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OL 8. Menschen in Gohlis

Adolf Bleichert

von Matthias Judt

Adolf Bleichert (voller Name: Hermann Adolf Bleichert) (1845 *Buch b. Bitterfeld (1) – +1901 Davos/Schweiz)

Der Unternehmer Adolf Bleichert wurde am 31. Mai 1845 in Buch bei Bitterfeld als Sohn eines in Wittenberg und in Gohlis (bei Leipzig) tätigen Mühlenpächters geboren. Er wuchs in Gohlis auf. Nach dem Studium am Königlichen Gewerbeinstitut in Berlin, einem der Vorläufer der heutigen Technischen Universität Berlin, trat er 1870 in die Martinsche Maschinenfabrik in Bitterfeld ein. 1872 wechselte er zur Halle-Leipziger Maschinenfabrik und Eisengießerei AG in Schkeuditz. Im gleichen Jahr baute er seine erste Drahtseilförderbahn. (2)

Am 1. Juli 1874 gründete er mit seinem Studienfreund Theodor Otto im Zentrum Leipzigs ein kleines Ingenieurbüro für Drahtseilbahnen, dessen erster technischer Erfolg der Bau einer Materialseilbahn in Teutschenthal war. Bereits am 23. August 1876 trennten sich ihre Wege. Bleichert führte das Unternehmen als „Adolf Bleichert. Technisches Büro. Fabrik für Drahtseilbahnen“ zunächst allein weiter. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1877 trat dann jedoch sein Schwager, der Kaufmann Peter Heinrich Piel, in das Unternehmen ein. Es entstand die Adolf Bleichert & Co., Fabrik für Drahtseilbahnen in Neuschönefeld, das Technische Büro wurde weiter im Leipziger Zentrum betrieben. (3)

Vier Jahre später (1881) verlagerten Bleichert und Piel ihr Unternehmen nach Gohlis und beschäftigten dort 20 Angestellte sgn „Beamte“ und 70 Arbeiter. Das Unternehmen firmierte als „Adolf Bleichert & Co oHG Gohlis“. (4) Nach Piels Tod am 30. Juli 1887 übernahmen dessen Frau Anna, eine Schwester Bleicherts, und ihre gemeinsamen Kinder die Anteile, wurden jedoch bereits im darauffolgenden Jahr von Adolf Bleichert ausbezahlt. (5)

Adolf Bleichert starb, erst 56jährig, am 29. Juli 1901 während eines Kuraufenthaltes in Davos. Er wurde auf dem Friedhof Leipzig-Gohlis beigesetzt. (6), wo das Grab vom BV Gohlis gepflegt wird.

(1) vgl. Herbert Pönicke, „Bleichert, Adolf“ (im Folgenden „Pönicke 1955“), in: Neue Deutsche Biographie, Band 2. Behaim – Bürkel, Berlin (West) 1955 (Nachdruck 1971), S. 298-299 (Onlineversion: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11620141X.html#ndbcontent). In anderen Quellen wird Dessau als Geburtsort Bleicherts angegeben (vgl. http://www.vonbleichert.eu/bleichert/; https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Bleichert; http://www.bergbahngeschichte.de/bleichert.htm.
(2) vgl. http://www.bergbahngeschichte.de/bleichert.htm; https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Bleichert; Pönicke 1955.
(3) vgl. „Adolf Bleichert & Co“, in http://www.vonbleichert.eu/bleichert/ (aufgerufen am 29. Juni 2017); Manfred Hötzel, Adolf Bleichert & Co. Leipzig-Gohlis. Kleine Beiträge zu einer großen Geschichte (=Gohlis Forum, Sonderausgabe, Dezember 2010), Leipzig 2010 (abzurufen unter www.buergerverein-gohlis.de/media/…/Sonderausgabe-Bleichertausstellung.pdf, im Folgenden „Hötzel 2010“), S. 8.
(4) vgl. http://www.leipzig-gohlis.de/tourismus/bleichert.html; André Winternitz, „Drahtseilbahnfabrik Adolf Bliechert“ (im Folgenden „Winternitz 2012“), in: http://www.rottenplaces.de/main/drahtseilbahnwerk-adolf-bleichert-3370/.
(5) vgl. Manfred Hötzel, „Die Firma Adolf Bleichert & Co. Leipzig-Gohlis und die Nachfolgebetriebe SAG Bleichert und VEB Verlade- und Transportanlagen Leipzig (VTA)/Verlade- und Transportanlagen GmbH“ (im Folgenden „Hötzel 2017a“), in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Markleeberg 2017 (im Folgenden „Bürgerverein 2017“), S. 159-164, hier S. 160; Hötzel 2010, S. 9 und 16, „Adolf Bleichert & Co“, in http://www.vonbleichert.eu/bleichert/ (aufgerufen am 29. Juni 2017).

Johann Gottlieb Böhme

von Matthias Judt

Johann Gottlieb Böhme (*1717 Wurzen – +1780 Gohlis bei Leipzig)

Der Historiker Böhme wurde am 20. März 1717 in Wurzen geboren. Er studierte von 1736 bis 1747 an der Universität Leipzig und schloss sein Studium mit der Promotion ab. Vier Jahre später wurde er von der gleichen Universität zum außerordentlichen und 1758 zum ordentlichen Professor für Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Leipziger Universität berufen. Zudem lehrte er Staatsrecht an der dortigen Juristenfakultät. In den Jahren 1760, 1764, 1768 und 1772 leitete er Rektor die Universität. (1)

Im Jahr 1766 wurde Böhme zum kurfürstlich-sächsischen Hofrat und Hofhistoriographen ernannt. (2)

Im Jahr 1771 heiratete Böhme die Witwe des Leipziger Ratsbaumeisters Johann Casper Richter (1708 – 1770) Christiana Regina und kam auf diese Weise in den Besitz des Gohliser Schlösschens. Im Jahr darauf erwarb er aus dem Nachlass des Leipziger Professors Lüder Mencke das Rittergut Gohlis und wurde damit Erb-, Lehn- und Gerichtsherr des Dorfes Gohlis. Böhme starb am 20, Juni 1780 in Gohlis. (3)
Noch heute ist nach ihm eine Straße in Gohlis benannt, die ihren Namen 1875 erhielt. (4)

(1) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlob_Böhme.
(2) vgl. https://www.leipzig-lexikon.de/biogramm/Boehme_Johann_Gottlob.htm.
(3) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlob_Böhme.
(4) vgl. https://www.leipzig-lexikon.de/biogramm/Boehme_Johann_Gottlob.htm.

M. Alf Brumme

von Matthias Judt

M. Alf Brumme (voller Name Max Alfred Brumme) (1891 Leipzig – 1967 Braunschweig)

Der Maler und Bildhauer Brumme wurde am 19. Februar 1891 als Sohn eines Buchbinders in Leipzig geboren. Nach seiner künstlerischen Ausbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Dresden und Leipzig absolvierte Brumme nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zunächst eine Lehramtsprüfung im Bereich Zeichnen. Danach war er als Lehrer an der Leipziger Kunstgewerbeschule tätig. (1)

Seit 1927 war Brumme freischaffend tätig. Schon wenige Jahre später schuf er eines seiner Hauptwerke – die künstlerische Ausgestaltung der Versöhnungskirche am Viertelsweg in Gohlis, u. a. mit einer vier Meter hohen Christusstatue, einem Altarkruzifix in der Feierkirche und Entwürfen für das Liturgische Gerät. (2) Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schuf er das den Krieg anklagende Triptychon in der Feierkirche „Passion 1945“, zu dem er am 1. Mai 1950 eine Erläuterung lieferte. (3)

In der Zeit des Nationalsozialismus hatte Brumme auch propagandistische Monu-mentalplastiken entworfen und Porträtbüsten von Adolf Hitler geschaffen. So reichte er im Jahre 1935 im Zuge eines Wettbewerbs den – nicht ausgeführten – Entwurf eines Kriegerdenkmals für die Leipziger Peterskirchgemeinde ein, dessen Inschrift lauten sollte: „Heiliger Kampf um deutsches Land, Heiliges Schwert in Kriegers Hand, Heiliges Blut, dem Sieg geweiht, Dank Euch in Ewigkeit!“. Umgesetzt wurde ein Gefallenendenkmal am Portal der Kirche. (4) Zwischen 1937 und 1944 nahm er zudem an allen „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ mit zahlreichen Monu-mentalbronzen teil. (5)

Bereits 1962 erwarb der Künstler an der Ostwand des Friedhofs Leipzig-Gohlis eine Grabstätte, die er mit einem selbst entworfenen Pietà-Relief aus der Hand seines Schülers Hans Joachim Förster ausstatten ließ. Zwar reiste Brumme 1965 nach dem Tod seiner Frau im Rahmen der Familienzusammenführung zu seinem Sohn nach Braunschweig in die Bundesrepublik aus. Nach seinem eigenen Tod am 10. Juni 1967 in Braunschweig wurde seine Asche auf dem Friedhof am Viertelsweg in Gohlis bestattet. (6)

(1) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Alfred_Brumme.
(2) vgl. http://versoehnungs-gemeinde.de/fv/http_docs/Brumme.htm.
(3) vgl. Alf Brumme, Zu meinem Triptychon ‚Passion 1945’“, in: http://versoehnungs-gemeinde.de/fv/http_docs/Text_Triptichon.htm.
(4) vgl. Sebastian Kranich: Das Kriegerehrenmal vor der Peterskirche Leipzig – ein Problem. In: Herbergen der Christenheit, Bd. 28/29 (2004/2005), Leipzig 2006, S. 281–288, darauf verwiesen in https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Alfred_Brumme.
(5) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Alfred_Brumme.
(6) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Alfred_Brumme.

Alfons David

von Matthias Judt

Alfons David 1866 Speyer – 1954 Pasadena (USA)

Der spätere Reichsgerichtsrat Alfons David wurde am 13. Juni 1866 in Speyer/Pfalz geboren. Nach Ablegen der beiden Staatsprüfungen 1888 bzw. 1892 wurde er zunächst Hilfsrichter in Köln, Elberfeld, Trier und Düsseldorf, eher er 1901 zum Amtsrichter beim Amtsgericht Opladen berufen wurde. Fünf Jahre später stieg er als Landrichter am Landgericht Köln die Karriereleiter weiter hinauf und wurde dort im Jahr darauf (1907) zum Landgerichtsrat berufen. Zwei Jahre später wurde er Oberlandesgerichtsrat in Düsseldorf. (1)

Mit Wirkung vom 1. Februar 1918 wurde er zum Reichsgerichtsrat nach Leipzig berufen und elf Jahre später sogar Senatspräsident. David war Vorsitzender des neu geschaffenen VIII. Zivilsenats und Präsident eines der Senate des Ehren-
gerichtshofes der Rechtsanwälte. (2)

1920 kaufte David die ehemalige Röder-Villa im Schillerweg 15. Gut 18 Jahre später verkaufte er sie an seinen Mieter, den Elektrochemiker Max Le Blanc, in einem augenscheinlichen Strohmanngeschäft. Die Villa sollte David „in besseren Zeiten“ zurückgegeben werden, wurde aber im Dezember 1943 bei einem der Luftangriffe auf Leipzig komplett zerstört. (3)

Kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde David im März 1933 durch den Reichsgerichtspräsidenten Erwin Brumke (1874 – 1945) zunächst beurlaubt und zum 1. August des gleichen Jahres in den Ruhestand versetzt. (4) David hatte es nichts genutzt, dass er in einem Brief an Adolf Hitler seine nationale Gesinnung beteuert und um die Gelegenheit gebeten hatte, „auch dem neuen Reiche seine Treue bezeugen zu dürfen.“ (5)

Im Januar 1939 emigrierte David zunächst nach Luxemburg und von dort zwei Monate später in die USA. (6)

Alfons David starb am 11. Juni 1954 im kalifornischen Pasadena. (7)

(1) Alfons David, in https://de.wikipedia.org/wiki/Alfons_David, aufgerufen am 26. Februar 2018.
(2) Alfons David, in http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/2239672, aufgerufen am 26. Februar 2018.
(3) vgl. Elisabeth Guhr, „David, Alfons“, in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Markleeberg 2017, S. 317.
(4) Alfons David, in http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/2239672, aufgerufen am 26. Februar 2018.
(5) Zusammengestellt und zitiert nach Gerhard Paul, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin/New York, 1992, S. 13, dort nach Friedrich Karl Kaul, Geschichte des Reichsgerichts. Band IV (1933 – 1945), Berlin (Ost) 1971 (im Folgenden „Kaul 1971“), S. 54.
(6) vgl. Kaul 1971, S.53f.
(7) Alfons David, in https://de.wikipedia.org/wiki/Alfons_David, aufgerufen am 26. Februar 2018.

