Von Harald Pfeifer

Etwas überlebensgroß beschreibt Meigl Hoffmann seine Zeit als Kneiper schon. Bei ihm gilt eine gute Geschichte ohnehin mehr als eine verbürgte. Fest steht jedoch, dass er im Alter von 23 ein knappes Jahr lang Leipzigs jüngster Kneiper war. Die Kneipe hieß „Goldenes Herz“ und befand sich in der Gohliser Straße, Ecke Fritz-Seger-Straße. Berüchtigt war sie und scheinbar gab es da keine Grenzen. Heute ist davon nur noch ein plakatverklebtes, von allen Geistern verlassenes Wohnhaus zu sehen. Dort hat der Leipziger Kabarettist mit 13 Jahren sein erstes Bier getrunken. Rochus Brünner, der Kneiper, fragte nicht viel. „Der war oft selbst im ‚Zauberwald‘“, sagt Meigl Hoffmann heute.

Die Kneipe als Wohnzimmer
Gerade erst ausgereist, kam er nach dem Mauerfall aus Frankfurt a.M. zurück und verdiente seinen Lebensunterhalt erst einmal als Anstreicher. Das „Goldene Herz“ wurde quasi sein Wohnzimmer. Nach der Währungsunion wurde es dann für die Kneipe eng. Das deutete der junge Mann als seine Aufgabe und übernahm sie kurzerhand. Nicht als Eigner, sondern als Mittelpunkt und Herr über das Bier und die Gäste nahm er die Kneipe als Bühne und gab den Kneiper.

Zunächst hatte er mit Mühe und jugendlichem Eifer die Gasträume in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Das alte Mobiliar aus dem 20er Jahren war teils noch vorhanden, einzelne Stücke kamen hinzu. „Ich hab immer gesagt, jeder Blick in die Kneipe muss ein Motiv für eine Postkarte sein. Und so wurde es dann auch.“ Das Geld dafür hatte Hoffmann sich von seiner Großmutter geborgt.
„Ich hatte große Sehnsucht nach einer wirklich funktionierenden Kneipe, einer Kleinkunstkneipe, einer Arbeiterkneipe“, erinnert sich Meigl Hoffmann. Im Hinterkopf hatte er einen Treff für Durstige aus allen Bevölkerungsschichten. Und so wurde es dann auch. Da saß der Knastologe neben dem Gewandhausmusiker, der Polizeisprecher neben dem Schichtarbeiter, da war auch der Bluesmusiker Hexe und sang: „Arbeitslos und ohne Moos/Arbeitslos da sind die Sorgen groß/denn ohne Moos ist bekanntlich nicht viel los…“ und alle grölten mit. Typen waren da versammelt wie auf Lindenbergs „Andrea Doria“.

Jazz, Blues und Kabarett – alles aus dem Ärmel
Von August 1990 bis Juli 1991 lief dann ununterbrochen der Zapfhahn. Es entfesselte sich ein derbfröhliches Wirtshausleben. So viele durstige Menschen hatte man im „Goldenen Herzen“ noch nicht erlebt. Es kamen Radioleute aus der Springerstraße, Schüler von der Leibniz-Schule, Zecher von nebenan und auch Musikstudenten. Die hatte der Saxofonist und Musikhochschul-Dozent Frank Nowitzki mitgebracht. Er selbst spielte auch. Für Darbietungen aller Art war im Gastraum rechts vom Tresen ein kleines Podest aufgestellt. Vor allem wurde Jazz gespielt, und bezahlt wurde aus der Trinkgeldkasse. Auch Micha „Codse“ Malditz von Mama Basuto hatte dort Blues zum Whisky bis zum Umfallen gespielt. Alles passierte aus dem Moment heraus, ein Programm gab es nicht.

Konzertatmosphäre herrschte freilich nicht. Da machte jeder, was er wollte. Die einen hörten zu, andere hatten Durst oder unterhielten sich. Selbst trat der Kneiper auch auf. Als Kabarettist mit der Urbesetzung vom Gohglmohsch und ihrem Lene-Voigt-Abend. Gern erzählt Hoffmann davon, dass Thilo Lambrecht vom Schauspielhaus damals das Programm sehr gelobt habe. Besonders die Anarchie darin hatte es ihm angetan. Der junge Hansdampf Hoffmann war natürlich immer Mittelpunkt. Sein Lohn war das Trinkgeld, den Ertrag strich Rochus Brünner ein. Im „Goldenen Herzen“ lief alles etwas bohem.

Rotlichtszene übernimmt die Kneipe
Das ging ein knappes Jahr so und dann war Schluss. Dem jüngsten Kneiper Leipzigs blieb gerade noch das Geld für eine Schachtel Zigaretten. Das Geborgte von der Großmutter war weg. Aber pleite war das „Goldene Herz“ damals nicht. Rochus Brünner, der alte Kneiper, wollte in Rente gehen und die Kneipe verkaufen. Das kriegten die Betreiber des Wohnwagenstrichs in der Roscherstraße mit. Sie suchten gerade nach einem Standort für ihr Hauptquartier. Nachdem sie das „Goldene Herz“ gekauft hatten, zerschlugen sie erst einmal das Mobiliar. Das war bitter, doch Kneiper auf Dauer wollte Meigl Hoffmann ja ohnehin nicht sein. Aber so war er in Leipzig immerhin bekannt geworden. Die käufliche Liebe hat im „Goldenen Herzen“ nur wenige Monate gebrannt. Dann erlosch sie zusammen mit der behördlichen Auflösung der Wohnwagenburg in der Roscherstraße.