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OL 6.2 Schulleben

Die Schule auf dem Anger

von Ursula Hein

Zu einem Dorf gehören nach unseren Vorstellungen die Kirche mit Pfarrer und Küster und die Schule mit dem Lehrer. In einem Städtchen oder Stadtteil kommen dann der Arzt und der Apotheker und Geschäftsleute hinzu, die sich dann bei bestimmten Gelegenheiten treffen, zum Beispiel am Stammtisch, wenn auch meist ohne den Pfarrer.

In Gohlis war das ein wenig anders. Zunächst bestand das Dörfchen aus nur kleinen Bauernhöfen, die jeweils unterschiedlichen meist adligen Gerichtsherren unterstellt waren. Eine Schule existierte nicht, die christliche Gemeinde war ebenso wie die von Möckern der Pfarrei Eutritzsch zugeordnet und die Kinder dieser Dörfer mussten dort die Schule besuchen. Der Schulbesuch war nicht wirklich geregelt, in Kriegszeiten fiel er völlig aus, ebenso, wenn die Kinder zur Arbeit auf dem Bauernhof gebraucht wurden.

Wahrscheinlich gab es in Gohlis eine sogenannte Winkel- oder Klippschule, deren Besuch durch Geld oder Naturalien abgegolten wurde. Mehr als ein wenig Lesen, Schreiben, Rechnen und Beten lernten die Kinder nicht. Endlich wurde im Jahr 1685 eine eigene Dorfschule auf dem Anger erbaut und die Kinder durch Theologiestudenten, die sgn. Kinderlehrer, betreut. 1786 sollen in Gohlis etwa 60 Kinder unterrichtet worden sein. Eine Liste der Lehrer in Gohlis mit einigen weiteren Informationen hat uns Willy Ebert überliefert dem wir das erste umfassende und Quellen gestützt Geschichtsbuch über Gohlis verdanken . (2)

Dann wurde im 18. Jahrhundert in Gohlis ein Schlösschen erbaut, aber nicht von einem der adligen Ortsherren, sondern von dem bürgerlichen Kaufmann Johann Caspar Richter, dessen zweiter Nachfolger Johann Gottlob Böhme nach 1774 auch dafür sorgt, dass das Schulgebäude auf dem Anger aufgestockt, die Lehrerwohnung verbessert und eine kleine Bibliothek angeschafft wurde. Zudem erhielten die Gohliser einen Betsaal über der Schulstube im ausgebauten Bodenraum. 1818 wurde das Gebäude wieder umgebaut und vergrößert, 1826 durch den einzigen Lehrer ein Garten für den Privatbedarf angelegt. Weitere Umbauten erfolgten 1830 und 1849.

1861 war die Schule zu klein geworden, in ihre Räume zog die Kinderbewahranstalt/Theresienstift ein. (3) Ab 1861 bis zum Bau der späteren Friedenskirche 1871-73 wurde der Betsaal auch weiter genutzt. 1887 wurde das alte Gebäude abgerissen und der Anker zu einer öffentlichen freien Anlage umgestaltet.

Erst 1805 wurde in Sachsen der Schulzwang für alle Kinder zwischen dem 6.und dem 14. Lebensjahr angeordnet, seine Befolgung aber nicht unbedingt streng kontrolliert. Im November 1819 erhielt dann die Gohliser Volksschule einen engagierten Lehrer, Johann Gottlieb Fleischer (1799–1883), der bis 1848 die Schule alleine betreute.

1851 erhielt er einen Mitstreiter, ab 1861 gab es dann zwei, schließlich seit 1865 drei weitere Lehrer. Für seine Verdienste erhielt Lehrer Fleischer dann den Titel Oberlehrer und war damit für das gesamte Gohliser Schulwesen zuständig. Nach seinem goldenen Ortsjubiläum mit Fackelzug und Kommers im Neuen Gasthof am 12. November 1869 konnte er ein Jahr später in den wohlverdienten Ruhestand treten. 1883 starb er im hohen Alter von 84 Jahren. Willy Ebert hat ihm 1926 in seinem Gohlisbuch ein ganzes Kapitel gewidmet. Hier können wir auch ein Foto des Oberlehrers sehen. Er wirkt darauf sehr energisch und wohl auch recht streng. Aber vielleicht ist das auch nur der Photographie der Zeit geschuldet. W. Ebert konnte 1926 noch mit Schülerinnen und Schülern des Oberlehrers von Gohlis sprechen und diese Informationen für sein Schulkapitel verwenden.