Peter Gläser

von Matthias Judt

Peter „Cäsar“ Gläser 1949 Leipzig – 2008 Leipzig

Der Musiker Gläser wurde am 7. Januar 1949 in Leipzig geboren. (1) Als Kind erhielt er Musikunterricht an verschiedenen Instrumenten. Ab 1965 erlernte er autodidaktisch das Gitarrenspiel. 1966 konnte er Klaus Jentzsch (1942 – 2006, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Klaus Renft) von seinen musikalischen Fähigkeiten überzeugen und trat mit diesem zusammen als Barmusiker auf. Im Jahr darauf nahm Renft Gläser als Gitaristen in seine „Klaus Renft Combo“ (später als „Renft“ bekannt) auf, in der – nach Ableisten seiner Wehrpflicht bei der NVA ab 1969 bis zum Verbot der Band im Jahre 1975 spielte. Sie wurde einer der führenden Rockbands der DDR, und Titel wie „Wer die Rose ehrt“ und „Zwischen Liebe und Zorn“, die Gläser komponierte, wurden Hits. (2)

Nach dem Verbot von „Renft“, wie die Combo kurz seit 1974 hieß, gründete Gläser gemeinsam mit dem Renft-Schlagzeuger Jochen Hohl (geb. 1944) die ebenso erfolgreiche Rockband „Karussell“, die mehrere erfolgreiche Produktionen aus der Feder Gläsers einspielte. „Die häufig wechselnde Bandbesetzung sowie der Zwang, sich ständig mit den DDR-Behörden arrangieren zu müssen und dennoch an den Traditionen von Renft festhalten zu wollen, machten Gläser, der das Profil der Band maßgeblich geprägt hatte, „müde“, so dass er 1983 schließlich frustriert die Band verließ.“ (3)

Im gleichen Jahr gründete Gläser „Cäsers Rockband“. Mit unterschiedlichen Bandzusammensetzungen versuchte Gläser, an frühere Erfolge mit Renft und Karussell anzuknüpfen. Mit seinen Liedtexten geriet er jedoch erneut in Konflikt mit DDR-Kulturfunktionären. Als Gläser 1985 nach einem Konzert bei der NVA in das Gästebuch des Regiments schrieb, dass man besser ohne Armee auskomme, kam es zum Eklat. Man warf ihm seine pazifistische Haltung vor und sagte deshalb eine geplante Plattenaufnahme und die Konzerte der Band ab. Daraufhin löste er seine Band auf, stellte einen Ausreiseantrag und zog sich zeitweilig aus dem Musikgeschäft zurück. Ab 1987 trat er jedoch wieder auf, unter anderem mit seinen beiden Söhnen. Nach erneuten Auseinandersetzungen mit den DDR-Behörden wurde Gläser schließlich Ostern 1989 nach Berlin-West ausgewiesen. Dort verdingte er sich zunächst als Taxifahrer. (4) Bis zu seiner Ausreise hatte er seit 1981 in der Lindenthaler Straße gewohnt. (5)

Nach dem politischen Umbruch in der DDR versuchte er ab 1991 mit verschiedenen Bands und mit unterschiedlichen Erfolg ein Comeback. 2007 offenbarte er in seiner Autobiografie (6) zum wiederholten Male, von 1967 bis 1989 als „inoffizieller Mitarbeiter“ des MfS tätig geworden zu sein. (7)
Im Juli 2007 musste Gläser ein Konzert abbrechen (seine Band spielte weiter). Wenige Monate später wurde im Dezember bei ihm Krebs diagnostiziert. Er erlag der Krankheit am 23. Oktober 2008 in einer Leipziger Klinik. (8)

(1) vgl. https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3b-1424.html?ID=1003, gedruckt: Rainer Bratfisch, „Gläser, Peter ‚Cäsar’“ (im Folgenden „Bratfisch 2010“), in: Helmut Müller-Enbergs et al. (Hg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biografien (im Folgenden „Müller-Enbergs 2010“). 5., aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Berlin 2010, S. 395f, hier S. 395. (2) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gläser; https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Renft_Combo.
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gläser.
(4) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gläser.
(5) vgl. Annekathrin Merrem, „Gläser, Cäsar Peter. 1949 – 2008“, in Bürgerverein Gohlis 2017, S. 330.
(6) vgl. Peter Gläser, Gerhard Pötzsch: Wer die Rose ehrt. Die Autobiografie, Leipzig 2007.
(7) siehe Bild vom 11. März 2007.
(8) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gläser; Bratfisch 2010, S. 395.

Hans Kroch

von Matthias Judt

Hans Kroch (voller Name Hans Meyer Zvi Kroch) 1887 Leipzig – 1970 Tel Aviv (Israel)

Der Bankier und Investor Kroch wurde am 3. Juni 1887 als Deutscher jüdischen Glaubens in Leipzig geboren. Er war seit 1922 Bankier in der 1877 von seinem Vater Martin Samuel Kroch (geb. 20. November 1853, gest. 25. Oktober 1926) im Jahre 1877 gegründeten Privatbank Kroch jr. KGaA und wurde später deren persönlich haftender Gesellschafter. Das Bankhaus befand sich am Augustusplatz im Leipziger Zentrum im ersten, in Leipzig errichteten Hochhaus („Krochhaus“). (1)

1923 gehörte Kroch zu den Gründern der Leipziger Messe- und Ausstellungs-AG, in deren Aufsichtsrat er lange Sitz und Stimme hatte. Er war zudem Hauptaktionär der „Aktiengesellschaft für Haus- und Grundbesitz“, die 1929/30 die Siedlung Neu-Gohlis (heute bekannt als Krochsiedlung) errichtete. (2)

Kroch gehörte neben weiteren Mitgliedern seiner weiteren Familie zu den Gründern und Förderern der orthodoxen Brodyer-Synagoge in der Keilstraße, der einzigen, in Sachsen heute noch existierenden Synagoge.(3)

Unmittelbar nach der Pogromnacht wurde Hans Kroch von den Nationalsozialisten am 10. November 1938 gemeinsam mit seinem Bruder Kurt (Curt) Isaac Kroch (geb. 30. März 1884 in Leipzig, gest. 1960) verhaftet. Sie wurden in die Konzentrationslager Sachsenhausen bzw. Buchenwald verbracht und erst wieder entlassen, als Hans Kroch für sich und seine gesamte Familie eine Verzichtserklärung auf das Gesellschaftsvermögen des Bankhauses Kroch und all ihre Beteiligungen abgegeben hatte. (4) Darunter gehörte nicht zuletzt das Stadttheater in Leipzig, für das die Leipzig 2006 an Krochs Enkel Hillel Tscharni eine Entschädigung zahlte. (5)

Nach seiner Haftentlassung floh Kroch gemeinsam mit seinen Kindern zunächst nach Amsterdam. Dorthin sollte ihnen auch seine Ehefrau Ella Kroch, geb. Baruch (geb. 16. Juli 1896 in Karlruhe, ermordet am 12. Mai 1942 im KZ Ravensbrück (6)) folgen. Sie war jedoch bei ihrem eigenen Fluchtversuch im Februar 1940 an der deutsch-niederländischen Grenze festgenommen und drei Monate später ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht und zwei Jahre später umgebracht worden. (7)

Hans Kroch emigrierte zunächst nach Argentinien und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel aus. Dort errichtete er in Jerusalem eine Hotelanlage. Hans Kroch starb am 7. Februar 1970 in Jerusalem. (8)

(1) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kroch.
(2) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kroch.
(3) vgl. Elisabeth Guhr, „Kroch, Meyer Hans“ (im Folgenden „Guhr, Kroch 2017“), in Bürgerverein Gohlis 2017, S. 322f, hier S. 322; Barbara Kowalzik, Jüdisches Erwerbsleben in der inneren Nordvorstadt Leipzigs. 1900 – 1933, Leipzig 1999, S. 29f.
(4) vgl. https://www.geni.com/people/Hans-Kroch/6000000002215913862; Guhr, Kroch 2017, S. zz. Näheres zur „Arisierung“ des Bankhauses Kroch jr. siehe Ingo Köhler, Die „Arisierung“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung (=Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. Band 14), 2. Auflage, Münchden 2008, S. 380f.
(5) vgl. http://www.n-tv.de/politik/dossier/Israel-erstattet-nicht-article337496.html.
(6) Guhr gibt als Sterbeort die Tötungsanstalt in Bernburg an (vgl. Guhr, Kroch 2017, S. 323).
(7) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kroch; Guhr, Kroch 2017, S. 323.
(8) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kroch; Guhr, Kroch 2017, S. 323.

Christian „Kuno“ Kunert

von Matthias Judt

Christian „Kuno“ Kunert 1952 Leipzig

Der Musiker Kunert wurde am 20. Mai 1952 in Gohlis geboren. Von 1961 bis 1965 war er Mitglied des Thomanerchores und gründete 1964 seine erste Schülerband. Nach dem Abitur an der Thomasschule und einer gleichzeitig abgeschlossenen Ausbildung zum Betriebsschlosser nahm er ein Musikstudium auf. 1971 stieg er als Keyboarder in die „Klaus Renft Combo“ ein. Er blieb bis deren Verbot im Jahre 1975 Mitglied der Band.

Nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 beteiligte sich Kunert an Protesten dagegen. Das führte schließlich dazu, dass er zur Ausreise aus der DDR gezwungen wurde, die er am 26. August 1977 verließ.

In West-Berlin arbeitete Kunert als Komponist für Filmmusiken (auch fürs Fernsehen) und war 1988/89 musikalischer Leiter des West-Berliner Kabaretts „Die Stachelschweine“. Nach 1990 trat er gehäuft mit Konzerten, gerade auch wieder im Osten Deutschlands, auf. Seit 1993 lebte er im Oberharz und stieg 1998 erneut in die wieder bestehende Klaus Renft Combo ein, der er bis 2005 angehörte. 2006 verlor er indes sein Gehör. (1)

(1) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Kunert; „Christian Kunert“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung November 2016, www.jugendopposition.de/145514. Siehe auch: http://www.kuno-kunert.de/main.html.

Max Le Blanc

von Matthias Judt

Max Le Blanc (voller Name Max Julius Louis Le Blanc) 1865 Barten (heute Barciarny/Polen) – 1943 Leipzig

Der Chemiker Le Blanc wurde am 26. Mai 1865 in Barten (damals Ostpreußen) als Sohn eines Baurats geboren. Von 1883 bis 1886 studierte er Chemie an den Universitäten in Tübingen, München und Berlin. Nach der Promotion (1888) in Berlin wandte er sich der Elektrochemie zu. In Leipzig befasste er sich ab 1890 „mit der Frage nach der Zersetzungsspannung von Elektrolytlösungen und wies experimentell nach, dass für jedes Ion eine charakteristische Abscheidungsspannung existiert. In diesem Zeitraum erschienen allein sieben Arbeiten in der Zeitschrift für physikalische Chemie.“ Sein 1895 erschienenes Lehrbuch zur Elektrochemie sollte allein 17 Auflagen erleben. Lebenslang engagierte er sich in der Deutschen Bunsen-Gesellschaft, deren Vorsitzender er in den Jahren 1911 bis 1914 war. (1)

Nach seiner Habilitation 1891 in Leipzig hielt er 1895/96 als außerordentlicher Professor an der Leipziger Universität Vorlesungen, wechselte dann jedoch zu den Farbwerken Hoechst nach Frankfurt/Main, deren elektrochemische Abteilung er mit aufbaute. (2)

Im Oktober 1900 folgte Le Blanc dem Ruf auf den Lehrstuhl für Physikalische Chemie und Elektrochemie der Technischen Hochschule Karlsruhe. 1903 entstand hier das erste Institut für Elektrochemie an einer deutschen Hochschule. 1926 ernannte die Hochschule Le Blanc zum Ehrendoktor. (3)

1906 kehrte Le Blanc als Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an die Universität Leipzig zurück. Er behielt dieses Amt bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1933. Im akademischen Jahr 1925/26 war er zudem Rektor der Universität Leipzig. (4)

Am 11. November 1933 gehörte Le Blanc zu den Mitunterzeichnern des „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, das an diesem Tag als „Gelöbnis deutscher Gelehrter“ in der Alberthalle in Leipzig vorgetragen wurde. Initiiert vom Nationalsozialistischen Lehrerbund Sachsen wurde das „Bekenntnis“ unter dem Titel „Mit Adolf Hitler für des deutschen Volkes Ehre, Freiheit und Recht!“ publiziert, die damit ein „Bekenntnis freier und politisch nicht gebundener deutscher Gelehrter“, einen „Ruf an die Gebildeten der Welt“ veröffentlichen wollten. (5)

Das öffentlich vorgetragene Gelöbnis hinderte Le Blanc indes nicht, sich 1938 als Strohmann beim Kauf des ursprünglich von Alfons David (1866 – 1954), Senatspräsident am Reichsgericht Leipzig, zu fungieren. David war bereits 1933 als Deutscher jüdischen Glaubens aus Deutschland geflohen und lebte 1938 In Paris, ehe er im Jahr darauf in die USA emigrierte. David verkaufte seine am Schillerweg 15 in Gohlis gelegene Villa 1938 an seinen Mieter Le Blanc, der sie „in besseren Zeiten“ wieder zurückgegeben wollte. (6)

Le Blanc verstarb am 31. Juli 1943 in Leipzig und erlebte deshalb nicht mehr die Zerstörung der Villa beim Luftangriff auf Leipzig im Dezember 1943. (7)

(1) wiedergegeben und zitiert nach Ulf Messow, „Le Blanc, Max Julius Louis, in:
Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky, 4. April 2014 (im Folgenden „Messow 2014“). Online: http://saebi.isgv.de/biografie/Max_Le_Blanc_(1865-1943), aufgerufen am 29. Dezember 2017.
(2) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Le_Blanc, aufgerufen am 29. Dezember 2017.
(3) vgl. Messow 2014.
(4) vgl. Messow 2014; https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Le_Blanc, aufgerufen am 29. Dezember 2017.
(5) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnis_der_deutschen_Professoren_zu_Adolf_Hitler, aufgerufen am 29. Dezember 2017. Le Blancs Name findet sich dort unter dem Buchstaben „B“.
(6) vgl. Elisabeth Guhr, „David, Alfons“, in Bürgerverein Gohlis 2017, S. 317.
(7) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Le_Blanc, aufgerufen am 29. Dezember 2017; Elisabeth

Kurt Lisso

von Matthias Judt

Kurt Lisso (voller Name Ernst Kurt Lisso) 1892 Großbadegast – 1945 Leipzig

Der spätere Stadtkämmerer und stellvertretende Bürgermeister der Stadt Leipzig wurde am 7. März 1892 in Großbadegast geboren. Er studierte bis 1914 Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig, promovierte 1922 mit einer Arbeit zur Entwicklung des Jugendstrafrechts in Deutschland und arbeitete bereits seit dem Ende des Ersten Weltkrieges als selbständiger Rechtsanwalt in Leipzig. (1)

Im Dezember 1933 wurde er zum hauptamtlichen Stadtrat und Leiter des Personalamtes der Stadt Leipzig, 1940 dann zum Stadtkämmerer und stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Leipzig berufen. Innerhalb der Stadtverwaltung war Lisso einer der Hauptakteure antisemitischer Politik und profitierte selbst davon: 1942 wurde die Stadt Eigentümerin des zuvor zum „Judenhaus“ erklärten Wohnhauses des jüdischen Kaufmanns Adolf Nathan Bickart (1872 – 1945) in der Gohliser Kleiststraße 111, in das sodann Lisso mit seiner Familie zog. (2)

Lisso versinnbildlichte aber vor allem mit seinem Selbstmord im April 1945 die völlige ideologische Verblendung der kommunalen NS-Funktionärsschicht. Im Angesicht des Einmarsches amerikanischer Truppen hatten im Neuen Rathaus eine ganze Reihe von lokalen NS-Größen den Freitod gewählt – meist gemeinsam mit ihren nächsten Familienangehörigen. Mit Kurt Lisso starben am 18. April 1945 auch seine Ehefrau Renate (1895 – 1945) und seine Tochter Regina (1924 – 1945). (3) Das von Margerete Bourke-White am 20. April 1945 gemachte Foto der toten Familie Lisso wurde nach seiner Veröffentlichung im US-amerikanischen Magazin Life weltberühmt. Es kommentierte dieses und andere Fotos mit den wenig freundlichen Worten: „“Germans stopped killing others and began killing themselves.” (4)

(1) vgl. Kurt Lisso, in https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Lisso, aufgerufen am 26. Februar 2018.
(2) vgl. ebd. und Elisabeth Guhr, „Bickart, Adolf Nathan“, in Bürgerverein Gohlis 2017, S. 316f, hier S. 317.
(3) vgl. Kurt Lisso, in https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Lisso, aufgerufen am 26. Februar 2018.
(4) vgl. Life vom 14. Mai 1945; Time vom 30. April 2015. Zur „Selbstmordepidemie“ unter NS-Funktionären 1945 siehe Florian Huber: Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945, Berlin 2014.

