versammlungen kommen. Wir haben ja schließlich viele Mitglieder. Aber das war immer so. Im Verein wollen immer viele Menschen über Projekte reden. Die Realisierung der Projekte schultern letztendlich Arbeitsgruppen und auch immer der Vorstand. Wenn ich daran denke, wie viele Stunden ich beim Bürgerverein in Sitzungen verbracht habe oder beim Organisieren von Festen. [lacht] Ich selber kann mich ja jetzt leider alters- und gesundheitsbedingt nicht mehr so viel engagieren. Versucht weiter, die Bevölkerung zu aktivieren und auch an den Verein zu binden.

Irmgard. Vielen Dank!

Foto: Andreas Reichelt

Gemeinsam mit der Erich Kästner-Schule: Ein erster Gohliser Spendenlauf | Eine historische Handschwengelpumpe

von Peter Niemann

Bereits seit 1992 setzt sich der Bürgerverein Gohlis e.V. ehrenamtlich dafür ein, unseren Stadtteil immer noch ein Stückchen lebenswerter zu gestalten. Dazu gehört auch die Erforschung der Stadtteilgeschichte. Seit einigen Jahre stehen dabei eben auch die historischen Handschwengelpumpen im Fokus. Ein gusseisernes Exemplar vom Typ Vogelkäfig befand sich bis vor kurzem noch in der Fritz-Seger-Straße. Zwar hatte diese das letzte Jahrhundert überdauert, zuletzt jedoch in recht kläglichem Zustand und inzwischen ohne Funktion.
Schade! Das fanden auch die Kinder der Erich Kästner-Schule. Die Idee zu einem gemeinsamen Spendenlauf mit der Schule und zu Gunsten der Instandsetzung besagter Pumpe war geboren!

Los ging es am 16. Oktober. Da konnte man trotz eines eher fragwürdigen Wetters reichlich Getummel auf der Sportplatzanlage an der Sasstraße beobachten. Punkt 8:30 Uhr startete dort nämlich der erste Gohliser Spendenlauf. Auf das diesig-feuchte 250-Meter-Rund des kleinen Sportplatzes ergoss sich über den Vormittag verteilt ein bunter Strom von rund 350 Schülerinnen und Schülern. Als erstes erhielten die Kinder der 4. Klasse für 40 Minuten die Gelegenheit, ihre Runden zu rennen. Es folgten die Jahrgänge eins und zwei im Verbund. Mit den erlaufenen Kilometern verbesserte sich sogar das Wetter. Sogar mit etwas Sonnenschein konnten abschließend die DrittklässlerInnen starten. Für alle gab es leckere Äpfel und Bananen als Belohnung.

Die Stimmung war wirklich gut und die Kinder hoch motiviert. So waren auch einige Eltern da, um beherzt anzufeuern. Und der Erlös des Spendenlaufs kommt ja schließlich nicht nur der Instandsetzung besagter Pumpe zu Gute. Es werden nämlich davon neue Außenspielgeräte für den Schulhof der Grundschule angeschafft.

Insgesamt konnten bereits rund 9.000 € für die Restaurierung der Pumpe gesammelt werden. Die Ausstellung, die noch den Sommer über in den Fenstern der Erich Kästner-Schule zu sehen sein wird, soll unser Projekt begleiten und dieses einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Dabei wird auf drei Tafeln der historische Hintergrund beleuchtet und allerlei Interessantes zu Wasserpumpen erklärt. Mit der Ausstellung wollen wir aber auch auf die laufende Spendensammlung aufmerksam machen. Es werden noch etwa 16.000 € benötigt, um die Restaurierung und Installation der Pumpe zu finanzieren.

Falls Sie das Projekt mit einer Spende unterstützen möchten, treten Sie gerne und jederzeit mit uns in Kontakt. Es zählt wirklich jeder gespendete Euro! Erreichbar ist der Bürgerverein unter spenden@gohlis.info oder 0152-36188510 (Peter Niemann, stellv. Vorsitzender und Projektkoordinator).

Spendenkonto:
Sparkasse Leipzig
IBAN: DE92 8605 5592 1111 5016 68
BIC: WELADE8LXXX

Geschichte in Geschichten (Teil 8) – Schüler fragen Zeitzeugen: Brigitte Eichelmann

von Felix Böhme, Johannes Kater, Vinzent Schneider

Brigitte Eichelmann, geboren 1941, hat von 1947 bis 1955 die „Turmschule“, die heutige Friedrich-Schiller-Schule, besucht. In den Jahren 1955 bis 1958 absolvierte sie ihre Lehre bei der Sparkasse und begann anschließend ihre Arbeit in einer Geschäftsstelle der Sparkasse im Süden von Leipzig, seit 1961 in der Filiale in Gohlis, von 1965 bis 1998 als Filialleiterin. Dort hat sie am 1. Juli 1990 im Rahmen der deutsch-deutschen Wirtschafts-Währungs- und Sozialunion den Geldumtausch von Ostmark in D-Mark miterlebt und selbst vollzogen.

Wie sind Sie zur Sparkasse gekommen?
Meine Klavierlehrerin sagte: Ja, was willst du denn mal werden? Ja, sage ich, ich möchte mal Apothekerin oder Ärztin werden. Wie wollt ihr das stemmen, deine Mutti, wenn ihr fünf Kinder seid? Würde es dir gefallen, bei der Sparkasse zu arbeiten? Das war was ganz Neues. Was soll ich bei der Sparkasse? Ihre Tochter, die Sekretärin des Direktors, wollte sich dann für mich einsetzen.

Ich bin nach Hause und hab zu meiner Mutti ich gesagt: “Also ich trag‘ was zum Lebensunterhalt bei, ich werde zur Sparkasse gehen.“ Zurück bin ich geflitzt und hab gesagt: „Ich mach das.“ Dann hab‘ ich die Ausbildung gemacht. Zu DDR-Zeiten wurden ja Frauen sehr gefördert. Da gab es viele Möglichkeiten, und so habe ich dann die Finanzschule Gotha nebenher gemacht – Frauensonderstudium.

Und ein schönes Leben war es bei der Sparkasse. 1961 habe ich als Kassiererin angefangen und schon 1965 die Geschäftsstelle als Leiterin übernommen. Dort habe ich von 1961 bis 1998 gearbeitet: Das war eine schöne, schöne Zeit. Ich habe diese Entscheidung nie bereut
Ich habe immer mit vielen netten Menschen zu tun gehabt. Die Gohliser Straße war vom Publikum ganz toll. Wir hatten die gesamte Belegschaft des Funkhauses in der Springerstraße als Kunden und viele Prominente aus Kultur sowie Medizin, Sport und Professoren.

Waren Sie die Einzige, die so jung in der Sparkasse angefangen hat?

Nein. Wir waren 34, die dort gelernt haben, und da waren vier, die entweder die zehnte Klasse hatten oder Abitur.

Wie waren für Sie die Abläufe in der Sparkasse, gerade weil Sie sehr jung angefangen haben?
Wir hatten 88 Geschäftsstellen in der Stadt und im Landkreis, eine in der Großmarkthalle. Dahin kamen Obst-und Gemüsehändler, kleine Einzelhändler, dort war ich im ersten Lehrjahr, im zweiten dann in der Geschäftsstelle am Schlachthof in einer Baracke, dahinter ein gemauerter Anbau mit dem Tresor.

Warum glauben Sie, dass niemand mit dem Gedanken gespielt hat, dort einzubrechen?
Aber wir hatten ja eine Binnenwährung, mit der konnte man nur in der DDR etwas anfangen. Und wenn ich plötzlich Geld gehabt hätte, ich weiß es nicht, das wäre aufgefallen.

Als Ihre Ausbildung zu Ende war, wie ging es dann für Sie weiter?
In der Geschäftsstelle am Schlachthof war ich bis 1961 und hab nach meiner Ausbildung die Kasse übernommen, dahin kam das meiste Bargeld. Montags brachten die Fleischer hohe Geldbeträge, die Tageseinnahmen, zur Gutschrift, abends musste alles stimmen. Ich hatte montags zwei Rentner als Geldzähler zur Hilfe: Geld zählen, Banderole darum, dann noch alles gebündelt. Dann wurde es von einem Auto abgeholt. Wenn wir kleine Beträge bis 50.000 Mark hatten, wurde alles in einen Koffer gepackt, mit der Straßenbahn bis zum Rossplatz in die Staatsbank gebracht. Also allein mit 50.000 Mark!

Wie funktionierte denn die Preisgestaltung in der DDR?
Die Preise waren Einheitspreise, ich konnte hier mein Brötchen für einen Fünfer holen, und egal in welcher anderen Stadt, das kostete fünf Pfennige. Und ein Stück Butter kostete eben überall zwei Mark fünfzig, das war viel Geld. Aber es war der Endverbraucherpreis, EVP nannte sich das, und der war einheitlich.

