von Matthias Judt
Die Straßenbahnen stellen für Leipzig (und auch für Gohlis) noch heute das wichtigste Beförderungsmittel im öffentlichen Personennahverkehr dar. Sie werden von den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) unterhalten, aber das erst seit etwa 80 Jahren. Initiiert wurde der Bau von Straßenbahnlinien in Leipzig nämlich durch zwar öffentlich konzessionierte, aber private Investoren, die ihren jeweiligen Sitz außerhalb der Stadt (in Berlin, London bzw. Genf) hatten. (1)
Am 20. April 1871 (2) erteilte die Stadt Leipzig die Konzession zum Bau von Pferdebahnen. Die dadurch entstehende „Leipziger Pferde-Eisenbahn-Gesellschaft“ (LPE) wurde ein gutes Jahr später, am 24. Mai 1872, von der eigens dafür in London gegründeten „Leipzig Tramways Company Ltd.“ übernommen, die vor Ort aber weiterhin als LPE agierte. Wegen der blauen Lackierung ihrer Wagen wurde die LPE (und ihre Nachfolgegesellschaft) auch „Die Blaue“ genannt. (3)
In einer ersten Bauphase eröffnete die LPE sieben Straßenbahnlinien, darunter am 20. Januar 1873 eine Linie, die vom Yorckplatz (dem heutigen Wilhelm-Leuschner-Platz) über Gohliser, Mencke- und Möckernsche Straße bis zur Gaststätte „Weintraube“ in der Möckernschen Straße 5 an der Einmündung zur Breitenfelder Straße führte. Diese Linie wurde zehn Jahre später bis zum Depot in der Möckernschen Straße 37-41 verlängert (das Depot selbst wurde dort bis Ende 1963 betrieben). Am 13. September 1891 ging eine weitere Pferdebahnlinie zwischen Chausseehaus und Kernstraße in Möckern in Betrieb, die über die Hallische Straße (die heutige Georg-Schumann-Straße) geführt wurde. (4)
Die LPE wurde zum 1. Januar 1896 im Zuge der bis 1897 abgeschlossenen Elektrifizierung ihrer Strecken an die „Große Leipziger Straßenbahn“ (GLSt) verkauft, die sich selbst im Besitz der in Berlin ansässigen „Union-Elektricitätsgesellschaft“ (UEG) und eines Bankhauses befand. Die GLSt elektrifizierte die bisherigen Pferdebahnstrecken und erweiterte ihr Leipziger Netz kontinuierlich, so auch in Gohlis. 1898 wurde von ihr eine Linie zwischen den Depot in der Möckernschen Straße und der Ecke Wiederitzscher/Hallische Straße eingerichtet. Anfang Oktober 1911 kam eine Verbindung von der Menckestraße über die Lützowstraße bis zur Ecke Virchow- und Gottschallstraße hinzu. (5)
Der 3. April 1893 ist das Gründungsdatum der sich im Besitz der AEG befindlichen „Leipziger Elektrischen Straßenbahn“ (LESt). Sie fuhr mit rot lackierten Wagen, weshalb sie im Volksmund „Die Rote“ genannt wurde. Die LESt eröffnete am 5. Juni 1896 eine erste Linie in Gohlis (Platnerstraße bis Marienplatz). Diese wurde bis Ende 1897 zunächst bis zur Ecke Lindenthaler und Hallische Straße verlängert, und ab dem 14. November 1898 weiter bis zu den Gohliser Kasernen an der Ecke Landsberger und Olbrichtstraße. (6)
Am 19. November 1899 eröffnete die LESt in Gohlis eine weitere Linie, die von der Stockstraße über Eisenacher, Möckernsche und Kirschbergstraße bis zur noch heute existierenden Gaststätte „Zum Anker“ in Möckern führte. Ende September 1910 wurde die Linie zu den Gohliser Kasernen bis zur heutigen Endstelle an der Landsberger Straße verlängert. (7)