Max Schwimmer

von Matthias Judt

Max Schwimmer (voller Name Robert Richard Max Schwimmer) 1895 Leipzig – 1960 Leipzig

Der Zeichner und Graphiker Schwimmer wurde am 9. Dezember 1895 (1) in Leipzig als Sohn eines Buchbinders geboren und wuchs in Lindenau auf. Nach kurzer Ausbildung arbeitete Schwimmer ab 1916 als Hilfslehrer außerhalb von Leipzig. Seine Berufung war es jedoch, als Maler, Grafiker, Illustrator zu arbeiten. Bereits 1917 mietete er jedoch Räumlichkeiten in Leipzig für sein erstes eigenes Atelier an. Im gleichen Jahr begann er, die Ausstellungen des „Vereins der Leipziger Jahresausstellungen“ mit eigenen Werken zu beschicken (bis 1922). (2) 1918 arbeitet er in der revolutionären Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst »Die Aktion« mit, 1919 (als Illustrator) in der Zeitschrift „Der Drache“. (3)

1922 werden für Max Schwimmer in Frankfurt/Main und in Mannheim erstmals Einzelausstellungen durchgeführt. Frisch verheiratet, konnte er aber noch nicht den Lebensunterhalt seiner Familie mit seiner Kunst bestreiten, sondern arbeitete weiter als Lehrer. 1923 trat Schwimmer der SPD bei und wurde im Jahr darauf Pressezeichner und Rezensent für kulturelle Ereignisse in deren „Leipziger Volkszeitung“, arbeitet aber weiter auch für andere Zeitschriften. Ab 1925 wohnte Schwimmer in Gohlis (bis 1950), unter anderem in der heutigen Lützowstraße und in der Sassstraße. (4)

1931 wurde Schwimmer Leiter der Klasse für figürliche und andere Bildflächenkomposition und der Werkstatt für alte und neue Farbtechniken/Fresko an der Kunstgewerbeschule. (5) Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 enden sowohl die Tätigkeit für die LVZ als auch die an der Kunstgewerbeschule. (6) Nach mehreren Auslandsreisen wird Schwimmer wieder in Leipzig freischaffend tätig, kann aber nicht ausstellen. Er arbeitete ab 1937 sehr erfolgreich als Buchillustrator und ist bis 1944 an 25 Titeln beteiligt. (7)

Bei den schweren Bombenangriffen auf Leipzig 1943 und 1945 wird sein Wohnhaus schließlich vollständig zerstört. Dabei ging auch ein Großteil seiner Werke und seine Bibliothek verloren. Im August 1944 wird Schwimmer, nach mehreren „UK-Stellungen“ (UK: „unabkömmlich“) zur Wehrmacht eingezogen, musste aber nicht an die Front. Am 24. Juli 1945 kehrte er bereits mit seiner zweiten Ehefrau nach Leipzig zurück und konnte dort noch im gleichen Jahr fünf neue Bücher illustrieren. Am 14. Dezember 1945 trat Schwimmer der KPD bei. (8)

Im April 1946 wurde Schwimmer zum Professor und Leiter der Abteilung Graphik an der Staatlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe berufen und gleichzeitig Prorektor der Einrichtung. Dort war er von 1946 bis 1950 tätig, ab 1947 zudem Direktor der Leipziger Kunstgewerbeschule. (8) 1951 wurde er infolge einer gezielten Kampagne von seiner dortigen Tätigkeit entbunden, im Oktober desselben Jahres allerdings als Leiter der Abteilung Grafik an die Dresdner Hochschule für Bildende Künste berufen. In Leipzig war ihm, der von 1946 bis 1950 sogar für die SED Stadtverordneter geworden war, sein Auftreten gegen dogmatische Kunstauffassungen zum Verhängnis geworden. In Dresden blieb er bis zu seinem Tod tätig. (9)

Ab 1948 beteiligte sich Schwimmer, gemeinsam mit Kollegen, immer wieder an von der Kulturkommission bzw. der (ostdeutschen) Akademie der Künste organisierten Reisen in die Westzonen bzw. die Bundesrepublik, um dort Künstlerkollegen für die Teilnahme an den in der SBZ bzw. DDR stattfindenden (Deutschen) Kunstausstellungen (der DDR) zu werben. Auch privat reist Schwimmer immer wieder in den Westen, um seine Kinder und seinen Galeristen aufzusuchen. 1952 führte ihn eine größere Rundreise quer durch die Bundesrepublik.

Am 10. November 1952 wurde Schwimmer zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Künste (der DDR) gewählt, 1956 (bis 1958) schließlich deren Sekretär und Leiter der Vorsitzender der Sektion bildende Kunst. (10)

Max Schwimmer starb am 12. März 1960 in Leipzig an den Folgen eines Herzinfarkts. (11) Seit November 1995 befindet sich Schwimmers künstlerischer Nachlass und seine Bibliothek in der Obhut der Stadtbibliothek Leipzig. (12)

(1) vgl. Anke Scharnhorst, „Schwimmer, Max“ (im Folgenden „Scharnhorst 2010“), in: Müller-Enbergs 2010, S. 1213.
(2) vgl. http://www.maxschwimmer.de/sein_lebenslauf.html.
(3) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Schwimmer.
(4) vgl. http://www.maxschwimmer.de/sein_lebenslauf.html.
(5) vgl. Ernst Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt/Main 2007, S. 561; Scharnhorst 2010; S. 1213.
(6) vgl. Scharnhorst 2010; S. 1213.
(7) vgl. http://www.maxschwimmer.de/sein_lebenslauf.html.
(8) vgl. http://www.maxschwimmer.de/sein_lebenslauf.html.
(9) vgl. http://www.maxschwimmer.de/sein_lebenslauf.html.
(10) vgl. Manfred Hötzel, „Max Schwimmer“, in Bürgerverein Gohlis 2017, S. 339; Scharnhorst 2010; S. 1213; https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Schwimmer.
(11) vgl. Scharnhorst 2010; S. 1213. Magdalena George: Max Schwimmer: Leben und Werk. Hrsg.: Akademie der Künste der DDR. Verlag der Kunst, 1981, S. 68.
(12) vgl. http://www.maxschwimmer.de/der_nachlass.html.

Max Sichel

von Matthias Judt

Max Sichel 1896 Grünsfeld (Baden) – 1942 Auschwitz (1)

Der Textilgroßhändler Max Sichel wurde am 6. oder 7. Dezember 1896 im badischen Grünsfeld geboren. Nachdem er im Juli 1935 Hildegard Nacher (1911 – 1942) geheiratet hatte, siedelten beide nach Leipzig über. Nach kurzem Aufenthalt in Marienbrunn bezog die Familie eine Wohnung der damaligen Danziger (der heutigen Max-Liebermann-)Straße. Ein Sohn wurde geboren.

Anfang 1938 eröffnete Sichel ein eigenes Geschäft, einen „Großhandel mit Textilwaren“. Doch schon im Gefolge des Pogroms am 9./10. November 1938 wurde die Familie Sichel aus ihrer Wohnung vertrieben. Am 12. November 1938 wurde Max Sichel gezwungen, auch sein Geschäft aufzugeben. Selbst sein Führerschein wurde eingezogen.

Ab dem 1. Dezember 1938 wohnte die Familie dann in der Gohliser Straße 18 zur Untermiete. Hier stellte sie im Januar 1939 einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses, mit dem Ziel, nach Bolivien auszuwandern. Das hatte zur Folge, dass sein gesamtes betriebliches und privates Vermögen einer sogenannten Sicherungsanordnung unterworfen wurde.

Im März 1939 musste die Familie in ein „Judenhaus“ umziehen. Es gelang ihr aber, am 20. Juli 1939 nach Paris auszureisen.

Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurden Sichels von SS-Truppen festgenommen, in das Internierungslager Drancy (nördlich von Paris) verbracht und von dort aus im August oder September 1942 nach Auschwitz deportiert.

Hildegard und Max Sichel wurden dort am 24. November 1942 ermordet. Ihr Sohn überlebte den Holocaust.

(1) Der Text basiert auf einer Kurzbiografie, die am 29. Januar 2010 von Helmar Fischer für das Sächsische Staatsarchiv für deren Reihe „Lernort Archiv“ erstellt wurde. Sie ist als PDF im Internet verfügbar.

Die Entwicklung der Gohliser Einwohnerzahl – Vom kleinen Dorf zu einem vitalen Stadtteil Leipzigs

von Matthias Judt

Gohlis galt noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als ein kleines verträumtes Dorf. 1785 wurden hier etwa 450 Einwohner gezählt, 578 im Jahre 1835. 1843 waren es dann etwa 900. Ab diesem Datum setzte ein schnelles Bevölkerungswachstum ein. 1855 wurden bereits etwa 1.430 Einwohner gezählt, doch Gohlis galt nach wie vor als ein Dorf. (1)

Bis 1871 (und weiter danach) wuchs die Bevölkerung dann sprunghaft und erreichte in diesem Jahr die Zahl von 5.015. 1880 wurde die 10.000-Einwohner-Marke mit 9.804 Einwohnern knapp erreicht. Zum Zeitpunkt der Eingemeindung nach Leipzig, am 1. Januar 1890, lebten in Gohlis 19.312 Einwohner. Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert wuchs die Einwohnerzahl weiter auf 30.114, wobei sich die Zahl in den beiden Jahrzehnten davor jeweils um etwa 10.000 Einwohner erhöht hatte. (2)

In den 1920er und 1930er Jahren entstanden vor allem in den Ortsteilen Mitte und Nord völlig neue Wohnviertel, und die Einwohnerzahl stieg entsprechend mit. 1933 erreichte Gohlis seine höchste Einwohnerzahl (54.580), (3) die danach – vor allem in den 1930er Jahren – erheblich zurückging. 1939 lebten nur noch 40.413 Menschen in Gohlis, 1945 dann 33.419.

Die Einwohnerzahl erholte sich danach, vor allem bedingt durch den Bau neuer Wohnviertel durch die in den 1950er Jahre entstehenden „Arbeiterwohnungsgenossenschaften“ (AWG), die in Gohlis-Süd und –Mitte Bombenlücken schlossen und neue Viertel errichteten, vor allem in Gohlis-Mitte und –Nord. Allerdings sollte die Zahl der Einwohner nur noch an die Marke von 40.000 Personen heranreichen.

Parallel zum erheblichen Bevölkerungsrückgang in Leipzig, das zwischen Ende 1988 und Ende 1998 knapp 108.000 und damit etwa 20 Prozent seiner Bevölkerung verlieren sollte, verringerte sich auch die Bevölkerungszahl von Gohlis. Hier war der Rückgang aber noch stärker zu spüren, denn mit 31.125 Einwohnern im Jahre 1998 wurde ein absoluter Tiefpunkt, aber auch eine Wendemarke erreicht. (4)

Bereits im Jahre 2000 lebten in Gohlis wieder 32.580 Menschen, die meisten davon in Gohlis-Mitte (12.276), gefolgt von Süd (11.890) und Nord (8.414). Seitdem stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich an. Im Jahre 2015 lebten 42.603 Menschen in Gohlis, so viele, wie seit den 1930er Jahren nicht mehr. Nunmehr war Gohlis-Süd mit 17.963 Einwohnern der bevölkerungsreichste Ortsteil, gefolgt von Mitte (15.937) und Nord (8.703). (5)

Gohlis zählte im Jahre 2016 schließlich insgesamt 43.569 Einwohner, darunter 2.858 Ausländer. Seit dem Jahr 2000 ist die Einwohnerzahl von Gohlis also um knapp 11.000 Menschen gewachsen. (6) Das findet seine Ursache nicht nur in Wanderungsgewinnen, also dem Zuzug von Menschen, die zuvor in anderen Stadtteilen Leipzigs oder außerhalb von Leipzig gelebt hatten. Die Ortsteile Süd und Mitte weisen seit vielen Jahren wachsende Geburtenüberschüsse aus, und selbst in Gohlis-Nord ist der dortige Sterbeüberschuss immer weiter gesunken. Gohlis insgesamt „liefert“ den größten Anteil am Geburtenüberschuss des Stadtbezirks Leipzig-Nord. (7)

Gohlis-Süd hatte 2016 von den drei Gohliser Stadtteilen die meisten Einwohner (18.268), wies das höchste Bevölkerungswachstum aus (plus 53,6 Prozent gegenüber 2000), profitierte besonders von Wanderungsgewinnen und hatte durchgängig hohe Geburtenüberschüsse. (8)

Gohlis-Mitte hatte im Jahre 2000 mehr Einwohner als Gohlis-Süd. Heute ist es umgekehrt. In Gohlis-Mitte lebten 2016 insgesamt 16.390 Einwohner, aber auch dort ein gutes Drittel mehr als 2000. Es profitierte ebenfalls von Wanderungsgewinnen und wies hohe Geburtenüberschüsse aus. Der Überschuss war 2016 sogar höher als der in Gohlis-Süd. (9)

Gohlis-Nord hatte 2016 die wenigsten Einwohner (8.911), wies ein deutlich geringeres Wachstum der Einwohnerzahl seit 2000 aus (plus 5,9 Prozent) und erlebte im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sogar einen Rückgang der Einwohnerzahl. Hier gibt es auch immer noch einen – inzwischen geringen – Sterbeüberschuss. (10) Gohlis-Nord unterscheidet sich von den beiden anderen Ortsteilen durch den erheblich höheren Anteil von Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren.