Wie war das in der Sparkasse, wenn Kunden Westgeld eingetauscht haben?
Das durften wir nicht machen, das musste generell bei der Staatsbank gemacht werden. Die Besucher aus dem Westen mussten bei Einreise Geld umtauschen und dann zur Polizei, um sich anzumelden. Die mussten sich ja auch noch in die Hausbücher eintragen.

Der Bau der Mauer 1961, wie hat der Ihr Arbeitsleben beeinflusst?
Die Menschen waren ja nichts anderes gewöhnt. Die wussten um den Vorteil von Westverwandten. Aber das Arbeitsklima, die Zusammenarbeit auch mit den Kunden war einfach vertrauensvoll und schön. Ich könnte nie sagen, dass da einer gedacht hat, ein anderer hat mehr und dem müsste man irgendwas wegnehmen oder antun oder kaputt machen. Das hat es nicht gegeben. Aber man hat natürlich gemerkt, dass die Kluft immer größer wurde zwischen Ost und West. Und so gab es diese Unzufriedenheit, es fehlte so vieles. Die Leute konnten ja auch ins sozialistische Ausland schauen, dass das Angebot viel besser war.

Ein Thema war die Stasi und man fragte sich auch: Wer wohnt in meinem Haus, wem kann ich vertrauen und wem nicht? Das hat die Menschen verunsichert, das schwelte und führte letztendlich natürlich auch dazu, dass Menschen 1989 im Herbst auf die Straßen gingen, friedlich zu den Montagsdemonstrationen. Es musste was geschehen.

Sind Sie bei den Montagsdemostationen dabei gewesen?
Ja, immer reihum mit meinen Mitarbeitern. Einmal bin ich selber gegangen und dann jede Woche ein anderer Mitarbeiter, so dass jeder das mal miterlebt hat und gefühlt hat, was dort los ist.

Und Ihre Arbeitgeber? Haben Sie mit denen deswegen Probleme gehabt?
Die haben sich da sehr bedeckt gehalten. Ich muss überhaupt sagen: Ich habe bei der Sparkasse auch keinen Zwang erlebt, in die SED einzutreten. Wir wurden gefragt, ja, und auch ich war bei meinem Direktor. Und da habe ich ihm gesagt: Herr K[…] Sie wissen doch, ich singe im Kirchenchor. So, gut, Haken dahinter und dann konnte ich wieder gehen.
In der Sparkasse hat mich nie jemand zu irgendetwas verpflichten wollen. Auch das war immer das Angenehme an der Arbeit

In der DDR gab es ja auch, politisch gesehen durchaus Umschwünge. Zum Beispiel gab es in den 1960er Jahren eine neue Wirtschaftspolitik, 1971 unter Honecker wieder zurückgezogen. Hatte das Einfluss auf Ihren Berufsalltag, auf Ihr Arbeitsleben?
Ich weiß, 1971 hat man ganz viel Selbstständigkeit zunichte gemacht. Kleine Unternehmen aus unserem Kundenkreis wurden staatlich. Das weiß ich noch. Einzelheiten leider nicht, nur dass diese Kunden sehr schwer darüber hinwegkamen.

In der DDR gab es vier Banksäulen: Sparkasse, die Staatsbank, Industrie-und Handelsbank und Deutsche Außenhandelsbank. Hatte die Sparkasse eine besondere Rolle in diesem System?
Die Sparkasse war federführend für Privatpersonen und kleine Betriebe bis zehn Mitarbeiter.
Allerdings hatte damals nicht jeder ein Konto wie heute.

Hat sich nach der Wende irgendetwas beruflich und privat für Sie geändert?
Nee. Bis 1998 blieb ich Leiterin der Geschäftsstelle. Und weil möglichst aus der Geschäftsstelle ein Abteilungsleiter für Produktmanagement mit Kundenkontakt gesucht wurde, habe ich dort noch bis 2000 gearbeitet und bin dann mit 60 in Rente gegangen.

Mit der Wende kam am 1. Juli 1990 auch der Währungsumtausch. Wie hat sich das gestaltet und wie war das für Sie?
Es war ein Sonntag, als die D-Mark eingeführt wurde. Es bedurfte langer, langer Vorbereitungen. Im Juni mussten die Kunden ihr Geld auf ein Sparkonto einzahlen. Girokonten hatten damals die wenigsten. Und so haben wir von früh bis abends Sparkonten angelegt. Dann waren die Sparkonten alle, da haben wir nur noch Einlegeblätter als Sparkonto herausgegeben. Ohne Sparkonto wurde das im Personalausweis aktenkundig. Das funktionierte über Anträge, der Geschäftsstellenleiter entschied.

Der Umtausch war gestaffelt: Bis zum Alter von 14 Jahren 2 000 Mark im Verhältnis 1:1, von 14 bis zum Rentenalter konnten 4 000 Mark 1:1 umgetauscht werden. Bei den über 60-Jährigen waren es 6 000 Mark, Guthaben darüber 2:1. Viele hatten mehr Geld, da wurden dann Konten für Enkel oder Bekannte angelegt und ihnen so eine Art Provision gegeben. Das Geld wurde nach dem offiziellen Umtausch dann bis auf eine DM abgehoben, und wir hatten die 1-DM-Konten noch jahrelang im Bestand.

Die Sparkasse hat also eine sehr große Rolle in der DDR eingenommen. Hat sich das dann mit der Wiedervereinigung geändert?
Ja, viele Banken kamen aus dem Westen, die Bayerische Vereinsbank war schon am Umtauschtag dabei, man brauchte Räume, um das Geld auszuzahlen, in Schulen und Betrieben, alles unter Bewachung.

Hatte sich denn der Alltag nach der Wiedervereinigung in der Sparkasse geändert oder blieb er im Grunde gleich?
Also es hat sich viel verändert. Es musste die ganze Verrechnung neu gemacht werden. Wir hatten ja früher Scheckverkehr gehabt, das kennt ihr alles gar nicht mehr. Im Laufe der Jahre hatten sich die Zahlungssysteme in Ost und West deutlich verändert. Zum Beispiel durch die Einführung der EDV, Geldautomaten usw. Diese ganzen Unterschiede mussten überwunden werden. Das war nicht einfach. Da haben wir auch unsere Zahlungsverkehrsabteilung, also die Experten, angefordert, die das alles ermöglicht hatten. Aber davon haben wir im Geschäftsstellenbereich nicht viel mitgekriegt. Wir hatten immer nur die Reklamationen von Kunden, weil durch die unterschiedlichen Zahlungssysteme das Geld oft so lange unterwegs war, dass die Kunden gesagt haben: Da musste was beglichen werden, ich habe eine Mahnung gekriegt, aber ich habe bezahlt. Das waren dann so die Dinge, die sich relativ lange hingezogen haben.

Intershops und Forumschecks als besondere Instrumente der DDR, um Devisen zu beschaffen: Können Sie schildern, wie das im Einzelnen ablief?
Wir hatten zu DDR-Zeiten sogenannte Delikat-Geschäfte. Dort wurde Westware angeboten. Im Delikat gab es zum Beispiel eine Dose Ananas für 13 Mark. Und im Intershop kostete die eine Mark, und das haben natürlich die Leute auch gesehen. Die waren informiert, was es dort gab, die kannten die Preise. Dass das nicht zur Zufriedenheit führte, kann man sich vorstellen. Man sieht es, die Wünsche sind da, und ich kann es nicht kaufen. Aber es sind ja nun auch viele Verwandte aus Westdeutschland zu Besuch gekommen. Die mussten einen bestimmten Geldbetrag umtauschen, sie haben immer vom Zwangsumtausch gesprochen. Kinder waren frei, aber jeder Erwachsene musste am Tag erst 20 und später dann 25 D-Mark in Mark der DDR tauschen. Und man kriegte von seinen Verwandten auch mal ein Scheinchen in die Hand gedrückt, war ja herrlich, und damit konnten wir im Intershop einkaufen. Aber dann wurde 1979 festgelegt, dass das Westgeld bei der Staatsbank abgegeben werden musste. Und dafür kriegte man Forumschecks in gleichem Wert. So konnte der Staat schnell an die Devisen der DDR-Bürger kommen.

Sie wirken wirklich sehr glücklich, dass Sie bei der Sparkasse waren?
Ich könnte mir kein schöneres Arbeitsleben vorstellen.

Erste Namensideen für den Platz beim Sommerfest 2018

Erfolgreiche Benennung Fritz-Riemann-Platz in Gohlis

Bürgerverein Gohlis ruft zur Namensgebung weiterer unbenannter Plätze und Parks auf

In seiner Sitzung am 23. Juni hat der Stadtrat dem Antrag des Bürgervereins zugestimmt, den Platz zwischen der Virchowstraße, Wilhelm-Plesse-Straße und dem Viertelsweg zukünftig als Fritz-Riemann-Platz im Straßenverzeichnis zu führen. Parallel dazu hat der Bürgerverein einen Vorschlag zur Finanzierung einer Info-Tafel mit Hintergrundinformationen für die Auswahl des Namens für den Platz über das Stadtbezirksbudget beim Stadtbezirksbeirat Nord beantragt.