1786 gab es in Gohlis ja etwa 60 Schulkinder. Mit den steigenden Einwohnerzahlen in Gohlis stieg natürlich auch die Anzahl schulpflichtiger Kinder. 1830 waren es schon 130. (4) Bis 1860 stieg die Anzahl der Bewohner auf ca. 2.000. Die Schule auf dem Anger wurde zu klein und man errichtete an der Ostseite des Lindenplatzes, des heutigen Kirchplatzes, ein neues Schulgebäude, das am 19. April 1861 eingeweiht wurde. Da die Einwohnerschaft von Gohlis weiterhin stetig wuchs, war 1873 war auch dieses Gebäude hinter der Kirche zu klein geworden. Ein neues Schulgebäude wurde an der Hallischen Chaussee(heute Georg-Schumann-Ecke Sasstraße) erbaut und hieß dann zunächst 1. später 4. Bürgerschule, zuletzt 37. Volksschule.

Das Gebäude hinter der Kirche wurde nach dem Umzug der Schule nacheinander Pfarre, Gemeinde- und Polizeiverwaltung, Standesamt und Sparkasse genutzt und dann von der Post angemietet. Sein Ende fand es 1943 beim Luftangriff. Es wurde völlig zerstört. Heute befindet sich an dieser Stelle der Garten der Kirchengemeinde.
An die erste Volksschule in Gohlis erinnern nur noch Anger in der Menckestraße und dieser Garten. Ein Hinweisschild auf diese wichtige Bildungseinrichtung sucht man vergebens.

(1) Ebert, Willy, Gohlis. Die Schule und der Schulmeister Aus der Geschichte eines Leipziger Vorortes. Leipzig 1926 Kap. V. S. 34- 43
(2) Ebert a.a. O. S. 37 Die Lehrer der Schule auf dem Anger: 1676 Christian Drechsler; 1684 Christian Schönich stud.theol.;1685 Christian Systenius stud.theol.; 1687 Elias Dreßler aus Neustadt bei Koburg (vorher Kurland); 1699 Christian Wenzel aus Altenburg; 1713 Joh. Gottlieb Hauptmann; 1717 Joh. Martin Langhammer; 1743-17 Haupter; 1751-1761 Haun; 1761-1764 Schulze, Dauer, Böhr; 1786 Johann Karl Jülich, dessen ältestes Kind 1786 im hiesigen Schulhaue geboren und 1871 als Pfarrer emer. zu Haina gestorben ist; 1789 Joh. Daniel Klingler; 1794 Joh. Andreas Gottlob Neumann, Kinderlehrer aus Wehlitz; 1806 Joh. Gottlob Henker; 1814-1819 Joh. Gottlieb Siegismund; 1819-1870 Joh. Gottlieb Fleischer
(3) Guhr, Elisabeth, Das vereinigte Theresia- und Elsbethstift. In 700 Jahre Gohlis a.a.O. S.205-207
(4) 1835: 1 Lehrer 219 Schüler
1874: 15 Lehrer 846 Schüler
1890: 54 Lehrer 2849 Schüler
1900: 131 Lehrer 5362 Schüler

Die Büttnersche Höhere Töchter-Schule – ein Dorf auf dem Weg zum bürgerlichen Wohnort

von Ursula Hein

Gohlis, das kleine Dorf vor den Toren Leipzigs, beherbergte um 1800 in 45 Häusern eine Einwohnerschaft von gerade einmal 450 Leuten, während Leipzig über 33.000 Einwohner zählte. Ein halbes Jahrhundert später lebten in Gohlis über 1.000 Menschen, 1880 schon über 9.000. Das Bürgertum hatte Gohlis nicht nur als Ausflugsort mit vielen Gasthäusern, sondern auch als gesunden Wohnort entdeckt. In dieser noch eigenständigen Gemeinde, die schon lange über eine Volksschule verfügte, sollte nun 1882 die erste private Mädchenbildungsanstalt entstehen, die Büttnersche Höhere Töchter Schule. Zwei Festschriften begleiten den Weg dieser ersten privaten Mädchenschule in Gohlis: 1907 wird noch in Anwesenheit der Schulgründerin Mathilde Büttner das 25jährige Jubiläum und 1932 unter ihrer Nachfolgerin Emma Wenke-Ruschhaupt das 50jährige Jubiläum mit großer Anteilnahme von Schülerinnen, Lehrerinnen, Eltern und Obrigkeit gefeiert.