Der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung in Gohlis war 2016 mit knapp 6,6 Prozent insgesamt nicht sehr hoch. Auffällig ist hier jedoch, dass allein gut 58 Prozent der ausländischen Gohliser in seinem südlichen Teil leben, während in Gohlis-Nord nur gut 14,2 Prozent der ausländischen Gohliser leben. Der Anteil der Ausländer an der Gesamteinwohnerschaft betrug 2016 in Gohlis-Süd 9,1 Prozent, während er in den beiden anderen Ortsteilen unter fünf Prozent lag (Mitte: 4,8 Prozent, Nord 4,6 Prozent). In Gohlis-Süd leben zudem vergleichsweise viele Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. (11)

Die jüngsten Zahlen zu Beschäftigung und Arbeitslosigkeit betreffen das Jahr 2015. Von den in diesem Jahr gezählten 42.603 Einwohnern gingen 17.453 einer Beschäftigung nach. Weitere 1.485 Erwerbsfähige waren als arbeitslos gemeldet. Damit liegt der Anteil der Erwerbstätigen deutlich über dem Wert für das gesamte Stadtgebiet (44,4 zu 40,8 Prozent), was ein weiterer Indikator für die vergleichsweise junge und sich im Broterwerb befindliche Bevölkerung ist. (12)

Im Vergleich zur Entwicklung in Leipzig insgesamt kann konstatiert werden, dass der Umschwung hin zu einer positiven Entwicklung in Bezug auf die Einwohnerzahlen, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Gohlis deutlich früher eingetreten ist.

(1) vgl. http://www.leipzig-gohlis.de/tourismus/bevoelkerung.html und http://www.leipzig-lexikon.de/GEMEINDE/gohlis.htm.
(2) vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Leipzig, Leipzig 1905, S. 134, http://hov.isgv.de/Gohlis_(2) und http://www.leipzig-gohlis.de/tourismus/bevoelkerung.html; Bernd Rüdiger/Thomas Nabert unter Mitarbeit von Renate Bahr, Alt-Gohlis. Eine historische und städtebauliche Studie (im Folgenden „Rüdiger/Nabert 1996“), Leipzig 1996, S. 21 und 26.
(3) vgl. Rüdiger/Nabert 1996, S. 30.
(4) vgl. Manfred Hötzel, „Gohlis und Leipzig – Historische Hauptdaten“ (im Folgenden „Hauptdaten 2017“), in Bürgerverein 1917, S. 19 – 22, hier , S. 21.
(5) zusammengestellt und berechnet nach http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0.
(6)Berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0.
(7) vgl. http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=1&obj=0.
(8) Zusammengestellt und berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=2&obj=0.
(9) Zusammengestellt und berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=2&obj=0.
(10) Zusammengestellt und berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=3&rub=2&obj=0.
(11) Zusammengestellt und berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table_area.aspx?dist=90, http://statistik.leipzig.de/statdist/table_area.aspx?dist=91, http://statistik.leipzig.de/statdist/table_area.aspx?dist=92.
(12) Berechnet nach: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0, http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=7&rub=1&obj=0 und http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=7&rub=2&obj=0.

 

Die Leipziger Konsumgenossenschaft in Gohlis

von Matthias Judt

Die Konsumgenossenschaften in Deutschland waren einst eine Macht. In der DDR gehörten ihnen Millionen von Menschen an. (1) Konsummarken in ein kleines Heft einzukleben und die Rückvergütung für den Kauf der Weihnachtsgans einzusetzen, war Alltag in vielen Haushalten. Nachdem die coop eG (die einst aus der Konsumgenossenschaft Kiel-Flensburg hervorgegangen war) ihren Geschäftsbetrieb an eine gemeinsame Firma mit REWE abgegeben hat, (2) konkurrieren die Konsumgenossenschaften in Leipzig und Dresen darum, welche von beiden die nunmehr größte in Deutschland ist. Anders als in anderen europäischen Ländern (wie etwa Italien, der Schweiz oder Schweden) haben der coop-Skandal in der alten Bundesrepublik (ab 1988) und der Niedergang der ostdeutschen Konsumgenossenschaften seit 1990 zu ihrem fast vollständigen Verschwinden in Deutschland geführt.

„Konsum Leipzig“ (wie die Genossenschaft heute heißt) hat eine lange Geschichte. Bereits 1848 war in Leipzig ein Konsumverein gegründet worden, der allerdings 1850 verboten wurde. Eine erneute Gründung des Vereins 1865 endete – infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten – 1872 in der Selbstauflösung. Erst der am 3. Februar 1884 bei einer Gründungsversammlung gebildete „Consum-Verein für Plagwitz und Umgebung“ sollte Bestand haben und direkter Vorläufer der heutigen Konsum Leipzig eG sein. (3)

Einst unterhielt sie Hunderte von „Verteilstellen“, wie die Läden noch in den 1920er Jahren hießen, in die nur Mitglieder der Genossenschaft einkaufen gehen durften. Gleich zu Beginn der NS-Zeit wurde die Genossenschaft gleichgeschaltet. Am 20. Juni 1934 beschloss eine Vertreterversammlung zu diesem Zweck die Umbenennung in „Verbrauchergenossenschaft Leipzig-Plagwitz“. Mit der „Verordnung zur Anpassung der verbrauchergenossenschaftlichen Einrichtungen an die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse“ vom 18. Februar 1941 wurden diese Genossenschaften aufgelöst und in das Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront (GW) übernommen. Zwar wurden in diesem Zusammenhang die Geschäftsanteile der Mitglieder rückerstattet, das Vermögen der Genossenschaft ging indes für sie verloren. Am 22. November 1941 wurde die Gemeinschaftswerk – Versorgungsring Leipzig GmbH, zu der etwa ein Sechstel des sächsischen Territoriums gehörte, ins Handelsregister eingetragen. (4)

Nach 1945 startete die Genossenschaft neu und erhielt von der sowjetischen Besatzungsmacht von Beginn an die Erlaubnis, auch an Nichtmitglieder Waren zu verkaufen. Dabei griff sie auf das bestehende und noch auszubauende Netz relativ kleiner Verkaufsstellen zurück.

Die Gohliser Konsum-Verkaufsstellen erlebten in den 1950er und 1960er Jahre mehrere Wechsel in der Zugehörigkeit. Ende September 1952 wurde die Konsumgenossenschaft Leipzig in eine Stadt- und eine Landgenossenschaft aufgespalten. 1961 entstand aus der Stadtgenossenschaft die „Konsumgenossenschaftsverband Stadt Leipzig eGmbH“ mit sieben selbständigen Stadtbezirksgenossenschaften, darunter der für Gohlis zuständigen. 1968 wurden die Stadtbezirksgenossenschaften wieder zu einer Stadtgenossenschaft zusammengeführt, der „Konsumgenossenschaft Stadt Leipzig“. (5)

Am 1. Januar 1991 wurde die heutige Konsum Leipzig eG durch Zusammenschluss der Konsumgenossenschaften Stadt und Kreis Leipzig sowie Delitzsch mit damals 579 Verkaufsstellen und 71 Gastronomiebetrieben gegründet. (6) Sie konnten in der Marktwirtschaft nicht alle überstehen. Gerade in Gohlis hatte dabei die Genossenschaft aber mit dem bis vor wenigen Jahren genutzten Ladenlokal in der Georg-Schumann-Straße noch eine vergleichsweise kleine Verkaufsstelle weiter betrieben, die erst aufgegeben wurde, als in unmittelbarer Nähe dazu auf der Höhe der Sassstraße ein REWE-Supermarkt neu gebaut und eröffnet wurde.

Die Leipziger Konsumgenossenschaft unterhält in Gohlis heute noch drei Standorte. Alle drei repräsentieren in ihrer jeweiligen Bauweise drei Epochen der Geschichte der Genossenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Viertelsweg finden wir ein Handelsobjekt vor, das die relativ kleinen Kaufhallen der DDR aus den 1960er und 1970er Jahren versinnbildlicht. Am Jörgen-Schmidtchen-Weg in Gohlis-Nord steht ein klassischer Kaufhallenbau in Plattenbauweise, wie sie in den 1970er und 1980er Jahre überall in der DDR entstanden sind. Und schließlich zeigt der Supermarkt in der Coppistraße, wie man im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnete Handelsarchitektur umsetzen kann. Das Objekt gehört zu den ersten Neubauprojekten von Konsum Leipzig nach der Wende und wurde mit einem Architekturpreis ausgezeichnet.

(1) vgl. Michel Prinz, „Das Ende der Konsumvereine in der Bundesrepublik Deutschland. Traditionelle Konsumentenorganisation in der historischen Kontinuität“, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (JWG) 1993/2, S. 159-188; Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Hg.), Konsum. Konsumgenossenschaften in der DDR, Köln 2006.
(2) vgl. https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/tschuess-sky-rewe-uebernimmt-id16740921.html.
(3) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_Leipzig; http://www.konsum-leipzig.de/unternehmen/geschichte.html.
(4) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_Leipzig, dort nach Mustafa Haikal, Gute Geschäfte. Die Geschichte der Leipziger Konsumgenossenschaft (im Folgenden „Haikal 2009“), Leipzig 2009; S. 240.
(5) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_Leipzig, dort nach Haikal 2009, S. 245.
(6) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konsum_Leipzig, dort nach Haikal 2009, S. 244f.

Gebr. Schneider Gießformenfabrik in der Hallischen Straße

von Matthias Judt

1904 entstand in Gohlis ein in seiner Zeit völlig neuartiges Unternehmen. Gegründet wurde es von den vier Brüdern Artur, Otto, Rudolf und Richard Schneider, die sich auf den ersten Blick in einem hart umkämpften Marktsegment bewegen wollten, der Herstellung von Zinnfiguren. Doch anders als die vielen Konkurrenten entschlossen sich die Gebrüder Schneider, nicht die Figuren selbst zu erzeugen und zu vertreiben, sondern Gießformen zu produzieren, mit denen ihre Kunden ihre eigenen Zinnfiguren selbst herstellen konnten. Diese sehr frühe Form der „Do-it-yourself“-Bewegung, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren wirklichen Aufschwung nehmen sollte, entstand mitten in Gohlis. (1)

Die Brüder brachten die richtigen Berufe mit: Drei hatten technische Ausbildungen (davon zwei als Graveure), einer war Kaufmann. Ihre Idee basierte auf vier Grundsätzen. Wenn ihre Kunden die Zinnfiguren selbst herstellen sollten, musste sichergestellt sein, dass die Figuren leicht herstellbar waren, das Material also „gut laufen“ sollte. Auch deshalb wählten sie einen neuen Werkstoff, nämlich eine Aluminium-Legierung. Sie vertrieben ihre Produkte zudem direkt, verzichteten also auf herkömmliche Vertriebsformen. Schließlich unterbreiteten sie ihren Kunden ein Komplettangebot: Nicht nur die Formen wurden verkauft, sondern auch die Werkstoffe von der Legierung bis hin zu den Malfarben für die farbliche Gestaltung der Figuren. (2)

Im Jahre 1913 bezog die Firma neue Räumlichkeiten in der damaligen Äußeren Hallischen Straße 119 – 121 (der späteren Hallischen bzw. heutigen GeorgSchumann-Straße). Im Jahr darauf war die Firma an diesem Standort erstmals im Adressbuch der Stadt Leipzig vermerkt. (3) Im gleichen Jahr entstand in Wien eine Filiale, deren Leitung Richard Schneider übernahm. (4)

Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wuchs das Unternehmen stark an. 1914 hatte es bereits 60 Mitarbeiter, doch der Krieg bedeutete dann einen starken Einschnitt. Die Fertigung wurde stark eingeschränkt, was sich auch an der Beschäftigtenzahl bemerkbar machte. Nun waren nur noch 20 Personen, meist Frauen, beschäftigt. Zudem wurde nach Kriegsende die Herstellung von Formen für Soldatenfiguren für kurze Zeit verboten. (4)

Nach Kriegsende belebte sich jedoch das Geschäft wieder. Gerade der Export in die USA nahm deutlich zu, wenn dort auch vermieden wurde, die wahre Herkunft der Produkte zu nennen. Das Unternehmen wurde nicht von ungefähr in der ersten Hälfte der 1920er Jahre zum Marktführer in Deutschland. (6)

1928 wollten sich zwei der Brüder, Otto und Artur Schneider, zusammen mit einem Kompagnon, ein zweites Standbein schaffen, die Fabrikation und den Vertrieb „von hochwertigen Resonanz-Sprechmaschinen, Schallplatten, Nadeln, sämtl. Zubehörteilen“. Sie sollten auch exportiert werden. (7) Offenkundig nutzen sie ihre Geschäftskontakte beim Export von Gießformen nach Amerika, um von dort einen Technologieimport nach Deutschland zu organisieren.