Diese Aktion reiht sich in die Bemühungen des Bürgervereins ein, unbenannte Plätze und Parks in Gohlis zu benennen. So konnte auch schon die Reaktivierung der Bezeichnung des Schillerhains im Straßenverzeichnis Leipzigs erreicht werden. Auch hier wird in der ersten Hälfte des kommenden Jahres im Zuge der Spielplatzsanierung eine Info-Tafel installiert. Gemeinsam mit seinen Netzwerkpartnern wird der Bürgerverein die inhaltliche Gestaltung dieser Tafel betreiben.

Gleichzeitig ruft der Verein Gohliserinnen und Gohliser auf, namenlose Plätze anzuzeigen und Namensvorschläge einzureichen. Diese können beim Bürgerverein Gohlis e. V., Lützowstraße 19 04157 Leipzig, per Telefon 0341 20018556 oder per E-Mail unter buergerverein@gohlis.info eingereicht werden.

Auszug aus der Begründung: Fritz-Riemann-Platz – warum dieser Name? Riemann entwarf die den Platz umgebenden Wohnhäuser aus den 30er-Jahren. Darüber hinaus wurden nach Riemanns Plänen in Gohlis, Connewitz, Eutritzsch und Leutzsch Wohnanlagen mit fast 2.000 Wohnungen gebaut. Als freier Architekt entwarf Riemann für verschiedene Bauherren über 500 weitere Wohnungen und zahlreiche Einfamilienhäuser, in Gohlis u. a. an der Ludwig-Beck-Straße sowie der Hoepnerstraße. Allein durch die Zahl der von ihm entworfenen Häuser und Wohnanlagen prägte Riemann also das Gesicht Leipzigs und des Stadtteils Gohlis.

Ein Gohliser Jubiläum… und wer dazu gehört TEIL 2 -Hansgeorg Herold

von Peter Niemann

Bereits in den vergangenen Ausgaben haben wir darauf hingewiesen, dass wir am 22. April 2022, ein sehr wichtiges Jubiläum begehen werden. Genau dann wird der Bürgerverein nämlich 30 Jahre alt! In der letzten Ausgabe des Heftes haben wir begonnen, Ihnen besondere Personen vorzustellen, die sich bereits seit sehr langer Zeit in unserem Verein engagieren und dabei Großes geleistet haben. In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen Hansgeorg Herold vorstellen. Ich habe mich Anfang Mai mit ihm in unserem Büro im Budde-Haus für das folgende Interview treffen können.

Herr Herold. Ich freue auf jeden Fall, dass wir uns heute treffen können, um ein kleines Interview zu führen. Beginnen wir mit einer kurzen Vorstellung.

Mein Name ist Hansgeorg Herold, Renter im ‚Unruhestand‘, fast 79 Jahre alt und seit 1992 Mitglied des Bürgervereins. Zunächst einmal wohnte ich seit meiner Geburt und für die ersten 28 Jahre meines Lebens in der Nähe von Gohlis: In der Nordvorstadt, dem heutigen Zentrum-Nord. 1970 zog ich dann in die Springerstraße, dann in den Schillerweg und schließlich in die Menckestraße.

Zeigt seinen alten Mitgliedsausweis aus den 90ern, der die Nummer 20 trägt. Dieser gibt ihn als Gründungsmitglied zu erkennen. Der damalige Schatzmeister Hajo Hannes quittierte dort noch händisch die Beitragszahlung.

Schön, dass Sie solche Dinge aufheben! Das sind ja letztendlich alles Zeugnisse unserer Vereinsgeschichte. Was haben Sie noch?

Ja es ist schade, dass es solche Mitgliedsausweise nicht mehr gibt. Ich sammle was mir wichtig erscheint. Einzelne Zeitungs- oder Zeitschriftenausschnitte zu Projekten, an denen ich mitgewirkt habe, hebe ich auf. Ansonsten sind die meisten Unterlagen der letzten Jahrzehnte im Archiv des Bürgervereins zu finden. Ich habe am Ende meiner Tätigkeit im Vorstand dafür gesorgt, dass sämtliche Dokumente in die richtigen Ordnern gelangen und alles verzeichnet und nachvollziehbar ist.

Was war bzw. ist eigentlich Ihre ganz persönliche Motivation, sich im Bürgerverein zu engagieren?

Wie ich schon in anderen oder ähnlichen Interviews in den Jahren immer wieder gesagt habe, gehört das ‚Einmischen‘, im positiven Sinne, zu den Grundsätzen meiner Lebensauffassung. Ich bin überzeugt davon, dass Veränderung im Stadtteil nur durch Mitwirkung von einem selbst zu erreichen ist. Ich wollte, nachdem ich Gohliser geworden war einfach hier im Stadtteil mitwirken. Als Gründungsmitglied des Bürgervereins, Mitglied in verschiedenen AGs sowie später auch als Schatzmeister (Diplom-Wirtschaftler) im Vorstand.

Wenn Sie nun auf die letzten Jahrzehnte der Vorstandsarbeit zurückblicken, welche Projekte liegen bzw. lagen Ihnen denn besonders am Herzen?

Es gibt eine Sache, die mir wichtig ist und die leider Gottes immer wieder in Vergessenheit gerät: Die Tatsache, dass über viele Jahre hinweg ABM-Kräfte bzw. später dann die AGH-Kräfte einen ganz wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dass der Bürgerverein heute existiert und einen so großen Wirkungsgrad hat. Nach der Wende gab es zahlreiche arbeitslose Akademiker, die beim Bürgerverein, zumindest zeitweilig ein herausforderndes und interessantes Betätigungsfeld finden konnten. Dadurch konnten teilweise bis zu drei Personen im Büro des Vereins anwesend sein. Der Vorstand konnte so bei seiner Arbeit enorm entlastet werden, bei bürokratischen Arbeiten wie dem Schreiben von Einladungen, von Protokollen, Korrespondenz mit Ämtern usw. Das Büro konnte täglich für die Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils geöffnet sein. Anliegen konnten aufgenommen und zeitnah beantwortet werden. Das alles wäre heute undenkbar.

Zeigt ein A4-Blatt mit einer langen Auflistung aller jemals in Bürgerverein beschäftigen ABM/ AGH-Kräfte. Frau Petra Kramer verließ als letzte Mitarbeiterin den Bürgerverein Ende 2014.

Wo waren Ihre persönlichen Anknüpfungspunkte für ein Engagement im Bürgerverein?

Ich habe damals die Arbeitsgruppe Verkehr und Umwelt geleitet, seit 1999 dann die AG Stadtteilentwicklung. Noch Ende der 90er Jahre war die Bausubstanz in Gohlis in einem bedauernswerten Zustand. Da galt es geplante Sanierungsmaßnahmen und Bauvorhaben im Stadtteil zu begleiten. Wir haben in dieser Zeit als Bürgerverein viel erreicht.

Projekte, die der Bürgerverein initiiert bzw. begleitet hat: Der Radweg Eutritzsch-Wahren, den Bau der Gohlis Arkaden, der Bebauung des Geländes der ehemaligen Stadtwäscherei in der Herloßsohnstraße, die Realisierung der Lichtsignalanlage am Schillerhain, der Mediencampus in der Menckestraße, der Bebauungsprozess des Areals der alten Mühle sowie die langjährige Begleitung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Gohlis-Süd (Brauerei Gohlis/Kaufland).

Sie sind zwar seit einigen Jahren nicht mehr im Vorstand des Vereins tätig, Sie haben haben aber auch nie aufgehört sich im Stadtteil ‚einzumischen‘. Wie können wir uns das konkret vorstellen.

Ich nehme zwar nach wie vor an den Treffen der heutigen AG Mobilität und Verkehr teil, allerdings habe ich mich etwas zurückgezogen und bringe mich nur noch bei den Themen ein, die mir wirklich am Herzen liegen. Dazu gehört vor allem der alte Gohliser Ortskern. Leider tut sich hier seit Jahren nicht wirklich etwas. Es gab zwar einige Initiativen und Veranstaltungen des Bürgervereins aber niemand stößt nach. Man muss da beharrlich sein und Antworten einfordern.
Darüber hinaus engagiere ich mit seit dessen Gründung im Förderverein Georg-Schumann-Straße. Dort organisiere ich jedes Jahr, anlässlich der Buchmesse ‚Leipzig liest an Leipzig längster Straße‘. Darüber hinaus bin ich als Vertreter des Bürgervereins im Magistralenrat und engagiere mich bei der ‚Denkwerkstatt Leipzig für das Gemeinwohl‘. Die Denkwerkstatt ist ein kreativer Ideen-Entwickler zur Förderung der Gemeinwohlarbeit in unserer freiheitlich-demokratischen Wirtschaftsordnung, wo jeder Bürger das Recht, aber auch die Pflicht hat, einen Beitrag zum Wohlstand zu leisten.