Nun aber zurück zu den Ereignissen von 1882:
Mit neun sechsjährigen Schülerinnen eröffnet die Lehrerin Frl. Mathilde Büttner am 17. April 1882 in Gohlis in der Langen Straße 54 (heute Eisenacher Straße 31) die erste Klasse einer höheren Mädchenschule, die zunächst nur als dreiklassige Vorschule geplant war. Ob die Gründung der kleinen Privatschule auf Anregung der Lehrerin Frl. Mathilde Büttner oder auf Anregung einer Anzahl Gohliser Familien geschah, sei dahingestellt. Jedenfalls treffen hier Gleichgesinnte aufeinander. Die Eltern wollen ihren kleinen Töchtern den weiten Weg in die Mädchenschule nach Leipzig ersparen, Mathilde Büttner sich mit einer Schule selbstständig machen. Die Lehrerin nahm nun die Mühen auf sich, jeden Tag mit der Pferdebahn von Leipzig nach Gohlis zu fahren. Im Winter musste sie häufig diesen Weg von der Brandvorwerkstraße, wo sie noch mit Mutter und Geschwistern lebte, im tiefen Schnee zu Fuß auf sich nehmen.

Nachdem sie zwei angemietete Zimmer in einem Wohnhaus als Schulstube eingerichtet hatte, unterrichtete sie ihre Zöglinge zunächst alleine. 1883 kam Frl. Dümler hinzu, 1885 dann Frl. Noël, die dann beim ersten Jubiläum eine lange Ansprache zu Geschichte, Idee und Realität der Schule hielt, wie in der Festschrift von 1907 nachzulesen ist.
Die Schule war erfolgreich, was man auch an ihrer „Wanderschaft“ durch verschiedene Domizile in Gohlis nachvollziehen kann, denn der Raumbedarf vergrößerte sich rasch. 1893 ging es in die Nähe des Schillerhäuschens, Schillerstraße 7 mit Blick auf die Lindenstraße (beides Teile des heutigen Schillerweges). Als dann auch der Durchbruch zum Nachbarhaus für den Raumbedarf der größer werdenden Mädchenschar nicht mehr ausreichte, zog man 1903 in die Georgstraße 2 (heute Natonekstraße 2), Auf dem Titelblatt der Festschrift steht allerdings die Hausnummer 8. Hier hatte man schon ein richtiges Schulhaus mit Schulhof. 1928 konnte der Schulhof erweitert, die Aula verschönert und ausgemalt werden.

Zum Zeitpunkt des Jubiläums 1907 gab es an der Schule 118 Schülerinnen und 17 Lehrkräfte. Bis 1918 leitete Frl. Büttner die Schule, um dann krankheitshalber die Aufgabe an Frl. Ruschhaupt, eine Schülerin des Reformpädagogen Gaudig, weiterzugeben. Diese hielt eine Ansprache zur 50-Jahr-Feier 1932 über ihren Beitrag zur „inneren Geschichte der Schule“, wie es in der zweiten Festschrift von 1932 heißt.
1918 hatte die Schule schon 171 Schülerinnen, 1921 sogar 415, doch dann sank infolge der Inflation die Zahl, bis sie bis 1932 noch 289 Schülerinnen und 21 Lehrkräften umfasste. In den 50 Jahren hatten insgesamt 2500 Schülerinnen diese private Mädchenschule besucht.

Zum ersten Jubiläum 1907 hatten Eltern, ehemalige Schülerinnen und Lehrerinnen mit einem Grundkapital von 4.000 Mk. die Mathilde Büttner-Stiftung, eine Krankenkasse für den Lehrkörper, gegründet. In der Inflation von 1923 schmolz das Kapital schließlich bis auf null zusammen, aber schon am 10.März 1924 legte ein Vater mit einer Spende von 22 M den Grundstein für das Wiederaufleben der Stiftung, die 1932 dann über 10.000 RM besaß.