Die Firma sollte jedoch nur ein gutes Jahr, vom 1. August 1928 bis zum 29. August 1929, existieren. Sie endete im Vergleich und erlosch 1931 endgültig. Das hatte auch Auswirkungen auf die eigentliche Firma, die sich für einige Zeit in ein Hinterhaus an gleicher Adresse zurückziehen musste. Erst 1938 konnten die ursprünglichen Räumlichkeiten in der Hallischen Straße 119 – 121 wieder bezogen werden. (8)

Die Firma orientierte sich immer am jeweiligen Zeitgeist, offenkundig auch aus opportunistischen Gründen. In der Kaiserzeit waren es kaiserliche Soldaten, die vornehmlich produziert wurden. Für die USA wurden wiederum Trapper und Indianer, aber auch US-Soldaten zum Modell für die Formen. In Zeiten des Verbots der Herstellung von Soldatenfiguren in Deutschland wurden Heiligenfiguren zum Muster. Ab 1933 kamen wiederum SA- und Jungvolk-Figuren hinzu, was bewirkte, dass die Firma in der Zeit des Nationalsozialismus nie geschlossen wurde. (9)

Nach 1945 wurden keine Schneider-Originalformen weiter produziert. Das Unternehmen sollte zwar in der DDR weiter als Privatbetrieb bestehen bleiben, doch nunmehr sich im Alleinbesitz einer familienfremden Person befinden. Nach der Flucht des letzten Geschäftsführers der Firma in die Bundesrepublik 1960 wurde das Unternehmen zunächst treuhänderisch verwaltet und schließlich dem „VEB Metallwaren“ angegliedert. Bis zum politischen Umbruch in der DDR wurden am Standort des Unternehmens in der heutigen Georg-Schumann-Straße 121 Leichtmetallteile hergestellt. Danach ging die Herstellung von Metallwaren an der Georg-Schumann-Straße 121 endgültig zu Ende. (10)

(1) vgl. Klaus Schneider, „Zur Geschichte der Gießformenfabrik Gebrüder Schneider“, abzurufen unter http://www.zinnfigurenklio.de/startframes.html?PHPSESSID_netsh10543=b4092290380a0dcdd0e02a1f30bbb808, dort unter Downloads/Schneider Gesamtkatalog und Historie (im Folgenden „Schneider Gießformenfabrik“). Schneider gibt 1903 als Gründungsjahr der Firma (an der sein Großvater Richard beteiligt war) an. Auf Geschäftsbögen der Firma findet sich indes der Verweis „Gegründet 1904“ (vgl. Geschäftsbogen von 1928/29, in http://www.zinnfigurenbleifiguren.com/Firmengeschichten/Schneider_Gebrueder/Schneider_Gebrueder_Leipzig.html (im Folgenden „Zinnfiguren-Bleifiguren“).
(2) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(3) vgl. Zinnfiguren-Bleifiguren.
(4) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(5) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(6) vgl. Schneider Gießformenfabrik, dort unter Verwendung von Angaben in Richard O’Brian, Toy
Soldiers, o.O. 1997.
(7) vgl. Geschäftsbogen von 1928/29, in Zinnfiguren-Bleifiguren.
(8) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(9) vgl. Schneider Gießformenfabrik, dort nach Uwe Kappel, Figuren-Magazin, Heft 2/2003, S. 24 – 26.
(1)0 vgl. Schneider Gießformenfabrik.

Kinos in Gohlis

von Matthias Judt

In Gohlis wurden zwischen 1909 und 1982 insgesamt fünf Filmtheater betrieben. Während das „Union-Theater“ (U.T.) in der Lindenthaler Straße 30 und das „Nordvorstädtische Welt-Theater“ in der damaligen Hallischen Straße 119 nur wenige Jahre bestanden, sollten die „Weltspiegel-Lichtspiele“ (später „Coppi-Lichtspiele“), der „Gohliser Lichtspiel Palast“ (Go-Li-Pa) und die „Drachenfels-Lichtspiele“ (Hallische Straße 11) über längere Zeit Bedeutung haben. (1)

„Lichtspieltheater Francaise“ – „Lichtspielhaus Gohlis“ – „WeltspiegelLichtspiele“ – „Coppi-Lichtspiele“

In der Coppistraße 80 kann man heute eine kleine Postannahmestelle finden, die zuvor auch schon mal ein Kopierladen war. (2) Dass dies einmal der Eingangsbereich eines Kinos war, wird heutzutage nur wenigen bekannt sein.

An dieser Stelle eröffnete am 21. Dezember 1912 der Schriftsteller Felix Burkhardt sein „Lichtspieltheater Francaise“. Gelegen an der damals Lothringer Straße heißenden und heutigen Coppistraße im „Französischen Viertel“ von Gohlis, lag es nahe, dem Stummfilmkino einen Namen mit französischen Bezug zu geben. Das änderte sich schlagartig mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Anfang Oktober 1914 wurde das Kino in „Lichtspielhaus Gohlis“ umbenannt (und damit der Name mit französischem Bezug für immer getilgt) und erhielt im November 1917 als „Weltspiegel-Lichtspiele“ seinen lange gültigen Namen. Bis Ende Februar 1953 wurde dieser Name beibehalten, also auch über den Zeitpunkt der Verstaatlichung per 1. Januar 1949 hinaus. (3)

Von Anfang März 1953 bis zur Schließung des Lichtspielhauses im November 1982 hieß es „Coppi-Lichtspiele“. (4)

Das Kino verfügte mindestens seit 1920 über 530 Plätze (bis in die 1930er Jahre hinein). Danach wurde die Sitzplatzzahl zunächst auf 500, ab 1949 auf 480 und ab 1953 auf 426 Plätze verringert wurde. (5)

„Palast-Theater“ – „Gohliser Lichtspiel Palast“ (Go-Li-Pa)

Am 19. September 1911 wurde an der Lindenthaler Straße 41 das „Palast-[Kino]Theater“ eröffnet, das bis Ende März 1928 unter diesem Namen betrieben wurde. (6) Es erlebte in dieser Zeit mehrere Besitzerwechsel: Bekannt ist der Besitz durch die Rheinische Lichtbild- AG aus Köln (1918), die Decla Bioskop-A.-G., Berlin (1920), die Vaterland-Lichtspiele GmbH aus Leipzig (1921), ehe ab 1924/25 der Ufa-Konzern als
Eigner aufgeführt wurde. (7)

1928/29 übernahm ein Richard Nickau aus der Elsbethstraße das Kino, gab es jedoch bald an einen Arthur Stoppe weiter, der es bis Mitte der 1930er Jahre behielt, aber nicht selbst in Gohlis wohnte. Spätestens seit 1937 befand sich das Kino im Besitz von Alois Hecht, der ebenfalls in der Elsbethstraße wohnte. Zum 1. Januar 1949 wurde es verstaatlicht. (8)

Unter Nickau erhielt das Kino seinen, bis zur Schließung 1967 gültigen Namen „Gohliser Lichtspiel Palast“. Allgemein wurde es aber fortan kurz als „Go-Li-Pa“ bzw. „Golipa-Lichtspiele“ bezeichnet. (9)

Über die Zahl der Sitzplätze gibt es sehr unterschiedliche Angaben. 1918 soll es über 1.000 Plätze verfügt haben, zwei Jahre später über nur 495, ab 1921 noch weniger: 369. Für die Jahre 1927 bis 1934 werden 500 bis 560 Plätze angegeben, ab 1937 dann 730. (10) Es wurde am 15. Januar 1967 wegen des schlechter werdenden Bauzustandes geschlossen und diente hiernach als Industrielager für Heizkörper. (11) Das Gebäude wurde später abgerissen.

„Drachenfels-Lichtspiele“

Am 14. September 1927 wurde in der damaligen Hallischen Straße 11 das seinerzeit größte Kino von Gohlis mit 850 bis 900 Plätzen eröffnet. (12)

Es wurde zunächst von Edwin Kühn geführt, ging 1929 dann aber in den Besitz von Felix Burkhardt über, der schon die „Weltspiegel-Lichtspiele“ in der damaligen Lothringer Straße betrieb. er und seine Erben betrieben das Kino noch bis Ende der 1930er Jahre. Ab 1940 befanden sich die Drachenfels-Lichtspiele im Besitz von Alice Zechendorff aus Böhlitz-Ehrenberg. (13)

Am 27. Februar 1945 wurde das Großkino bei einem Bombenangriff völlig zerstört. Die Gebäudereste wurden später abgetragen. Heute erinnert nichts mehr an dieses Kino. An seiner Stelle entstand in den 1960er Jahren ein Wohnblock. (14)

(1) vgl. http://www.allekinos.com/Leipzig.htm, aufgerufen am 31. Dezember 2017.
(2) siehe: https://www.google.com/maps/place/Leipzig+Coppistra%C3%9Fe+80/@51.3672215,12.3687417,3a,7 5y,38.38h,92.28t/data=!3m6!1e1!3m4!1s6wNAxzvY31LwFZSFhb55LQ!2e0!7i13312!8i6656!4m2!3m1! 1s0x0:0xc3863bbf0ea19730?hl=de.
(3) vgl. „Film Culture Leipzig 1945 – 1970. The History of Distribution, Exhibition and Reception“ (im Folgenden. „Film Culture, Coppi-Lichtspiele“), in https://www.phil.muni.cz/leipzigcinema/?&lang=1, aufgerufen am 31. Dezember 2017.
(4) vgl. http://filmtheater.square7.ch/wiki/index.php?title=Leipzig_Weltspiegel_Gohlis (im Folgenden „Weltspiegel Gohlis“); Gerhard Pusch, „Kinos in Gohlis“ (im Folgenden: „Pusch 2017“), in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Beucha/Markleeberg 2017 (im Folgenden „Bürgerverein 2017“), S. 235 – 237, hier S. 237 (PRÜFEN)
(5) vgl. Film Culture, Coppi-Lichtspiele; Weltspiegel Gohlis.
(6) vgl. https://www.phil.muni.cz/leipzigcinema/?id=206&lang=1, aufgerufen am 31. Dezember 2017 (im Folgenden „Film Culture, Go-Li-Pa“).
(7) vgl. Leipzig Gohliser Lichtspiel Palast („Go-Li-Pa“), in: http://filmtheater.square7.ch/wiki/index.php?title=Leipzig_Gohliser_Lichtspiel_Palast_(%C2%BBGo-LiPa%C2%AB), aufgerufen am 31. Dezember 2017 (im Folgenden „Go-Li-Pa“).
(8) vgl. Pusch 2017, S. 236; Go-Li-Pa.
(9) vgl. Go-Li-Pa.
(10) vgl. Go-Li-Pa.
(11) vgl. Film Culture, Go-Li-Pa; Pusch 2017, S. 236.
(12) vgl. http://www.leipzig-lexikon.de/chronik/t0914.htm; http://www.allekinos.com/Leipzig.htm, beide aufgerufen am 31. Dezember 2017.
(13) vgl. „Leipzig Drachenfels-Lichtspiele Gohlis“, in http://filmtheater.square7.ch/wiki/index.php?title=Leipzig_Drachenfels-Lichtspiele_Gohlis, aufgerufen am 31. Dezember 2017.
(14)vgl. Pusch 2017, S. 237

Der Bürgerverein Gohlis – von den Anfängen bis zum Herbst 2014

von Irmgard Grunder und Gerd Klenk

Die Gründung des Bürgervereins im Jahre 1992

Kurz nach der Wende schossen in fast allen Stadtteilen von Leipzig Bürgervereine aus dem Boden. Die Bürger wollten sich beim Aufbau einer neuen Ordnung einbringen.
Den Anstoß zur Gründung des BV Gohlis gab Frau Dr. Heide Steer,die damals im Kulturamt für die Stadtteilkultur zuständig war. Sie hatte erfahren, dass Gohlis im Jahre 1992 vor 675 Jahren erstmals erwähnt worden war. Ihre Überlegung war, dieses festlich zu begehende Ortsteil-Jubiläum auf möglichst breite Schultern zu stellen, also einen Bürgerverein ins Leben zu rufen. Im November 1991 fand dann im Gemeinderaum der Friedenskirche eine überzeugend gut besuchte Gründungsveranstaltung statt.

Als alteingesessene Gohliser wollten wir die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil vertreten.

Das Stadtteiljubiläum wurde auf der Menckestraße unter Einbeziehung des Gohliser Schlösschens großartig gefeiert und ist uns und allen Beteiligten sicher unvergesslich geblieben. Dies war der Beginn des Engagements des Bürgervereins für die Entwicklung des Ortsteiles Gohlis.

Der erste Vorsitzende des Bürgervereins wurde bis 1996 Pfarrer Gerhard Passold, dann übernahm Dr. Dieter Götze bis 1998, danach bis 2014 Gerd Klenk. Alle drei waren auch Gründungsmitglieder und langjährig Vorstandsmitglieder.

Die Erwartungen nach der Gründung waren hoch und sollten in den folgenden Jahren einer gewissen Ernüchterung weichen, was auch den anfänglichen starken Kampfgeist etwas abklingen ließ.
Es wurden Arbeitsgruppen gebildet, wie „Stadtteilentwicklung“, „Ordnung, Umwelt und Verkehr“, „Stadtteilgeschichte“, „Kultur“ und „Soziales“ und wir beantragten dafür sogenannte ABM’s (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme), das heißt Stellen, die in den letzten Jahren als sogenannte AGH – E (Arbeitsgelegenheit mit Entgeldvariante) noch vorhanden waren und über das Arbeitsamt und die Nachfolgeeinrichtungen ARGE bzw. bis 2014 über das Jobcenter Leipzig gefördert wurden. Ohne diese Stellen wären unsere vielen Aktivitäten in den Arbeitsgruppen mit den unterschiedlichen Projekten, die Bürgersprechstunden sowie die Büroarbeit nicht leistbar gewesen.

Daher gilt unser Dank allen 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die es gewiss nicht leicht war, aus der Arbeitslosigkeit kommend und in völlig anderen Berufen zu Hause, Gefallen an Vereinsarbeit zu finden. Hervorheben möchten wir den bis 2014 ehrenamtlich Tätigen

Reinhard Wohlfahrt, insbesondere durch die Unterstützung bei Satz und Layout des GohlisForum und bis 2012 Walter Vallentin, sowie unsere langjährig geförderte, sehr aktive und beliebte Mitarbeiterin Petra Cramer.
Zu Beginn gab es eine große aktive Beteiligung aller Mitglieder. Zur Gründung waren wir 39 Mitglieder, im Laufe der Zeit stieg die Zahl auf 80 Mitglieder. 2011 allerdings waren es nur noch 45 Mitglieder und die Zahl der dabei ehrenamtlich Aktiven war auch beachtlich gesunken.