Was kann der Bürgerverein in Ihren Augen zukünftig noch besser machen?

Ich will mal so sagen: ein Augenmerk in früheren Jahren, was sicher auch mit dem Vorhandensein der ABM-Kräfte zusammenhängt, lag früher auf Veranstaltungen, Zusammenkünften und Ausflügen mit Seniorinnen und Senioren. Auch wenn viele von diesen nicht Mitglieder des Bürgervereins waren, haben sie doch sehr dabei geholfen, das Engagement des Vereins in die Breite zu tragen und darüber zu berichten. Wenn man heute SeniorInnen trifft, sagen die, im Bürgerverein ist nichts mehr los. Beim Gohlis Forum würde ich mir wünschen, dass mehr darüber berichtet würde, was im Verein selbst passiert. Mit Blick auf das Baugeschehen in Gohlis wäre es schön, wenn häufiger über die Planungen selbst berichtet würde und der Verein sich noch stärker in Planungsprozesse einbringen würde. Probleme im Stadtteil sollen proaktiv angesprochen werden. In Gremien wie ‚Leipzig weiter denken’ sollte der Verein stärker aufgestellt sein. Ansonsten bin ich mit der Arbeit des Vorstandes, des Vereins im großen und ganzen zufrieden. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass nun alles ehrenamtlich gemacht wird.

Herr Herold. Vielen Dank!

Geschichte in Geschichten (Teil 7) – Schüler fragen Zeitzeugen: Gisela Kallenbach

von Cosima Czekalla, Ida Heepe und Jonah Herzig

Gisela Kallenbach, geboren 1944 in Soldin/Neumark, ist aufgewachsen bei der tiefgläubigen Großmutter. Wegen verweigerter Jugendweihe wurde ihr das Abitur verwehrt. Nach der Lehre als Chemie-Laborantin war sie im Auftrag des VEB Mineralölwerk Lützkendorf als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften in Leipzig tätig. Das Fernstudium der Technologie der Chemie beendete sie als Diplomingenieurin, 1967 machte sie den Abschluss als Fachübersetzerin Englisch. 1969 bis 1990 war Gisela Kallenbach Laborleiterin und Themenleiterin (mit zwischenzeitlicher Unterbrechung wegen Geburt und Erziehung der drei Kinder). Seit 1982 Mitglied einer kirchlichen Arbeitsgruppe Umweltschutz gehörte sie ab 1984 zu den Mitgestaltern der Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche. 1987-1989 beteiligt am Konziliaren Prozess der Kirchen der DDR. 1990 bis 2000 als Referentin im Dezernat Umweltschutz der Stadt Leipzig tätig, war sie von 2000 bis 2003 Internationale Bürgermeisterin der UN-Mission im Kosovo. 2004-2009 Europaabgeordnete in der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz und 2009-14 Abgeordnete im Sächsischen Landtag.

Warum haben Sie die Jugendweihe verweigert, obwohl Ihnen die Folgen – kein Abitur – klar waren?

Meine Oma Ida, eine tiefgläubige Frau, hat mich nach dem Tod meiner Mutter aufgezogen, ich bin mit Freuden zur Christenlehre gegangen, die Jugendweihe war für mich kein Thema. Die unbedingte Treue zum Staat und das Bekenntnis zur atheistischen Weltanschauung kam für mich nicht in Frage. – Meine Schwester durfte übrigens auch ohne Jugendweihe auf die Oberschule gehen. Nach der 10. Klasse habe ich dann eine Lehre als Chemielaborantin in Naumburg gemacht.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Schule in der DDR?

Der ganze Unterricht war natürlich ideologisch besetzt. Man muss ja eine Botschaft nicht nur in Staatsbürgerkundeunterricht oder Ethik, sondern in allen Fächern verbreiten. Die Folge war, dass die allermeisten Eltern und ihre Kinder mit zwei Zungen gesprochen haben. Das heißt, sie haben zu Hause was Anderes erzählt als in der Schule.

Ab wann kam bei Ihnen dieser Wunsch zu Veränderungen am System der DDR?

Es gab immer mal so ein paar Grenzen: Wir durften ja nicht reisen. Ich hatte eine Großmutter in Westdeutschland. Ich durfte also auch die Großmutter nicht besuchen, nicht mal zur Beerdigung. Der Widerstand, der Wille zu Veränderungen, kam aber erst spät, eigentlich mit der Einschulung meines ältesten Sohnes, weil mir da so sehr bewusst wurde, wie der Staat Einfluss auf die Erziehung der Kinder nimmt, wir aber meinten, dass wir als Eltern entscheiden wollen, wie unsere Kinder erzogen werden.

Wie kamen Sie zum Umweltschutz?

In der Theorie war in der DDR alles großartig. Wir waren eine der höchstentwickelten Industrienationen, wir waren führend, wo immer auch nur denkbar – aber nur in der Theorie, in der Praxis wusste jeder zu erzählen: Mangel da, Mangel dort. Der ganze Südraum Leipzigs war durch den Braunkohletagebau total zerstört und ich dachte, Du hast drei Kinder, es geht um deren Zukunft, wenn wir die Erde so zerstören.

Auch als Christin habe ich mich verpflichtet gefühlt, die Schöpfung zu bewahren, sie nicht zu zerstören. Diese maßlose Zerstörung unserer Umwelt wollte ich einfach nicht hinnehmen. Ich habe mir dann gesagt: So, du hast die Leute, die das tun, aber gewählt. Du regst dich auf, hast sie gewählt, also hast du ja eigentlich gar keine Legitimation, Kritik üben zu können.“

Wie kam es dazu, dass Sie an den friedlichen Demonstrationen teilnahmen?

1981 sind wir nach Eutritzsch gezogen, Pfarrer Aribert Rothe aus der Michaeliskirche hat mich auf die Arbeitsgruppe Umweltschutz hingewiesen, dort trat ich zunächst als Referentin auf – inzwischen war ich ja Chemieingenieurin in der Forschung der Wasserwirtschaft – und seit 1982 dann als Mitglied. Wir waren natürlich nur ein loses Bündnis, haben in Kirchgemeinden informiert und Aktionen gestartet. So kamen wir dann mit den Gerechtigkeits- und Friedensgruppen 1989 zur Friedlichen Revolution.

Also sind Sie ja praktisch mit einem anderen Ziel angetreten?

Mein Hauptziel zu DDR-Zeiten war: Einhaltung der Gesetze. Die DDR hatte eine erstaunlich gute Umweltgesetzgebung, der Schutz von Natur war in der Verfassung festgeschrieben, aber die Gesetze wurden nicht eingehalten. Es gab Tausende von Ausnahmegenehmigungen.
Aber dann kam alles anders und das viel rascher als gedacht.

Was ist Ihre stärkste Erinnerung an die Friedliche Revolution?

Wir hatten eigentlich mit unserer Umweltgruppe im September 1989 eine Veranstaltungsreihe in der Reformierten Kirche ab dem 4. Oktober geplant. Und dann kam der 9. Oktober, den ich auch nie vergessen werde in meinem Leben. Alle hatten Angst, jetzt passiert was, jetzt greift der Staat ein. Es gab tausend Gerüchte über Panzer am Stadtrand, Krankenhäuser mit zusätzliche Blutkonserven. Selbst die Universität, die Schulen haben gewarnt: „Geht ja nicht ins Stadtzentrum!“ Die Geschäfte machten um fünf zu, um sechs Uhr war immer das Friedensgebet, am 9. Oktober gleichzeitig in vier Kirchen im Stadtzentrum. Die Nikolaikirche war ab Mittag um zwei schon voll besetzt.

Wir sind jetzt drei Gruppen gewesen und haben uns Gedanken gemacht, was wir gegen diese drohende Gefahr der Gewalt tun könnten und haben einen „Appell für Gewaltlosigkeit“ formuliert. Am 9. Oktober habe ich diesen Appell in der Stadt verteilt und an Wände geklebt – dafür konnte man damals in den Knast gehen. Entscheidend aber war, dass am 9. Oktober 70.000 bis 100.000 Menschen auf der Straße waren, und die haben uns davor gerettet, als Aktivistinnen verhaftet zu werden. Das konnte man nicht mehr machen.
Es war ein großartiges Erlebnis, dass an diesem 9. Oktober, dann alles friedlich abgegangen war, dass eben kein Schuss gefallen ist.