Über die weitere Geschichte der Schule ist fast nichts bekannt. Nur so viel ist sicher, in den historischen Adressbüchern der Stadt Leipzig finden sich unter Georgstraße 2 bis 1937 der Name der Schule, der der Schulleiterin Frau Wenke-Rauschhaupt und der des Schulhausmeister Pautsch. Diese wenigen Jahre während der Zeit des Nationalsozialismus gilt es noch zu untersuchen. Ab 1938 gibt es dann in der Georgstraße 2 ein Jugendheim der Stadt Leipzig, ein H. Martin ist Hausmeister. Der Name der Schulleiterin ist ebenso wie der Name des ehemalige Schulhausmeisters in den Adressbüchern nicht mehr aufzufinden. Auch hier gibt es also noch Forschungsbedarf.

Die Schule hatte von Anfang an sehr ambitionierte Ziele. Sie sollte die jungen Mädchen aus bürgerlichem Haus auf christlicher Grundlage zu einem tätigen Leben bilden und erziehen. Sie sollten befähigt werden, einen Beruf auszufüllen, auch zu studieren. Man sah also die Zukunft junger Mädchen realistisch, nicht mehr nur als geduldig auf den künftigen Ehemann Wartende. Sie selbst sollten für den Lebenskampf gewappnet sein. Frl. Noël beklagt sich in ihrer Rede sogar darüber, dass manche Eltern ihre Töchter nicht bis zum Abschluss auf der Schule ließen, sondern sie sozusagen aus der Ausbildung herausnahmen, um sie in einem bürgerlichen Pensionat nur auf das Familienleben vorzubereiten.

Zum Programm der Erziehung gehörte auch, die Schülerinnen durch Ausflüge mit der Welt bekannt zu machen. Nach Besuchen im Umkreis wie dem Schützenhaus noch unter der Leitung Frl. Büttners ging es dann später auch ins Muldental, in die Thüringer Berge, nach Weimar, zum Kyffhäuser, auf die Wartburg, nach Meißen und Dresden. Im Jahr des 50jährigen Bestehens der Schule musste man sich dann mit Besuchen in der Nähe bescheiden, dies war den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise geschuldet, die auch vor den gut bürgerlichen Kreisen des angesagten Villenvorortes Gohlis nicht Halt machte.
Frl. Ruschhaupt betont in ihrem Beitrag den Einfluss der Gaudig` schen Reformpädagogik auf die Schule. Sie selbst hatte unter dem Reformpädagogen und Schulleiter Hugo Gaudig 10 Jahre an der Gaudigschule, der städtischen höheren Mädchenschule Leipzig in der heutigen Lumumbastraße 2 gearbeitet.

Auch die Worte des Behördenvertreters zeigen 1932 durchaus eine moderne Auffassung der Mädchenbildung, während die Worte des Elternvorsitzenden deutlich konservativer sind. Die Schule hat seit 1919 als Elternvertretung einen Elternrat und Elternversammlungen, in denen über anstehende Fragen der Mädchenerziehung, weibliche Berufe uvm. berichtete wurde. Bei der nach dem Kriege notwendigen Erneuerung der Schulbücherei konnten die Eltern mitwirken und bestehende Lücken schließen. Seit 1922 gab es eine Schulzeitung „Der Weggeselle“, die allgemein interessierende Themen behandeltete. Seit dem gleichen Jahr beginnen die Beteiligungen an den Pfingst-Kundgebungen des VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland). Schon seit 1908 hat die Schule ihre Fühler weiter ausgestreckt und im Bund privater deutscher Mädchenschulen aktiv mitgewirkt.

Man sollte nicht außer Acht lassen, dass die neue Schulleiterin nach 1918 bestrebt war, die Möglichkeiten der Privatschule auszubauen. So wurden Aufstiegsklassen für begabte Schülerinnen aus der Gohliser Volksschule eingerichtet. Diese Klassen dienten dann als Vorbild für ein entsprechendes Angebot an städtischen Schulen, was zu Folge hatte, dass die Büttnersche Schule diese Klassen schließen musste. Seit 1929 wurde die Mittlere Reife abgelegt, neue Fächer und Methoden wie das Kuhlmannschreiben statt des bisherigen Taktschreiben eingeführt. Der Musikunterrichte sollte alle und nicht nur die besonders Begabten zum Mitmachen animieren. Sprechtechnik spielte eine große Rolle im Stimmbildungsunterricht (nach Professor Engel aus Dresden), der 1924 zu einem eigen Fach aufgewertet wurde. Auch der Mathematikunterricht wurde zu einem wichtigen Fach in der Mädchenausbildung.