Die vielfältigen Aktivitäten des Bürgervereins

Als Interessenvertretung der Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils Gohlis blicken wir nicht ohne Stolz auf eine Erfolgsgeschichte zurück.
Da wären als erstes die Erhaltung des Heinrich-Budde-Hauses als soziokulturelles Zentrum und später durch Aufnahme in das festgeschriebene Sanierungskonzept die Renovierung des Hauses, der Ausbau des Gartenhauses und die Gestaltung des Gartens.

Im August 1994 erarbeitete der Bürgerverein eine sogenannte „Erhaltungs- und Gestaltungssatzung des alten Ortskernes Gohlis“ unter der Federführung von Dr. Dieter Götze. Dazu fand im August 1995 ein Bürgerforum statt. Leider wurde die Satzung vom damals zuständigen Dezernenten nicht unterstützt. Vielleicht hätte manche Bausünde der späteren Jahre im alten Ortskern damit verhindert werden können.
Ab September 1999 erschien bis zu 6 x im Jahr das Info- Blatt des Bürgervereins „Gohlis Forum“, mit Beiträgen über Sanierungsvorhaben, neue Verkehrslösungen, das Geschäftsleben, kulturelle Veranstaltungen und zur Geschichte von Gohlis, das sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.

Unter großer Beteiligung der Mitglieder wurden Listen über alle denkmalsgeschützten Häuser im Stadtteil Gohlis mit Veröffentlichung im „Gohlis-Forum“ erarbeitet, Aushänge der betroffenen Häuser angefertigt, verteilt und von uns auch teilweise dort ausgehangen.

Viel Kraft investierten die Mitglieder des Arbeitskreises Stadtteilgeschichte unter der Leitung von Dr. Manfred Hötzel in die Herausgabe der „Gohliser Historische Hefte“ Nr.1 bis 12. An dieser Stelle möchten wir ihm besonderen Dank sagen. Seine Vorträge und Führungen zum Tag des offenen Denkmals zogen viele Besucher an. Er machte sich weiterhin um die Aufarbeitung der Gohliser Geschichte mit Beiträgen im Gohlis-Forum und bei den Bleichert Ausstellungen in Leipzig, Dresden und Chemnitz verdient. Nicht vergessen möchten wir die jährliche Herausgabe des Gohlis- Kalenders unter seiner Regie.

Des Weiteren fanden viele Bürgerforen statt, wie zur Trassenführung der Straßenbahnlinie 6 (heute Linie 4), zum Umbau der Georg-Schumann-Straße zwischen Lützow- und Breitenfelder Straße, zu Ordnung und Sicherheit in Gohlis. Es wurden Workshops in Zusammenarbeit mit dem ASW zur Straßenraumgestaltung in den Gohliser Sanierungsgebieten, zum fortgeschriebenen und konkretisierten Sanierungskonzept Gohlis und Bürgerforen zur Verkehrssituation u. a. im Bereich der Kreuzung Stallbaum-/ Platnerstraße und Eingang Waldstraße durchgeführt. Alle Bürgerforen machten die direkte Einflussnahme von beteiligten Bürgern auf Entscheidungen im Stadtteil möglich und hatten daher auch eine große Resonanz.

Wir setzten uns für die Radverkehrsverbindung „Gohliser Bahnbogen“ als nördliche Ergänzungsvariante zur Georg-Schumann Straße ein, für die es auch einen Stadtratsbeschluss gab und die noch perspektivisch bis zum Hauptbahnhof bzw. bis zum Huygensplatz geführt werden soll, aber leider bis heute nur in Teilen realisiert wurde. Wir arbeiteten seit 2011 im Magistralenbeirat „Revitalsierung der Georg-SchumannStraße“ mit vielen lokalen Akteuren und der aktiven Bürgerschaft mit. Schon vorher gab es eine die gute Zusammenarbeit mit dem BV Möckern-Wahren in der AG „Schumi“. Ebenso wirkten wir im Projekt „Mach‘s Leiser“ vom Ökolöwen bei der Lärmaktionsplanung in Leipzig Nord im Projektbeirat und an Workshops mit Bürgerbeteiligung mit anderen Bürgervereinen, Vertretern von Stadt, LVB, LWB und der Deutschen Bahn mit.

Nicht unerwähnt lassen wollen wir die vielen kulturellen Aktivitäten, wie die Stadtteil- und Sommerfeste – an verschiedenen Orten und im Heinrich-Bude-Haus – gemeinsam mit dem Förderverein des Hauses, sowie die anfänglichen Gohliser Musiktage und Weihnachtskonzerte. Stolz sind wir auf die soziale Arbeit des Vereins, wo wir insbesondere die sozial schwachen älteren Menschen im Blick behalten haben. Diese generationsübergreifende Stadteilarbeit mit Senioren beinhaltete neben der aktiven Unterstützung dieser Bürgerinnen und Bürger gegen Vereinsamung und Isolation das traditionelle Frühstück bis 2012 im Heinrich-Budde-Haus, dann im neuen Büro in der Lindenthaler Straße und den thematischen Kaffeeklatsch.

Wir haben immer eine gute Zusammenarbeit mit dem BV Eutritzsch, den durch unsere Initiative gegründeten Förderverein Heinrich-Budde-Haus, der 2014 leider in Konkurs ging, sowie auch dem BV Krochsiedlung, der auch leider bereits aufgelöst wurde, dem FV Versöhnungskirche und dem Verein Pro Gohlis gepflegt und sind dafür auch heute noch sehr dankbar.

Erfahrungen mit Demokratie und Bürgerbeteiligung

In den langen Jahren unserer aktiven Mitarbeit sind wir um einige Erfahrungen reicher geworden, die wir nicht verschweigen wollen. Die Bürgervereine hatten bereits in den 90-iger Jahren Zusammenkünfte organisiert. Aus den über 30 Bürgervereinen bildete sich ein Sprecherrat, der gegenüber Stadt und Verwaltung der Ansprechpartner aller Bürgervereine sein sollte, sich aber nicht als Dachverband verstand. Es wurden thematische Treffen mit allen Bürgervereinen, der Stadtverwaltung und der Politik organisiert und durchgeführt. Ein großer Erfolg war die erreichte institutionelle Förderung aller Bürgervereine durch die Stadt, die zumindest die Büromiete und Bürokosten für alle bis heute ermöglicht. Anfang 2000 bildete sich daraus der Arbeitskreis „Lokale

Demokratiebilanz“ mit dem Ziel, die Bürgerbeteiligung mit klaren Maßnahmen in der Stadt umzusetzen. Leider endete diese Arbeitskreis nach wenige Jahren, als der Sprecherrat spürte, dass er mehr als Alibi für gelebte Bürgerbeteiligung benutzt wurde, als dass es zur zeitnahen Umsetzung der erarbeiten Vorschläge und Maßnahmen kam.

Die entstandene große Lücke konnte durch den gegründeten Bund Leipziger Bürger- und Heimatvereine „Leipzig Kollektiv“ nicht wieder vollständig gefüllt werden. Auch war erheblich Vertrauen verspielt worden. Wir beteiligen uns dort mit anderen Bürger- und Heimatvereinen, insbesondere, als es um die neuen Regelungen des „2. Arbeitsmarktes“ ging, die nicht nur unsere projektbezogene Vereinsarbeit und Zukunft gefährdete, sondern viele Vereine in dieser Stadt zwangen, ihre Projekte drastisch zurückzufahren bzw. in Teilen aufzugeben. Ein Offener Brief wurde dazu bereits an die Bundesministerin für Arbeit und Soziales und andere Verantwortliche in Bund, Land und Stadt versandt. Es fand auch ein Forum mit vielen Vertretern von städtischen Vereinen sowie Politikern von Bund, Land und Stadt statt, das versuchen sollte, neue Wege für die weitere Finanzierung gemeinwesenorientierter Arbeitsstellen zu erarbeiten. Alle diese Wege führten leider nicht zum Erfolg. In einer neu gegründeten Initiative „Denkwerkstatt Gemeinwohlarbeit Leipzig“ ist der Bürgerverein Gohlis durch Hansgeorg Herold vertreten, um sich auch in Zukunft für die bessere Anerkennung und Gleichberechtigung der Gemeinwohlarbeit auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen.

Drohende Auflösung und Neubeginn des Bürgervereins Gohlis

Anfang 2013 zog der Bürgerverein, unterstützt durch eine Spende der Fa. Seniosana, in ein größeres Büro in der Lindenthaler Straße. Das Büro im Heinrich-Budde-Haus wurde vorrangig von Dr. Manfred Hötzel und seiner AG genutzt, die gemeinsam mit dem FV Heinrich-Budde-Haus an den Vorbereitungen der Ausstellung zum 140 jährigen Jubiläum der Adolf Bleichert Werke 2014 im Technischen Museum in Chemnitz arbeiteten Die ausgelaufene Förderung unserer Mitarbeiterin Petra Cramer traf dann 2014 den Bürgerverein Gohlis sehr hart. Die Hoffnungen, die wir mit dem Umzug unseres Büros in den Standort Lindenthaler Straße 34 hegten, indem mehr Menschen für die Arbeit des Bürgervereins interessiert würden und dies den Bürgerverein auch finanziell stärken und damit die Finanzierung einer Arbeitsstelle möglich würde, haben sich nicht erfüllt.

Da sich 2014 kein wählbarer Vorstand inklusive eines neuen Vorsitzenden mehr fand und auch die finanziellen Mittel dem Ende entgegen gingen, beschlossen wir die Auflösung unseres Vereins. Es ist für uns umso erstaunlicher und auch sehr erfreulich, dass sich eine junge Truppe fand, die die Wiederbelebung des Vereins in die Hände nahm und dies bis heute mit wachsendem Erfolg gemeistert hat. Uns, dem alten Vorstand, war es nicht gelungen, neue aktive Mitglieder zu werben, die Verantwortung übernehmen wollten. Auch war die Bürgerbeteiligung, was die Gesamtinteressen des Stadtteiles betrifft, rückläufig. Teilweise sind die Ursachen darin begründet, dass sich Gohlis heute zu einem gut entwickelten, weitgehend sanierten, beliebten Stadtteil gemausert hat, zumal selbst die ausgedienten Kasernengebäude Stück für Stück verschwinden und ein neues attraktives Wohnviertel entsteht.

In den letzten Jahren tendierte die ehrenamtliche Arbeit der Bürger zu Initiativen, die sich nur mit einer speziellen Sache oder einem kleineren Problem im Stadtteil beschäftigten und die wir durch unsere Zusammenarbeit, so gut es uns möglich war, unterstützten. So entstanden die Initiative „Gegen Schall und Rauch“, die sich für die Verkehrsberuhigung um die Berggarten-/ Möckernsche-/ Kirschbergstraße einsetzte, und der Verein „Stadthäuser Gohlis“, der bereits 2013 wieder aufgelöst wurde. Es gründete sich die Initiative „Starke Nachbarschaften durch aktive Bürgerbeteiligung “ der Kirchenbezirkssozialarbeit der
Diakonie Leipzig, die gemeinsam mit den Kirchgemeinden im Norden, dem Anker, dem BV Möckern-Wahren und uns mit dem aus den USA stammenden Konzept des Community Organizing neue Wege der Bürgerbeteiligung umsetzen möchte.

Die Wiedersichtbarmachung des Zooschaufensters im Rosenthal ist eine Aktion, die leider nur zeitweilig realisiert wurde, da sie immer wieder vom Zoo untergraben wird. Weiterhin entstand in Trägerschaft des Bürgervereins die Initiative „Dialoge für Gohlis“, die sich für die Akzeptanz des Moschee-Neubaus der Ahmadiyya Gemeinde in der Adolf-Bleichert-Straße einsetzt, zusammen mit vielen Akteuren aus Politik, Vereinen, Privatpersonen und Vertretern kirchlicher Gemeinden im Leipziger Norden, sowie daraus dann später die Initiative „Weltoffenes Gohlis“ die sich für die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Max-Liebermann-Straße einsetzt.

Gute Wünsche für die Zukunft

Die Zukunft des Bürgervereins sehen wir in der gezielter Projektarbeit, in der Fortführung des sozialen Engagements, in der Unterstützung und Zusammenarbeit von Stadtteilinitiativen, die eine Bürgeridee aufgreifen, in der weiteren Bürgervertretung und Unterstützung von Bürgerbeteiligung für die Stadtteilentwicklung in bewährter Zusammenarbeit mit städtischen Ämtern und verstärkt auch mit Politikern, im Abstellen und Beseitigen von Missständen, der Verbesserung der Lebensbedingungen sowie der Stärkung der lokalen Wirtschaft im Stadtteil. Die Einbeziehung und Zusammenarbeit mit Geschäftsleuten, Gewerbetreibenden und Selbständigen ist in Zukunft verstärkt sinnvoll und nötig.

Unser Dank gilt abschließend allen, die sich bisher für den Bürgerverein engagiert, ihn unterstützt oder gefördert oder für ihn gespendet haben, ob als Mitglied, Mitarbeiter, Ehrenamtlicher oder in einer Arbeitsgruppe, ob nun als Vertreter eines Vereines, einer Initiative, eines Amtes oder als Unternehmer, Geschäftsmann, Politiker, Vertreter einer Einrichtung und natürlich als Bürgerin und Bürger.
Wir bitten Sie um Ihre weitere Mitarbeit oder Unterstützung. Bringen Sie sich für Ihren Stadtteil ein, zu Ihrem eigenen Nutzen und um Ihren Stadtteil attraktiv und lebenswert zu gestalten und erhalten.