Am 16. Oktober, jetzt komme ich zu dem Punkt, dass wir eben Veranstaltungen in der Reformierten Kirche abhielten und da kann ich mich noch erinnern: An diesem Tag waren dann plötzlich wieder so viele Menschen auf der Straße. Und die kamen dann schon mit ersten Transparenten an. Dass wir das erleben, das war so unfassbar, so unvorstellbar. Jetzt passiert hier was, jetzt kommen hier Veränderungen! Da war diese Euphorie und nachher muss ich sagen, man konnte es immer wieder gar nicht fassen. Das Wort des Herbstes war „Wahnsinn!“, es hieß immer wieder „Wahnsinn!“.

Wie haben Sie den Tag des Mauerfalls erlebt?

Der 9. November, das war nochmal unfassbar. Für mich ein Gedenken an die Reichspogromnacht, wir sind von einem Gottesdienst in der Nikolaikirche dann mit Kerzen zu dem Gedenkstein gelaufen und als ich dann abends wieder zu Hause war, da haben die Nachbarn erzählt: „Jetzt dürfen die direkt in den Westen fahren“. Keiner hat es eigentlich richtig kapiert, die Öffnung der Mauer und der Grenzen, das war sowas von abwegig und unvorstellbar. „Was, da stehen die auf der Mauer?“ Sonst wurde geschossen, wenn sich jemand der Mauer näherte und versuchte, in den Westen zu gelangen, die sind kaltblütig erschossen worden. Das waren alles Erlebnisse, die sind nicht jeder Generation vergönnt.

Wie sehen Sie den Vereinigungsprozess heute?

Helmut Kohl hat mit seiner massiven Art den Wiedervereinigungsprozess durchgezogen, im passenden Zeitfenster. Ich war mir mit vielen Freunden eigentlich einig, dass wir es schaffen, schrittweise über einen gemeinsamen Beitritt zur Europäischen Union dann quasi ein geeintes Deutschland in einem geeinten Europa zu werden. Aber das war mit der Bevölkerung nicht zu machen, und das war spätestens am 18. März 1990 klar, als das Bündnis aus CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch [Bauernpartei stimmt nicht! – W. L.] fast die absolute Mehrheit gewann. Ich hätte mir einen längeren Prozess gewünscht.

Rückblickend, was hat die Wende aus Ihrer Sicht verändert?

Für mich persönlich begann mein zweites Leben. Ich habe ja noch mal alle Chancen dieser Welt bekommen. Ich konnte die Hälfte der Woche für das Bürgerkomitee arbeiten und nur noch zwei Tage im Institut. Und dann hieß es: „Jetzt können wir Verantwortung übernehmen.“ Dann hatten wir am 7. Mai 1990 wieder Kommunalwahlen. Ich bin angetreten, wurde gewählt, gehörte damit zu den Entscheidern. Als persönliche Referentin des Dezernenten für Umweltschutz und Sport begann ich im Leipziger Rathaus zu arbeiten und konnte nun plötzlich alles Mögliche mitbeeinflussen. Wir kannten natürlich westdeutsches Verwaltungshandeln überhaupt nicht, das war „learning by doing“. Wir hatten viele Begleiter dabei, aus unseren Partnerstädten Hannover und Frankfurt. Das kann ich nicht anders sagen, das war toll, wie die uns begleitet haben

Wie sehen Sie alles heute?

Ich bin auch heute überzeugt, dass viele Dinge gesellschaftlich verändert werden müssen: Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit, es gibt die Klima-Krise und vieles mehr. Ich bin sehr froh, all die Jahre schon in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu leben, aber vieles ist noch nicht eingelöst: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung von Natur und Umwelt, globale Gerechtigkeit. Und deswegen finde ich, gibt es genügend Raum, noch weiter für bestimmte Ziele, bestimmte Ideale zu streiten, zu kämpfen, sich zu engagieren, und das werde ich sicherlich auch weiterhin tun.

Zum Ende hin würden wir Sie gerne fragen, was Sie in der DDR am meisten geprägt hat?

Die Ideologisierung hat bei den meisten Menschen keinen Widerstand erregt, jedoch bei mir schon. Wir waren so eine Art Notgemeinschaft. Mit Not meine ich jetzt nicht, dass wir etwa gehungert hätten oder dass wir in Sack und Asche gegangen wären. Wir haben auch in der DDR natürlich gelebt, geliebt, gelacht, Freunde gehabt, Geburtstage und Familienfeiern gefeiert und alles auch, was man so im Alltag und im Leben braucht, Konzerte besucht, Theater besucht und Literatur versucht sich zu besorgen und, und, und.

Wir hatten damals eine Mangelwirtschaft, der Tauschhandel blühte. Man hat sich gegenseitig sehr viel geholfen. Das gebe es heute viel weniger, höre ich immer wieder. Ich kann das persönlich nicht bestätigen, aber viele klagen, die Ellenbogengesellschaft habe ein mehr egoistisches Herangehen hervorgebracht. Und sie hätten auch Freunde verloren. Es könnte durchaus sein, dass da manches vielleicht heute nicht mehr so ausgeprägt ist, wie es damals zu DDR-Zeiten war.

[Gekürzt und redaktionell bearbeitet Ursula Hein]

Schillerverein lädt zur Feier nach Gohlis-Süd

+++ Anmerkung +++ die geplante Veranstaltung fällt leider coronabedingt aus

von Dietmar Schulze

Jedes Jahr zu Schillers Todestag am 9. Mai ehrt der Schillerverein Leipzig den Dichter mit einer kleinen Gedenkfeier. Wir versammeln uns dazu am Schillerdenkmal oder anderen Orten, die für Schillers Aufenthalt in Leipzig relevant sind. Wir wurden von Frau Hein und Herrn Leyn, die beide auch Mitglieder im Schillerverein sind, auf das Engagement des Bürgerverein Gohlis aufmerksam gemacht, den Schillerhain wieder als solchen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Gerne wollen wir das Anliegen unterstützen und werden daher unser traditionelles Gedenken dieses Jahr im Schillerhain durchzuführen.

An der Schillerlinde, welche 2005 zum 100. Todestag Schillers von Schülern des Schillergymnasiums gepflanzt wurde, wollen wir auch an die historische Bedeutung des Ortes erinnern. Voraussichtlich wird sich auch die Schillerschule mit einem kleinen kulturellen Beitrag an der Zusammenkunft um 15 Uhr beteiligen. Wir möchten Sie dazu herzlich einladen. Wir freuen uns auf viele Gohliser, welche wir vielleicht für das Anliegen zur Aufwertung des Platzes interessieren können.

Dietmar Schulze ist 2. Vorsitzender des Schillervereins Leipzig e.V.

Geschichte in Geschichten (Teil 5) – Schüler fragen Zeitzeugen: Matthias und Uta Schreiber

von Gabriela Lewandowski, Lina Edel und Philipp Harazin

Matthias Schreiber (Jahrgang 1958) ist seit 1981 Cellist im Gewandhausorchester, sah auf Tourneen mehr von der Welt als die meisten DDR-Bürger. Im Herbst 1989 beteiligte er sich, abwechselnd mit seiner Frau, an den Leipziger Montagsdemos. Weil er als Schüler nicht in der Jugendorganisation FDJ war, bekam er keine Zulassung zum Abitur. Dennoch konnte er in Leipzig Musik studieren. Seine Ehefrau Uta Schreiber (Jahrgang 1963), war als Kind Mitglied der Jungen Pioniere und später auch der FDJ. Zugleich engagierte sie sich in der Jungen Gemeinde. Nach dem Abitur studierte sie in Weimar Musik und ist gegenwärtig als freiberufliche Musikerin tätig.

Sie sind mit dem Gewandhausorchester auch im Westen aufgetreten. Gab es ein Konzert, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Herr Schreiber:
In meiner ersten Spielzeit vom August 1981 bis zum Juli 1982 war ich mit der Leipziger Oper zum Gastspiel in Madrid. Üblicherweise durften die Musiker damals in ihrer ersten Saison noch nicht mit auf Westreisen. Aber es ergab sich, dass damals das Gewandhausorchester eine Konzertreise hatte und parallel dazu auch die Oper. Es fehlten also Musiker, und deshalb konnte ich mitfahren. Das war wunderbar: eine Woche mit der Oper in Madrid! Wir fühlten uns wie in einer anderen Welt. Es war dort alles irgendwie bunter, und die Menschen waren locker, wie die Südländer eben sind. Wir haben auch Spätvorstellungen gegeben, mit Opern, die sehr lange dauerten, wie Wagners „Meistersänger“. Danach konnten wir nachts bis um drei in die Gaststätten gehen und draußen auf der Straße sitzen. Das alles kannten wir von zu Hause nicht. Da war es grau und trist, die Luft war dreckig und an den Häusern blätterte der Putz ab.