Zuletzt sollte noch auf nette Besonderheit hingewiesen werden. Eva Stadler aus der 4, Klasse verfasst ein Schul- und Wanderlied, für das der Komponist Georg Striegler aus Dresden die Melodie schuf.

Die Büttnersche Mädchenschule hatte für die bürgerlichen Mädchen aus Gohlis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Das Haus in der Georg- jetzt Natonekstraße steht noch und verdiente eigentlich eine Plakette mit dem Hinweis auf die Schule, die hier von 1903-1937 viele Schülerinnen Bildung und Erziehung vermittelt hat.

Bericht über die Feier des 25 jährigen Bestehens der Büttnerschen Höheren Mädchenschule zu Gohlis Georgstraße 8 erstattet von den Mitgliedern des Kollegiums. Leipzig 1907
Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Büttnerschen Schule. Unter Mitwirkung von Dr. jur. F.O.Jummel herausgegeben von der Büttnerschen Schule. Leipzig 1932
Hugo Gaudig. Architekt einer Schule der Freiheit. Festschrift zum Internationalen Symposium aus Anlass seines 150. Geburtstages. Leipzig 2010
Adressbücher der Stadt Leipzig 1933-1938

„Hunger hatten wir immer“

von Matthias Judt

„Im Herbst 1945 begann auch wieder der Schulunterricht“, berichtete 2015 der in Gohlis geborene Ingenieur Gerhard Eckart in einem von der Leipziger Volkszeitung herausgegebenen Buch. „Ich ging damals in die 38. Grundschule an der Breitenfelder Straße. Wir bekamen auch Schulspeisung., eine fürchterliche Kohlrübensuppe, die eigentlich mehr dazu angetan war, sich das Essen ganz abzugewöhnen. Aber wir hatten ja Hunger. […] Manchmal gab es Milchnudeln. Das war wie ein Festtag. Im Winter gingen wir, da es ja keine Kohlen gab, zumeist nur in die Schule, um Hausaufgaben zu notieren und unser großes Brötchen, welches es inzwischen als Schulspeisung gab, abzuholen. Aber es gab auch Schüler, die das nicht unbedingt brauchten, deren Eltern eine Bäckerei oder ein anderes Geschäft hatten. So waren die Brötchen ein beliebtes Tauschobjekt: Taschenmesser gegen zwei Brötchen oder Brötchen gegen Hindenburg-Briefmarken. Wenn ein Schüler krank war, musste ihm das Brötchen von einem Freund oder vertrauenswürdigen Schüler nach Hause gebracht werden. Hunger hatten wir immer, und wenn wir nachmittags aufden Trümmergrundstücken spielten, hatten wir immer eine Handvoll getrocknete Rübenschnitzel in der Hosentasche.“ (1)

Eckart, der heute einen Gemeindekreis an der Versöhnungskirche im Viertelsweg betreut, berichtete weiter: „An der Ecke von Lindenthaler und Hallescher Straße, heute Georg-Schumann-Straße, war damals ein Laden der Brotfabrik. War das Geschäft voller Kunden, so nutzten wir den Andrang und klauten Brötchen aus dem Schaufenster. Auf der Eisenacher Straße war immer ein reger Betrieb von Brauereifahrzeugen. Wenn wir sie die Straße entlangholpern hörten, standen wir schon in den Startlöchern und warteten darauf, dass die Tiere ihre Pferdeäpfel fallen ließen – für die Tomatenpflanzen in den Blumenkisten vor den Fenstern.“ (2)

(1) vgl. Gerhard Eckart, „Rübenschnitzel in der Hosentasche“, in Leipziger Volkszeitung (Hg.), „So war das damals …“ Leser erzählen aus ihrer Jugendzeit, Leipzig 2015, S. 60 – 63, hier S. 62.
(2) ebd., S. 63. Rechtschreibung nach Original.