Stolpersteine in Gohlis

von Andreas Praße

Seit 2006 erinnern in Leipzig so genannte Stolpersteine an verschiedenen Orten an ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt, die aus ethnischen, politischen und religiösen Gründen oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vom Nazi-Regime verfolgt oder deportiert wurden und die schließlich zu Tode gekommen sind. Die Betonsteine mit verankerter Messingplatte in einer Größe von 10x10x10 Zentimetern werden vom Kölner Bildhauer Gunter Demnig verlegt. In Leipzig gibt es mittlerweile 360 Steine an 149 Orten. Davon liegen 22 in Leipzig-Gohlis vor elf Häusern. Es sind:

Coppistraße 65 – Rudi Opitz: 1908 Leipzig – ermordet am 07.08.1939 KZ Buchenwald)
Rudi Opitz wuchs in seinem Elternhaus in der Blumenstraße 36 auf und erlernte nach dem Abschluss der Volksschule bei der Firma Körner und Sohn den Beruf eines Reproduktionsfotografen und Chemografen. Seit 1923 engagierte er sich im Kommunistischen Jugendverband und ab 1931 in der KPD, in der er Mitglied der Stadtleitung wurde. Am 23.08.1935 wurde er wegen seiner politischen Tätigkeit („Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“) zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er bis August 1937 im Zuchthaus Zwickau verbüßte, von wo er direkt in das KZ Buchenwald verbracht wurde.
Rudi Opitz arbeitete im Häftlingskommando Buchdruckerei und Bücherei sowie im Fotolabor des KZ. Diese Tätigkeit nutzte er, um Negativmaterial der Verbrechen der SS über entlassene Häftlinge aus dem Lager zu schmuggeln, das auch in der internationalen Presse erschien. Als er 1939 von seiner geplanten Entlassung erfuhr, versuchte Rudi Opitz, an weiteres Fotomaterial zu gelangen, was jedoch bei einer Routinekontrolle aufgedeckt wurde. Daraufhin wurde er im Bunker des KZ furchtbar misshandelt, um Namen von Mitverschwörern zu erpressen, und letztendlich vom berüchtigten SS-Scharführer Sommer ermordet. Die Akten vermerken jedoch: 7.8.1939, 9:15 Uhr „Freitod durch Erhängen“.

Corinthstraße 9 – Richard Otto Keil: 1905 Leipzig – hingerichtet am 24.05.1941 Berlin.
Richard Otto Keil wurde in Leipzig-Plagwitz geboren und war mit Hedwig Keil verheiratet. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas und seiner Ablehnung des Nationalsozialismus wurde er am 19.06.1937 von einem Sondergericht zu vier Jahren Gefängnishaft verurteilt, die er in Bautzen und Heeselicht (Burg Stolpen) bis zu seiner Entlassung im Juli 1940 verbüßte. Vermutlich wegen Kriegsdienstverweigerung wurde Richard Otto Keil am 19.12.1940 in Leipzig erneut verhaftet und im Februar 1941 nach Berlin-Moabit überstellt. Der 2. Senat des Reichskriegsgerichts verurteilte ihn am 18.04.1941 wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode. In Brandenburg-Görden wurde Richard Otto Keil am 24.05.1941 enthauptet.

Dietzgenstraße 13 – Familie Gutter: Ruth 1922 Leipzig – 02.01.1943 KZ Auschwitz, Rosa 1927 Leipzig – Freitod am 14.05.1943 Leipzig) und Salomon 1928 Leipzig – Freitod am 21.10.1942 Leipzig
Die Geschwister wuchsen im jüdischen Glauben bei ihren Eltern in der Metzer Straße 13 (heute Dietzgenstraße) auf. Der Vater, Josef Gutter, verließ die Familie aufgrund von Gesetzeskonflikten und drohender Abschiebung und emigrierte wahrscheinlich nach Palästina. Ruth Gutter folgte 1939 ihrer Familie in den evangelisch-lutherischen Glauben und trat aus der Israelitischen Religionsgemeinde aus. Vermutlich trat sie der Versöhnungskirchgemeinde bei. Am 16.03.1942 kam ihr Sohn Karlheinz zur Welt, der heute in Norderstedt lebt. Am 11.09.1942 wurde Ruth Gutter wegen Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung inhaftiert, jedoch vom Gericht einstimmig freigesprochen. Dennoch wurde sie ins Leipziger Polizeigefängnis eingewiesen, wo ihr der Zwangsname Sara eingetragen wurde. Am 05.12.1942 wurde Ruth Gutter nach Auschwitz deportiert, in dem sie weniger als einen Monat überlebte und ermordet wurde. Rosa Gutter wählte, nachdem sie vom Tod ihrer Schwester und ihres Bruders erfahren hatte, den Freitod und stürzte sich vom Dach des Wohnhauses. Wahrscheinlich wurde ihre Asche am 31.05.1943 auf dem Friedhof Gohlis beigesetzt. Salomon Gutter wählte nach der Verhaftung seiner Schwester Ruth ebenfalls den Freitod. Er stürzte sich vom Dach des elterlichen Hauses und verstarb gegen 20 Uhr auf dem Weg in das Krankenhaus St. Georg.

Ehrensteinstraße 32 – Familie Gattermeyer: Hermann Gottfried 1881 – 14.02.1945 Freitod in Leipzig durch Gas), Lilli, geb. Meyer (02.08.1898 München – 14.02.1945 Freitod in Leipzig durch Gas) und Gertraud Gattermeyer (28.04.1928 Minden – 14.02.1945 Freitod in Leipzig durch Gas). Weitere biografische Details zur Familie Gattermeyer siehe Abschnitt Jüdisches Leben in Gohlis.

Georg-Schumann-Straße 78 – Paula, geb. Baruch 1879 Hamburg – wahrscheinlich am 09.10.1944 im KZ Auschwitz gest.) und Eugen Hammel (24.04.1869 Neusalz an der Oder – 1942 Ghetto Theresienstadt
Der Kaufmann und Inhaber einer Textilhandlung Eugen Hammel und seine Ehefrau Paula wurden am 19.09.1942 nach dem erzwungenen Abschluss eines „Heimeinkaufsvertrags“ nach Theresienstadt deportiert. Nach kurzer Zeit verstarb Eugen Hammel wie viele andere aufgrund der unmenschlichen Bedingungen im Ghetto. Paula Hammel wurde am 09.10.1944 nach Auschwitz verschleppt und spätestens nach Ankunft des Transports ermordet. Die Tochter des Paares, Käthi Hammel, überlebte den Holocaust.

Heinrich-Budde-Straße 27 – Dr. Margarete Bothe: 1914 Merseburg – erschossen am 12.04.1945 Leipzig.
Margarete Bothe war das dritte Kind des Merseburger Landrats und späteren Generaldirektors der Städtefeuersozietät der Provinz Sachsen Gustav Bothe und der Tochter des Merseburger Dompredigers und Stiftssuperintendenten Prof. D. Wilhelm Bithorn. Sie ließ sich in Braunschweig zur Volksschullehrerin ausbilden und studierte ab 1938 in Heidelberg und nach Kriegsausbruch an der Leipziger Universität Germanistik, Geschichte und Geographie. Nach ihrer Promotion beendete Dr. Margarethe Bothe ihr Studium mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt. In das Visier der Gestapo geriet sie als Untermieterin des ehemaligen
Philosophieprofessors und Lehrers der Höheren Israelitischen Schule zu Leipzig Alfred Menzel und dessen Frau. In der Wohnung des Ehepaares trafen sich Regimegegner und man war 1942/43 dazu übergegangen, ausländische Rundfunksender zu hören. Im Winter durfte sich Margarete Bothe bei ihren Vermietern aufwärmen und hörte dadurch die Sendungen mit. Unvorsichtigerweise gab sie ihre Informationen an eine Kommilitonin weiter und wurde im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler denunziert. Am 01.12.1944 wurde sie verhaftet, ihre ehemaligen Vermieter drei Tage später. Nach Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft wegen „Rundfunkverbrechens“ fand der Prozess gegen Dr. Margarete Bothe am 01., 06. und 08.02.1945 vor dem Sondergericht I in der Elisenstraße 64 (heute Bernhard-Göring-Straße) statt und endete mit einem Freispruch. Sie wurde dennoch nicht von der Gestapo entlassen, weil das Hören von ausländischen Sendern nicht das Entscheidende war, sondern weil Dr. Margarete Bothe nicht bereit war, ihre Vermieter zu denunzieren. Vor der Befreiung Leipzigs durch US-Streitkräfte am 18.04.1945 wurde sie zusammen mit 51 Häftlingen aus den Leipziger Gestapo-Gefängnissen erschossen.

Heinrich-Budde-Straße 50 – Werner Schilling: 1917 Leipzig – 24.07.1944 Zuchthaus Brandenburg
Werner Schilling wurde in Leipzig-Stötteritz geboren, verlebte seine Kindheit in Borna und besuchte bis 1932 die 30. Volksschule in Stötteritz. Am 13.01.1939 ehelichte er Helga Grossmann. Das Paar wohnte in der damaligen Beaumontstraße 50 (heute Heinrich-Budde-Straße).Schilling arbeitete als Bürobote bei einer Bank. Am 05.01.1940 wurde Werner Schilling zur Wehrmacht eingezogen, aber bereits am 20.12.1940 vom Landgericht Breslau wegen Fahnenflucht zu sieben Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. 1941 kam er in das in Fulda aufgestellte InfanterieErsatz-Bataillon 500, die sogenannte „Bewährungstruppe 500“. Durch „Bewährung im Kampf“ konnte man die ausgesetzte Haftstrafe löschen oder verkürzen. Werner Schilling desertierte wieder und wurde am 10.02.1943 in Leipzig gestellt, wo er am 22.03.1943 aus einer Außenstelle der Untersuchungshaftanstalt erneut floh. Im Kreis Johannisburg/Ostpreußen (heute Pisz) wurde er am 18.05.1943 von der Gestapo festgenommen. Das Gericht OFK 225 Skierniewice in der Nähe von Warschau verurteilte ihn am 17.09.1943 wegen Fahnenflucht zum Tode. Das Urteil an Werner Schilling wurde am 27.04.1944 im Zuchthaus Brandenburg vollstreckt.

Menckestraße 7a – Familie Cohn, Louis Henry 1895 Leipzig – 06.02.1943 KZ Auschwitz ermordet, Paula, geb. Grosz 1899 Leipzig – verschollen 1943 im KZ Auschwitz), Ernst 1922 Leipzig – verschollen 1943 im KZ Auschwitz) und Günter Heinz 1923 Leipzig – ermordet am 24.05.1943 im KZ Auschwitz.
Der Kaufmann und Inhaber einer Firma für Landmaschinen Louis Henry Cohn ehelichte am 03.11.1921 in Leipzig Paula Grosz. Aus der Ehe gingen die Söhne Ernst und Günter Heinz hervor, die mit einer Lehre bei der Firma Rosenfeld ebenfalls die kaufmännische Laufbahn einschlugen. Am 04.06.1939 gingen alle jüdischen Verbände und Gemeinden zwangsweise in der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ auf, deren Angestellte das Ehepaar Cohn daraufhin war. Alle nach dem Nürnberger Rassegesetzen als jüdisch geltende Person wurden beitragspflichtige Zwangsmitglieder. Ziel der dem Reichsministerium des Inneren, der Gestapo, dem Sicherheitsdienst (SD) und ab September 1939 dem Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) unterstellten Vereinigung war es, die Auswanderung und Berufsausbildung der jüdischen Bevölkerung zu organisieren und nach Kriegsausbruch letztendlich die Auflösung jüdischer Gemeindereste zu betreiben. Im Mai 1940 unternahm die Familie einen Fluchtversuch. Louis Henry Cohn wurde am 11.11.1942 verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Paula Cohn wurde nach der Ergreifung ihres Gatten in der Roscherstraße zur Zwangsarbeit verpflichtet. Am 17.02.1943 wurde sie mit ihren Söhnen erst nach Berlin und dann am 26.02.1943 nach Auschwitz deportiert. Die Spuren von Paula und Ernst Cohn verlieren sich im KZ. Günter Heinz Cohn wurde dort am 24.05.1943 ermordet.

Poetenweg 15 – Familie Philippsohn: Erna, geb. Schönstadt 1899 – verschollen 1943 KZ Auschwitz, Walter 1897 Sachsenhagen (Hessen-Nassau) – verschollen 1943 KZ Auschwitz, Werner David 1926 Leipzig – verschollen 1943 KZ Auschwitz
Der Kaufmann und Mitinhaber eines Bankgeschäfts Walter Philippsohn wurde mit seiner Familie am 12.11.1938 nach der Pogromnacht im Rahmen einer „Sonderaktion“ verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Am 27.02.1943 kam die gesamte Familie in das Polizeihaftlager Dresden-Hellerberg und wurde am 01.03.1943 nach Auschwitz deportiert. Seitdem fehlte von der Familie Philippsohn jede Spur und es muss davon ausgegangen werden, dass sie im KZ umgekommen sind.

Richterstraße/Ecke Karl-Rothestraße (ehemalige Richterstraße 2) – Steindorff, Lucie 1879 Dessau – 10.05.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet
Die Klavierlehrerin Lucie Steindorff war Tochter des berühmten Ägyptologen Georg Steindorff (nach ihm ist das Ägyptische Museum der Universität Leipzig benannt). Bei Hausdurchsuchungen in Leipziger jüdischen Haushalten am 13.01.1941 wurden bei Lucie Steindorff, die damals zur Untermiete in der Grassistraße 20 wohnte, 500 Reichsmark gefunden, die sie für ihre Ausreise hinterlegt hatte. Sie wurde wegen „Devisenvergehens“ inhaftiert und in das Polizeigefängnis Wächterstraße gebracht. Alle Bemühungen ihrer Geschwister in den USA, ihre Schwester nachzuholen, schlugen fehl. Lucie Steindorff wurde am 28.03.1941 in das KZ Ravensbrück deportiert und am 10.05.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg (Euthanasie?) ums Leben gebracht.

Wangerooger Weg 17 – Julius Krause 1882 Wollstein (Provinz Posen, heute Polen) – 16.11.1938 im KZ Buchenwald umgebracht, Rosalie Krause, geb. Adler 1893 München – 08.01.1939 an den Folgen der Pogromnacht verstorben
Der Maurer und spätere Architekt Julius Krause hatte während seines Studiums in Berlin-Charlottenburg erste Kontakte zu Gewerkschaften und wurde Mitglied der SPD. 1910 siedelte er nach Leipzig über und betrieb von 1919 bis zur Liquidation 1928 eine Firma für Eisenkonstruktionen und später ein technisches Baubüro. Über seine Eheschließung mit Rosalie Adler ist nichts bekannt. Krause engagierte sich sowohl im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) als auch in der SPD. Er war 1923/24 und 1926 Stadtverordneter und von 1930 bis 1933 ehrenamtliches Ratsmitglied. Als Jude musste er 1933 sein Mandat niederlegen und schlug sich aus den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten als Handelsvertreter und Buchhalter durch. Am 10.11.1938, unmittelbar nach der Pogromnacht, wurde Julius Krause aus seiner Gohliser Wohnung ins KZ Buchenwald verschleppt, wo er verstarb. Seine Frau Rosalie ließ an den Folgen der Terrornacht ihr Leben.