Klar, waren ein oder zwei Offizielle von der Stadt mit dabei, und ein paar Stasileute unter den Kollegen auch, aber wir konnten uns dort uneingeschränkt frei bewegen, wann und wie wir wollten. Während der Bahn- und Busfahrten konnten wir den „Spiegel“ lesen, das hat niemanden interessiert, auch von den Begleitpersonen nicht. Das war im Rundfunkorchester ganz anders, wie ich von einem Musikerkollegen weiß, der dort mal mit auf Tournee war. Dem wurde klargemacht, dass Westzeitschriften nicht erlaubt sind. Der DDR-Rundfunk war als staatliche Institution eben viel mehr kontrolliert als wir im Gewandhausorchester.

Zurück zu Ihrer Schulzeit. Sie wurden nicht zum Abitur zugelassen, weil Sie nicht in der FDJ waren. Wie kam es eigentlich dazu?

Herr Schreiber:
Mein Vater war Pfarrer und ich bin in einem kirchlichen Haushalt großgeworden. Meine älteren Brüder waren auch nicht bei den Pionieren und nicht in der FDJ. Da war das für mich irgendwie folgerichtig. Aber man war auch so bissel stolz drauf, dass man da nicht drin war. Dass Nachteile damit verbunden sind, das hat man dann später bemerkt. Das betraf auch nicht alle gleichermaßen. Mein ältester Bruder durfte auf die Oberschule gehen und Abitur machen, obwohl er nicht in der FDJ war. Das war alles sehr willkürlich. Verletzend war eigentlich nur, dass da Leute zum Abitur zugelassen wurden, die deutlich schlechter in der Schule waren als ich, die sich aber für drei Jahre zur Armee verpflichtet haben und über diese Schiene zum Abitur gekommen sind. Das empfand ich als große Ungerechtigkeit. Wir waren eine kleine Gruppe von drei oder vier Schülern in der Klasse, die nicht in der FDJ waren.

Und alle anderen konnten dann das Abitur machen?

Herr Schreiber:
Nein. Das muss man vielleicht erklären. Es gab die Zehn-Klassen-Schule, das war die normale Schule. Und dann gab es die Erweiterte Oberschule, da konnte man Abitur machen. Da ist man dann in der neunten Klasse hingegangen. Dort gab es eine begrenzte Platzanzahl. Also nicht jeder, der etwa den entsprechenden Notendurchschnitt hatte, konnte Abitur machen. Dafür musste man sich bewerben. Da wurde ausgewählt, zum Teil nach der sozialen Herkunft der Eltern. Denn der Staat hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, die Arbeiterklasse besonders zu fördern. Also wurden Arbeiterkinder bevorzugt. Das war auch der Grund der Ablehnung bei mir. Und das haben sie auch so geschrieben.

Frau Schreiber:
Es ging aber auch danach, was in der Wirtschaft gebraucht wurde. Nicht so wie heute, wo jeder die freie Berufswahl hat, damals ging es darum, was gebraucht wurde, das wurde ausgebildet. In der DDR waren es nur ungefähr 10 % eines Schülerjahrgangs, die Abitur gemacht haben.

Sie konnten, anders als Ihr Mann, das Abitur ablegen.
Frau Schreiber:
Mein Mann hatte als Schüler Rückhalt von seinen Eltern, und dann waren in seiner Klasse auch andere nicht in der FDJ, und er wurde relativ in Ruhe gelassen. In meiner Schule wäre das jeden Tag ein Spießrutenlauf gewesen. Das hätte ich nicht ausgehalten. Also war ich bei den Pionieren und in der FDJ. Alles hing sehr davon ab, an wen man geriet und mit wem man gerade zusammen war. Ich bin in Döbeln in die Schule gegangen, das ist liegt in Richtung Dresden, da gab es nie Westfernsehen. Und dort war der Kreisschulrat ein ganz scharfer Hund.

Herr Schreiber:
Die Lehrer, die ich hatte, waren sehr verschieden. Manche haben viel Wert darauf gelegt, dass alles ideologisch richtig ist. Aber wir hatten auch einen ganz tollen Deutschlehrer. Da gab es schon Freiräume. Es war nicht alles so schwarz-weiß, wie es heute manchmal erscheint. Da kam sehr viel auf die Persönlichkeit der Lehrer an.

Wussten Sie damals, als Sie nicht zum Abitur zugelassen wurden, schon, dass sie Musiker werden wollen? Oder ist das dann erst später gekommen?

Herr Schreiber:
Das kam erst später. Ich hatte zunächst eine andere Berufsvorstellung. Ich hatte auch eine Lehrstelle. Das war damals anders als heute. Es gab in dem Kreis, in dem man wohnte, eine bestimmte Zahl an Lehrberufen, und wenn da nichts dabei war, was einem gefiel, dann hatte man Pech und musste trotzdem irgendwas davon machen. Es war undenkbar, dass man sagte: Ich mache erstmal gar nichts. Oder ein Auslandsjahr, das sowieso nicht. Oder ich ziehe irgendwohin und nehme mir eine Wohnung, weil es dort eine Lehrstelle gibt, die mir vielleicht gefällt. Das war undenkbar, es gab ja auch keine Wohnung. Also, ich hatte eine Lehrstelle, das hat mich auch interessiert, so Elektronikkram, also, was damals so Elektronik war. Ich habe die Lehre aber dann nicht angetreten. Wir haben zu Hause viel Musik gemacht, und mein ältester Bruder hat auch Musik studiert. Und ich hab dann einfach ordentlich geübt und es war wohl ausreichend. Jedenfalls dafür, dass ich meine Aufnahmeprüfung geschafft habe.

Eigentlich brauchte man doch das Abitur, um zu studieren. Und Sie hatten keins.

Herr Schreiber:
Das Abitur ist grundsätzlich die Voraussetzung. Zu Kunststudiengängen, also Musik, Malerei, Grafik, Fotografie usw. kann man aber auch ohne Abitur zugelassen werden. Das ist auch heute noch so.

Frau Schreiber:
Es gibt eine Klausel, dass man auf Grund besonderer Begabung auch ohne Abitur studieren kann. Früher war das bei den Musikstudenten in der DDR gar nicht so selten. Viele waren zuvor auf einer Spezialschule. Das war so ein Aussieben der Talente schon in der Kindheit, ähnlich wie in den Sportschulen. Eine andere Variante war, dass man bis zur zehnten Klasse in die Schule ging und sich dann für ein Musikstudium bewarb. Wenn man gut genug war, bekam man ein Vorstudienjahr. Das heißt, man war schon an der Hochschule, wenn auch noch kein richtiger Student. Man hatte noch ein bisschen Schulunterricht in zwei oder drei Fächern. Der Rest waren schon vorbereitende Fächer fürs Studium. Danach kam man dann ins erste Studienjahr.

Eine Frage zum Herbst 1989. Sie haben sich damals an den Montagsdemos beteiligt. Woran erinnern Sie sich?

Herr Schreiber:
Meine Frau und ich, wir sind abwechselnd zu den Montagsdemonstrationen gegangen. Damit immer einer für die Kinder da ist. Man wusste ja am Anfang nicht, wie es ausgeht, ob man wieder heimkommt. Am 9. Oktober gab es viele Gerüchte. Dass unheimlich viel Bereitschaftspolizei und Panzer zusammengezogen wurden, dass man in den Krankenhäusern zusätzliche Blutkonserven bereitgestellt hätte, dass sich Ärzte auf Schussverletzungen vorbereiten sollten. Und alles solche Sachen. Das war schon beängstigend.

Können Sie sich erklären, warum die Sicherheitsorgane dann doch nicht zugeschlagen haben?

Frau Schreiber:
Ich denke, da kam vieles zusammen. Da gab es ja namhafte Leute, die sich mit ihrer Person gegen ein gewaltsames Vorgehen gestellt haben. Der Aufruf der Leipziger Sechs, der über den Stadtfunk verbreitet wurde. Ganz wichtig war, dass sich die Demonstranten nicht zu irgendwelchen Gewalttaten hinreißen ließen. Die waren ja vorher in den Kirchen gewesen, bei den Friedensgebeten wurden sie eingestimmt darauf. Gegen die Friedfertigkeit, die von den Demonstranten ausging, waren Polizei und Armee irgendwie machtlos. Das war eine Erfahrung, die mir immer noch eine Gänsehaut macht.

Welche Veränderungen haben Sie sich damals am meisten gewünscht?

Frau Schreiber:
Mir war ganz wichtig, frei zu entscheiden, wie ich leben möchte und wo ich leben möchte. Reisen zu können. Zu entscheiden, wen ich treffen und welche Bücher ich lesen möchte. Dass ich mich nicht mehr belügen lassen muss und dass ich mir die Zeitung aussuchen kann, die ich lesen will.

Herr Schreiber:
Ich habe gehofft, dass die Umweltsituation deutlich besser wird. Dort, wo ihr heute baden geht, waren ja damals Braunkohlentagebaue. Und die Kraftwerke hatten noch keine modernen Filteranlagen. Auch die Chemieindustrie in Bitterfeld und in Leuna war alles andere als sauber.

Frau Schreiber:
Zu Hause haben alle Leute mit Kohle geheizt. Ab Oktober zog dieser Kohlenrauchgeruch durch die Straßen. Von diesen ekelhaften schwefelhaltigen Kohlen. Smog, unentwegt Smog, den ganzen Winter durch…

Ist nach der Wende alles Wirklichkeit geworden, was Sie sich erhofft hatten?

Frau Schreiber:
Ich habe nicht erwartet, dass jetzt die immerwährende Glückseligkeit eintreten würde. Es gab verpasste Chancen, viele Menschen sind auf der Strecke geblieben, und um die hat sich niemand gekümmert. Viele im Osten mussten sich komplett umorientieren, verloren ihre Arbeit und hatten das Gefühl, das liegt daran, dass sie nichts taugen, dass sie nicht gut genug sind. Damals kamen ja viele Glücksritter in den Osten, die hier ihren Reibach gemacht haben. Die haben Immobilien aufgekauft. Und Firmen, die sie dann platt gemacht haben. Nachdem die Fördergelder einkassiert waren, flogen die Beschäftigten auf die Straße. Das hat nicht zur Überwindung der Spaltung zwischen Ost und West beigetragen.

Herr Schreiber:
Statistiken sagen, dass es bis heute zwischen West und Ost ein Lohngefälle gibt, ein Rentengefälle, ein Wohlstandsgefälle. Dabei muss ich sagen: Uns geht es wirklich gut. Das können nicht alle von sich sagen. Es liegt ja auch nicht immer an einem selbst. Wir haben einfach Glück gehabt, mit dem Beruf, auch mit dem großen Orchester, dass das weiterbesteht. Viele kleine Orchester wurden nach der Wende aufgelöst, da sieht es ganz anders aus.

Frau Schreiber:
Es gibt in jedem System Probleme. Aber im Grunde genommen bin ich froh und dankbar, dass wir in einem System leben, so wie es jetzt ist. Vor allen Dingen hat man das Gefühl, man kann was machen. Und es gibt Wege, irgendwie zum Besseren zu kommen. In der DDR hattest du da nicht sehr viele Möglichkeiten.

(gekürzt und redaktionell bearbeitet von Wolfgang Leyn)

Geschichte in Geschichten (Teil 2) – Schüler fragen Zeitzeugen: Gerd Klenk

Wie im vorigen Gohlis Forum angekündigt, können Sie hier unser erstes Zeitzeugeninterview lesen, aus Platzgründen redaktionell gekürzt. Das gesamte Interview finden Sie später auf unserer Homepage. Alle neun Interviews wurden im Sommer 2020 von Schülern der Schillerschule im Rahmen eines Gemeinschafts-Projekts mit dem Bürgerverein Gohlis geführt. Wie haben Friedliche Revolution und deutsche Einheit das Leben der Zeitzeugen verändert? Wofür haben sie sich engagiert? Was wurde erreicht, was nicht?

Von Maximilian Mehlhorn, Martin Opitz und Jamal Ziegler

Geboren 1949, studierte Gerd Klenk nach Schule, Berufsausbildung und Abitur an der Volkshochschule an der TH Leipzig, arbeitete ab 1986 im volkseigenen Betrieb „Forschung und Rationalisierung“ im Süßwarenkombinat und engagierte sich in der kirchlichen Umwelt- und Friedensarbeit. 1989 wurde er Vertreter des Friedenskreises Gohlis im „Synodalausschuss für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung im Kirchenbezirk Leipzig-Ost“. Nach Konkurs des Betriebes nach der Währungsunion 1991 wurde er Projektleiter in Beschäftigungsgesellschaften und später Migrations- und Schuldnerberater beim Caritas-Verband. 1992 gründete er mit anderen Gohliser*innen den Bürgerverein Gohlis; von 1998 bis 2014 war er dessen Vorstandsvorsitzender.

Herr Klenk, wie haben Sie die Friedliche Revolution miterlebt?
Ich habe sie aktiv miterlebt als Mitglied des Friedenskreises Gohlis, der am 9. Oktober 1989 das Friedensgebet in der Nikolaikirche gestaltete mit dem geänderten Thema „Volkes Stimme wollen wir sein“. Geändert deshalb, weil wir in der Zeitung als Konterrevolutionäre bezeichnet wurden. Wir forderten deshalb den Dialog mit allen Schichten der Gesellschaft. Die Situation war sehr brenzlig, wir hatten alle Angst, konnten aber nicht mehr zurück. Frau und Kinder blieben zu Hause. Man befürchtete – das war ja vorher angekündigt – der Polizei-Einsatz wird blutig. Viele Genossen waren in der Nikolaikirche, die noch nie in der Kirche waren und viel ängstlicher waren, als wir, logischerweise. Die kannten das ja nicht. (…) Der Pfarrer der Markusgemeinde und Initiator der Friedensgebete, dessen Aufruf „Keine Gewalt“ von allen Basis- und Friedensgruppen immer weitergetragen wurde, lieferte einen wichtigen Beitrag, um eine Eskalation zu verhindern. Im Synodalausschuss für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung waren auch Vertreter von Basisgruppen, die nichts mit Kirche am Hut hatten. (…) Das war immer schwierig mit denen, da sie eigentlich nur ihren politischen Protest zum Ausdruck bringen wollten. Diese Gruppen bestanden meist aus Ausreisewilligen. (…)

Wie standen Sie den damaligen Ereignissen gegenüber?
Ja, das war ‘ne ziemlich dramatische Zeit, und man hatte dabei natürlich Ängste, aber auch Hoffnungen. Nach dem 9. Oktober wurden alle Basisgruppen- und Friedensgruppenvertreter eingeladen ins Rathaus. Und da merkten wir, dass man versuchen wollte, uns zu überreden, dass wir Einfluss nehmen, dass der Dialog nicht durch Demos auf der Straße geführt wird, sondern geordnet eben in Häusern. Man dachte, man könnte es noch ändern, indem man den Kopf der Führung wechselte, durch Egon Krenz. Aber das war dann alles zu spät. Und was ich bedauere, ist: die meisten Leute hatten dann nur noch die D-Mark im Kopf. „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“. Das war eigentlich nicht unser Ansinnen. Die Friedensbewegung wollte etwas Neues, eine Gesellschaft, die nicht so stark auf Konsum orientiert ist. Und wenn eine Vereinigung kommt, dann wollten wir uns da auch mit einbringen können, damit es etwas Gesamtdeutsches wird. Das ist es ja dann leider nicht geworden.

Was haben Sie sich für den neuen Abschnitt nach der Wiedervereinigung erhofft?
Ich hatte mir zumindest erhofft, dass die ostdeutsche Seite sich auch ein Stück mit einbringen könnte, dass der Wiedervereinigungsprozess nicht so verläuft, wie er dann verlaufen ist, also in einer Vereinnahmung, sondern zum Beispiel, dass man eine neue Verfassung vorschlägt; es gab ja nur das Grundgesetz. (…)
Wir wollten mehr. Und ich kenne auch viele in den alten Bundesländern, die wie wir gehofft hatten, dass diese Wiedervereinigung auch für sie eine Veränderung bringt, dass da was Neues entsteht, etwas Gemeinsames. (…)

Hätten Sie damals gedacht, dass es auch heute, 30 Jahre später, noch solche Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland geben wird?
Ich hätte nicht gedacht, dass es noch solche gewaltigen Unterschiede geben würde. Ich hätte mir eher gewünscht, dass wir – wie bei Fridays for Future – uns in eine positive Richtung engagieren, um die Gesellschaft zu verändern bei Themen wie Militarisierung und Umweltschutz und genauso Kapital und Konsum. Die ganze Gesellschaft ist ja sehr stark konsumorientiert. Aber Konsum ist ja nicht das Wichtigste. (…)

Was hätten Sie, wenn Sie damals Mitglied in der Regierung gewesen wären, anders gemacht?
In der Demokratie geht es ja immer darum, Mehrheiten zu bilden, das ist ja das Schwierige, und das war ja damals auch so, wenn ich keine Mehrheit habe, dann kann ich natürlich auch bestimmte Dinge nicht durchsetzen, wie im sozialen Bereich und beim Umweltschutz, obwohl das für die nächste Generation ein ganz wichtiges Thema ist. (…)

Was hätten Sie gern aus der DDR mit in die neue Zeit mitgenommen?
Löhne und Renten waren niedrig, aber auch die Mieten. (…) Gut war, dass in der DDR fast jeder einen Kindergartenplatz gekriegt hat. Außerdem das einheitliche Bildungssystem, auch wenn es negativ politisch belastet war. Wenn ich zum Beispiel von Leipzig nach Rostock gezogen bin, brauchte mein Kind nicht plötzlich neue Schulbücher, weil der Lehrstoff an der Schule dort anders ist als hier. Und natürlich die Zuschüsse für Grundnahrungsmittel. Eigentlich brauchte niemand Existenzangst zu haben.