Der Talmud lehrt uns: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Die Stolpersteine helfen mit, dass dies nicht geschieht. Die Opfer mahnen uns: NIE WIEDER FASCHISMUS; NIE WIEDER KRIEG !

Quellen: www.stolpersteine-leipzig.de; Bertram, Ellen, Menschen ohne Grabstein.
Gedenkbuch für die Leipziger jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung,
Hrsg. von Rolf und Brigitte Kralovitz in Verbindung mit der Ephraim-Carlebach-
Stiftung und der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Leipzig 2011

Ein Gohliser? Der Kindermörder in der Nachbarschaft

von Matthias Judt

Werner Julius Eduard Catel wurde am 27. Juni 1894 in Mannheim geboren. Er besuchte Gymnasien in Leipzig, Köln und Halle (Saale) und studierte Medizin in Halle und Freiburg. Dort schloss er sein Studium 1920 mit einer Promotion ab und arbeitete ab 1922 am Universitätsklinikum Leipzig. 1927 nahm Werner Catel seinen Wohnsitz im Kickerlingsberg 12, was in nicht wenigen Publikationen als Adresse in Gohlis vermerkt wird, weil die Straße Kickerlingsberg teilweise dort verläuft. Der Teil, der auch die Hausnummer 12 beherbergt, liegt jedoch schon im Stadtteil ZentrumNord. (1) Der spätere Kinder(massen)mörder war also kein Gohliser, lebte aber in der unmittelbaren Nachbarschaft dazu.

Werner Catel interessierte und engagierte sich schon sehr früh in Fragen des „unwerten Lebens“. 1924 traf er in Innsbruck auf einen Verfechter der „Vernichtung unwerten Lebens“, dem Psychiater Alfred Hoche (1865-1943) (2), der gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding (1841-1920) (3) dazu bereits 1920 im Leipziger Felix-Meiner-Verlag, eines auf Fragen der Philosophie spezialisieren Verlages, ein einschlägiges Buch veröffentlicht hatte. (4)

1926 habilitierte Catel in Leipzig und wurde Oberarzt am Universitätsklinikum Leipzig. 1932 wechselte er kurz an die Berliner Charité, kehrte aber bereits 1933 nach Leipzig zurück, wo er am 1. Oktober 1933 Direktor der Universitätskinderklinik wurde. Kurz zuvor war sein Vorgänger im Amt, Siegfried Rosenbaum (1890-1969) (5), wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Amt gedrängt worden und emigrierte wenig später nach Palästina. (6) Catel wurde zum Professor für Neurologie und Psychiatrie berufen und trat als solcher der NS-Ärzteschaft bei. Ein Beitritt in die NSDAP blieb ihm zunächst wegen einer Aufnahmesperre verwehrt, wurde aber von ihm am 1. Mai 1937 – gemeinsam mit seiner Frau – „nachgeholt“. (7)

1939 veranlasste Catel den Vater eines schwerbehinderten Kindes aus der Umgebung von Leipzig, ein Gesuch an den „Reichsführer“ Adolf Hitler zu senden, in dem er darum bat, seinem Kind den „Gnadentod“ zu gewähren. Catel hatte diagnostiziert, dass der Junge „nie normal“ werde. (8) Hitler sandte daraufhin seinen Leibarzt, Karl Brandt (1904-1948) nach Leipzig, der Catel die Nachricht übermittelte, er habe freie Hand und ihm werde Straffreiheit zugesichert. Am 25. Juli 1939 „schläferte“ Catel den Jungen „ein“ – der Beginn der Kindereuthanasie in Deutschland, der allein in Leipzig mehr als 500 Jungen und Mädchen zum Opfer
fallen sollten. (9)
Von 1939 bis 1945 wirkte Catel als „einer der drei Gutachter (10) im „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leidens“, der Tarnorganisation für die systematische Tötung von Tausenden schwer geschädigter Kinder und Jugendlichen (‚Kindereuthanasie’). Unter dem Deckmantel der Humanität (‚Leidminderung’) wurden dort die Meldung und Vernichtung „unwerten Lebens“ gerechtfertigt.“ (11) In seiner Gutachtertätigkeit entschied Catel in der Regel „nach Aktenlage“ über Leben oder Tod der von den Gesundheitsämtern des Reiches gemeldeten behinderten Kinder. (12)

Ab 1940 wurden in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Leipzig-Dösen Kinder und Jugendliche im Rahmen des Euthanasieprogramms getötet, ab 1941 auch in der Leipziger Universitätskinderklinik. Sie war die einzige universitäre Kinderklinik in Deutschland, die sich am Kindereuthanasieprogramm im Nationalsozialismus beteiligte. (13) Dort wurde eine sogenannte Kinderfachabteilung eingerichtet, von denen es in Deutschland etwa 30 in kommunalen, Landes- und auch Privatkliniken gab. Sie alle nahmen an der Euthanasie von Kindern teil.

Am 15. November 1945 wurde Catel als Direktor der Leipziger Universitätskinderklinik entlassen. Er versuchte noch, sich selbst als „Antifaschisten“ und „Antimilitaristen“ darzustellen und legte „Persilscheine“ vor, in denen ihm testiert wurde, „in jeder Hinsicht die sozialistischen weltanschaulichen Gedankengänge in sich aufzunehmen und innerhalb seines Bekanntenkreises dafür zu werben.“ Er selbst kündigte noch an, alle NS- und antisemitischen Passagen aus seinem 1939 erschienenen Lehrbuch „Die Pflege des gesunden und des kranken Kindes“ zu entfernen. (14) Das gelang ihm offensichtlich im Westen Deutschlands, wohin er 1946 geflohen war. Noch im Jahr 1964 schrieb „Der Spiegel“ „Als Professor für Kinderheilkunde besitzt Werner Catel europäischen Rang. Sein dreibändiges Werk ‚Differenzialdiagnose von Krankheitssymptomen bei Kindern und Jugendlichen’ gilt als eines der modernsten des Fachgebietes. ‚Die Pflege des gesunden und kranken Kindes’, mittlerweile in achter Auflage und ebenfalls in mehreren Sprachen, ist das deutsche StandardLehrbuch für die Schwestern-Ausbildung.“ (15)

Nichtsdestotrotz war sein Neustart im Westen holprig. Zwar wurde er in Wiesbaden in Bezug auf seine Tätigkeit im NS als „unbelastet“ eingestuft. 1949 platzte ein erster Prozess gegen ihn, verhinderte aber, dass Catel einen Ruf an die Universität Marburg folgen konnte. Am 1. Juli 1954 erhielt er an der Universität Kiel eine Professur für Kinderheilkunde und wurde Direktor der Kieler Universitätskinderklinik. (16)

im August 1960 löste ein Artikel im Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel (17) eine Kettenreaktion, in deren Folge Catel am 12. September 1960 einen Antrag auf vorzeitige Emeritierung – „krankheitshalber“ – stellte.

Auch danach verteidigte Catel die Tötung von geistig und körperlich behinderten Menschen. Anfang 1964 gewährte Catel dem Spiegel ein Interview, das Bände sprach. Auf die an sich schon inhumane Frage, wie man feststellen könne, dass ein Kind „im untermenschlichen Stadium verharren werde“, antwortete Catel: „Glauben Sie mir, es ist in jedem Fall möglich, diese seelenlosen Wesen von werdenden Menschen zu unterscheiden. […] Irgendwann aber steht absolut fest, daß keine Entwicklung in Gang kommt: nichts als Lallen, keine sinnvoll gesteuerte Bewegung.“ Nach längeren Untersuchungen an den betroffenen Kindern müsse „der Arzt, der die Diagnose gestellt hat, die Situation mit den Eltern durchsprechen. Er muß ihnen die Wahrheit sagen, nämlich, daß diesem Wesen nicht mehr zu helfen ist, daß es nie ein Mensch werden wird.“ Selbst führende Theologen der Zeit hätten erkannt, dass in „Wesen, deren Seelenleben sich nicht über das Niveau pflanzlichen oder tierischen Lebens erhebt, könne keine Religiosität aufkommen“ könne. „Solche Wesen hätten daher auch keinen Ewigkeitswert.“ (18)

Auch dieses Interview hatte Folgen. 1965 wurde beantragt, Catel die Approbation zu entziehen, was noch scheiterte. Im Jahr darauf verteidigte er die Euthanasie erneut als Ergebnis „humaner Indikation“.19 Nachdem Catel 1974 in einer Autobiografie noch versucht hatte, sich als Gegner des NS darzustellen (19), wollte er sich an seiner letzten Universität noch ein Denkmal setzen. Testamentarisch verfügte Catel, dass nach seinem Tod (1981) sein Vermögen an die Kieler Universität fallen solle, mit dem eine „Werner-Catel-Stiftung“ für experimentelle und naturwissenschaftliche Forschung gegründet werden solle. Nach massiven Protesten der Studierenden und der Öffentlichkeit lehnte die Universität das Ansinnen 1984 ab. (20)

2006 gab der Senat der Christian-Albrechts-Universität in der causa Catel eine eindrucksvolle Erklärung ab: „Die Verantwortlichen der Kinderklinik, die Medizinische Fakultät und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel verurteilen Catels Mittäterschaft an der ‚Kindereuthanasie’. Die Berufung auf einen Lehrstuhl der Kieler Universität ist nicht zu rechtfertigen, wenn auch offen bleiben muss, inwieweit damals den Berufenden die Verstrickung Catels in die ‚NS-Kindereuthanasie’ bekannt war. Es gehört zu den elementaren ethischen Grundsätzen des Arztberufes, menschliches Leben zu schützen und nicht zu töten.“ (21)

(1) vgl. Eene, meene, muh – und raus bist du. Kindereuthanasie in Leipzig. Eine Erinnerung. Schüler auf der Suche nach verblassten Spuren (im Folgenden „Kindereuthanasie in Leipzig“), Leipzig o.J., ohne Seitenzählung. In dieser und anderen Quellen wird Catels Adresse Kickerlingsberg 12 im Stadtteil Gohlis verortet. Dieser Teil der Straße liegt jedoch schon im Stadtteil Zentrum-Nord.
(2) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hoche.
(3) Karl Binding fungierte in den akademischen Jahren 1892/93 und 1908/09 als Rektor der Leipziger Universität. 1909 wurde ihm die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leipzig verliehen, die erst 2010 wegen seiner Beteiligung an der Publikation des Buches aberkannt wurde (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Binding).
(4) Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form, Leipzig 1920.
(5) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Rosenbaum.
(6) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Catel.
(7) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Catel.
(8) vgl. Christoph Buhl, Von der Eugenik zur Euthanasie. Eine Spurensuche in Leipzig, Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der HTWK,. Leipzig 2001, S. 41.
(9) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Catel.
(10) Die beiden anderen Gutacher waren der Kinderarzt Ernst Wentzler (1891-1973) und der ebenfalls zeitweilig in Leipzig tätige Psychiater Hans Heinze (1895-1983). Vgl. Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord. Frankfurt am Main 2004, S. 130f; Udo Benzenhöfer: Der gute Tod? Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe. 2. Auflage. Göttingen 2009, S. 104f.
(11) Stellungnahme des Senats der Christian-Albrechts-Universität Kiel vom 14. November 2006 zu Werner Catel, hier zitiert nach: https://www.uni-kiel.de/ns-zeit/allgemein/catel-werner.shtml. Siehe auch: Hans-Christian Petersen/ Sönke Zankel, „Ein exzellenter Kinderarzt, wenn man von den Euthanasie-Dingen mal absieht“ – Werner Catel und die Vergangenheitspolitik der Universität Kiel, in: Hans Werner Prahl/ Hans-Christian Petersen/ Sönke Zankel (Hg.): Die Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel und der Nationalsozialismus, Band 2, Kiel 2007, S. 133-178; Christian Andree, „Werner Catel (1894-1981). Seine Verstrickungen in das Kindereuthanasie-Programm der Nationalsozialisten. Gedanken, Taten und Folgen“, in ders., Die Universitätskinderklinik der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, 1906-2006: Eine medizinhistorische Studie zum hundertjährigen Bestehen. Kiel 2006, S. 178-201.
(12) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Catel; „505. Kindereuthanasie-Verbrechen in Leipzig. Wanderausstellung, entstanden unter Beteiligung von Schülern der Henriette-Goldschmidt-Schule Leipzig, des Evangelisches Schulzentrum Leipzig, der Petri-Mittelschule und des Schulalternativ-Projekt „Youth Start“ auf Initiative der Stadt Leipzig“, 27.Januar 2007
(13) vgl. Euthanasieverbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus in Leipzig. Informations-Material fur Lehrer und Schüler der 9. und 10. Klassen in Mittelschulen und Gymnasien in Leipzig, 5. März 2007, S. 11
(14) wiedergegeben und zitiert nach: Kindereuthanasie in Leipzig
(15) Der Spiegel vom 17. Februar 1964.
(16) vgl. : Kindereuthanasie in Leipzig,
(17) „Euthanasie: Eingeschläfert“, in Der Spiegel vom 17. August 1960.
(18) wiedergegeben und zitiert aus „Aus Menschlichkeit töten?“, in Der Spiegel vom 19. Februar 1964. 19 vgl. : Kindereuthanasie in Leipzig,
(19) vgl. : Kindereuthanasie in Leipzig,
(20) vgl. ttps://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Catel.
(21) Stellungnahme des Senats der Christian-Albrechts-Universität Kiel vom 14. November 2006 zu Werner Catel, hier zitiert nach: https://www.uni-kiel.de/ns-zeit/allgemein/catel-werner.shtml.