Fazit

Das Interview mit Gerd Klenk war sehr interessant und aufschlussreich. Man lernt zwar in der Schule einiges über die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung, aber das alles ist rein objektiv. Die subjektive Meinung einer einzelnen Person, in unserem Falle Gerd Klenk, ist da nochmal was Anderes. Wir haben einige neue Dinge erfahren, die uns teilweise auch sehr überrascht haben. Wir können die Methode des Zeitzeugen-Interviews zum Thema Friedliche Revolution und Wende nur empfehlen, solange es noch möglich ist und Zeitzeugen leben.

(Der Text wurde bearbeitet und gekürzt von Ursula Hein, Wolfgang Leyn und der Redaktion)

 

Geschichte in Geschichten: Schüler fragen Zeitzeugen – im Garten

Von Ursula Hein und Wolfgang Leyn

In der Online-Ausgabe des Gohlis Forums wurde das Zeitzeugen-Projekt der AG Stadtteilgeschichte mit dem Schiller-Gymnasium Ende April ausführlich vorgestellt. Nachzulesen ist der Artikel online im Archiv des Gohlis Forums.

Wende und Einheit haben 1989/90 im Westen Deutschlands wenig, im Osten aber fast alles verändert. Neun Zeitzeugen aus Gohlis – ein Pfarrer, eine Kinderärztin, ein Ingenieur, eine Politikerin, ein Musiker, ein Lehrer, eine Journalistin, ein Kabarettist und eine Sparkassen-Filialleiterin – sprechen darüber mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 10/1. So war es mit Herrn Geyer, dem Geschichtslehrer und Klassenleiter vereinbart.

Doch dann schienen durch Corona persönliche Treffen der Schüler-Teams mit den Zeitzeugen auf einmal unmöglich zu werden. Um unser Projekt zu retten, planten wir stattdessen Telefon-Interviews mit Smartphone. Doch dann eröffnete sich glücklicherweise doch noch eine bessere Möglichkeit. Das Budde-Haus öffnete nach mehrmonatiger Schließung wieder seine Pforten.

Dessen schöner Garten bot optimale Bedingungen für die Gespräche von Angesicht zu Angesicht – natürlich mit dem gebotenen Abstand. In einem der beiden Pavillons traf sich dann bis zum 30. Juni jeweils ein Zeitzeuge bzw. eine Zeitzeugin mit je drei Schülerinnen oder Schülern, begleitet von einem der Organisatoren. Ein Treffen, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, fand im Garten eines Privathauses in der Ehrensteinstraße statt.

Bewaffnet mit Smartphones, aber auch mit Stift und Papier, wegen der sommerlichen Temperaturen bei kühlen Getränken, kamen wir zusammen und sprachen anderthalb bis zwei Stunden lang miteinander. Die Schüler waren gut vorbereitet, stellten klug formulierte Fragen und los ging‘s. Man hatte den Eindruck, die Zeitzeugen – Frauen und Männer zwischen Mitte 50 und Anfang 80 – hätten schon lange darauf gewartet, jungen Leuten von ihren Träumen, ihren Erfahrungen und Erlebnissen zu berichten.

Die Gespräche bereicherten zum einen den Unterricht der Klasse 10/1 und brachten den beteiligten Schülern interessante Einblicke (und höchstwahrscheinlich gute Zensuren). Zum anderen können auch Sie, die Leser des Gohlis Forums, davon profitieren. In jedem der nächsten Hefte bringen wir eine neue Folge der spannenden Geschichte in Geschichten.

In den Gohliser Katakomben – Keine Bierfässer mehr

von Ursula Hein

Viele waren gekommen, wollten doch einmal in die Katakomben der Gohlis-Brauerei schauen und sehen, was sich noch in diesen denkmalgeschützten Gewölben versteckt. Sie wurden nicht enttäuscht. Ausgangspunkt war die seit Jahren leerstehende, große Halle im Trakt der Stadtbücherei. Zwei nette junge Damen begrüßten uns und verteilten Namensschildchen, um eine Kontaktnahme der Besucher untereinander zu erleichtern. Außer uns sechs Vertretern des Bürgervereins Gohlis waren das Magistralenmanagement, die „Nacht der Kunst“, als Behördenvertreter die Leipziger Stadträte Elschner und Geisler, sowie viele interessierte Gohliser und Gohliserinnen mit Kind und Hund gekommen.

Nach erstem Kennenlernen bei Häppchen und Getränken begrüßte uns Frau Mittmann, Immobilienmanagerin der Kauflandgruppe, und informierte über Geschichte und momentane Situation des Kaufland-Quadrates, dann erzählte uns eine Marketenderin mit Korb und Schutenhut Geschichten über Brauerei und Bierbrauen. Schon im Zweistromland und im alten Ägypten verstanden sich die Frauen aufs Brotbacken und aufs Brauen.

Dann ging es über die Natonekstraße hinunter in die 12 Gewölbe der Unterwelt. Acht Seitengewölbe zweigen von einem mittleren höheren Gewölbegang nach beiden Seiten ab. In einigen sieht man noch die Auflagen für die Bierfässer, heute farbig illuminiert.

Hier unten sollen bis Ende 2020, wie uns Frau Mittmann berichtete, 37 Autostellplätze für die Gäste eines im rechten Seitenflügel geplanten Restaurants entstehen. Man hofft auf innovative Gastronomie gepaart mit kulturellen Angeboten, so wie es sich vor 9 Jahren die Stadt Leipzig wohl vorgestellt hat, als sie der Kauflandgruppe die Nutzung der Gewölbe als Tiefgarage genehmigte.

Die Gewölbe waren durch die lange Brache seit der Schließung der „Brauerei“ in einem beklagenswerten Zustand. Sogar die Kacheln drohten von den feuchten Wänden zu springen. Dank der Überbauung konnten sich die Keller erholen, die Wände trocknen, die Kacheln sind wieder ein sicherer Wandschmuck. Nach dem Umbau zu einer kleinen Tiefgarage sollen die Katakomben wieder allgemein zugänglich sein.

Viele Fragen konnten die Kauflandmitarbeitern in Einzel- und Gruppengesprächen beantworten. Für Anregungen aus den Reihen der Besucher war man durchaus offen.

Aber ein Betreiber für die Gastronomie wird jedoch dringend gesucht. Zwischenzeitlich hat sich die AG Geschichte ihre Gedanken zur Nutzung gemacht. Gohlis war das Zentrum der mechanischen Musikinstrumente. Es gibt nun heutzutage Sammler dieser Exponate, die gerne bereit wären, für ein Museum in der großen Halle ihre Sammlerstücke zur Verfügung zu stellen. (Einer hatte sich letzte Woche mit uns in Verbindung gesetzt). Eine kleine, aber feine Gastronomie könnte den Besuch dieses Museum dann zu einem echten Erlebnis werden lassen. Was allerdings noch fehlt, ist ein mutiger Gastronom bzw. eine Gastronomin mit Sinn für Kultur und dem nötigen Kleingeld, um diese Idee in die Tat umzusetzen.

Gesprächscafé „Mobilität in Gohlis – einst und jetzt“

Wir laden Sie herzlich ein zum Austausch von Erinnerungen an das Unterwegssein in Gohlis. Wenn Sie Zeit und Lust haben, dann kommen Sie am Mittwochnachmittag um 17 Uhr ins Musikzimmer des Budde-Hauses in der Lützowstraße 19! Bei Kaffee und Kuchen möchten wir uns mit Ihnen über das Thema unterhalten. Wir, das sind die Mitglieder der AG Stadtteilgeschichte des Bürgervereins.

Nehmen wir als Beispiel das Fahrrad. Zusammen mit dem öffentlichen Nahverkehr ist das Rad auch für Gohlis das Fortbewegungsmittel der Zukunft. Es ist umweltfreundlich, gesundheitsfördernd und platzsparend, oft sogar schneller als das Auto.

Doch Fahrräder gehören ja schon seit Jahrzehnten zum Straßenbild. Wo gab es in unserem Stadtteil vor 1990 Radwege? Welche Fahrradwerkstätten gab es damals? Wo haben Sie Ihr Rad gekauft? Was haben Sie mit ihm erlebt? Wie sind Sie zur Schule, zur Arbeit oder in den Garten gefahren?

Wir wollen uns aber nicht aufs Fahrrad beschränken. Auch andere Erinnerungen an den Straßenverkehr der Vergangenheit in Gohlis sind willkommen, mit Straßenbahn und Auto – und zu Fuß natürlich. Hintergrund ist das Thema des nächsten Jahreskalenders, den der Bürgerverein herausbringen will: „Unterwegs in Gohlis – einst und heute“. Dafür erhoffen wir uns von diesem Gesprächs-Café gedankliche Anregungen und vielleicht auch ganz konkrete Tipps oder Kontakte.