Zum 1. Januar 1917 wurde die LESt an die GLSt angeschlossen. Die Große Leipziger war bereits 1904 in den indirekten Besitz der AEG gekommen, als ihre Eignergesellschaft, die UEG, an die „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“ (AEG) verkauft worden war. Allerdings sollten beide Straßenbahngesellschaften gut zwei Jahre später schließlich in öffentlichen Besitz übergehen. (8)
Mit beiden Straßenbahngesellschaften unter einem Dach ging die GLSt daran, ihr Streckenetz zu bereinigen. Anfang 1918 wurde die 1899 von der LESt eingerichtete Linie zwischen Depot Möckernsche Straße und Gaststätte „Zum Anker“ stillgelegt und eine weitere Strecke zwischen Tauchaer Weg (der heutigen Max-Liebermann-Straße) und den Gohliser Kasernen zur Betriebsstrecke zurückgestuft. Wenige Jahre später (1923) wurde indes ein neuer Linienverkehr zwischen Tauchaer Weg und dem Depot in der Landsberger Straße aufgenommen (dieses Depot wurde bis Mai 1993 betrieben, in DDR-Zeiten als „Jugendbahnhof Rudi Opitz“ (9)). Eine weitere Linie wurde am 11. September 1927 zwischen Ecke Möckernscher und Wiedritzscher Straße und Kern-, Ecke Hallische Straße in Möckern in Betrieb genommen. (10)
In enger Verbindung zur GLSt stand die am 6. Februar 1900 gegründete „Leipziger Außenbahn AG“ (LAAG). Sie verband größere Nachbarorte der Messestadt mit Leipzig. Während die Gleisanlagen der LAAG bis 1951 im Eigentum der Gesellschaft verblieben, wurde der Betrieb von Beginn an von der GLSt und ihrer Nachfolgegesellschaft betrieben). „Eine dieser Linien beführ die Strecke Connewitz-Kreuz nach Gohlis-Planitzstraße (heute Viertelsweg)“. (11)
Am 29. Juli 1938 wurde die GLSt in „Leipziger Verkehrsbetriebe“ (LVB) umgegründet und erhielt damit den Namen, den sie noch heute trägt. Allein die LAAG behielt ihre Eigenständigkeit, die sie nach 1945 in zwei Schritten verlor. Am 1. Juli 1946 wurde sie in die Verwaltung der LVB genommen, zum 1. Oktober 1951 dann komplett übernommen. Die LVB wurden im März 1949 dem „Kommunalen Wirtschaftsunternehmen“ (KWU) Leipzig angegliedert . Zwei Jahre später entstand daraus der „kreisgeleitete“ VEB (K) Verkehrsbetriebe der Stadt Leipzig (LVB). Nach der Wende wurden die Verkehrsbetriebe in eine GmbH umgewandelt, die sich zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Leipzig befindet. (12)
Bis zum Beginn der 1960er Jahre legten die LVB eine Reihe von Linien still, nicht jedoch in Gohlis, wo im Mai 1961 sogar eine Linie zwischen Gottschallstraße und der Schleife Virchowstraße noch verlängert wurde. Das sollte jedoch die letzte Ausbaumaßnahme in Gohlis sein, weil die LVB nunmehr vor allem Straßenbahnverbindungen in die Neubaugebiete in Thekla oder Grünau einrichtete. (13)
Seit 1951 – nach 20 Jahren Pause – wurde die Fahrzeugflotte der LVB erneuert. Zunächst beschaffte die LVB „LOWA-Wagen“ (aus dem VEB Lokomotiv- und Waggonbau Werdau), ab Anfang der 1960er Jahre wurden dann „Gothawagen“ (aus dem VEB Waggonbau Gotha) neu beschafft. Nachdem die DDR innerhalb des Ostblocks ab 1966 den Bau von Straßenbahnen aufgeben musste, bezogen die LVB ab 1969 schließlich Tatra-Straßenbahnen, die ab 1974 auch im Einsatz auf der Strecke nach Gohlis-Nord waren. Bis zum Ende der 1980er Jahre wurde nahezu der komplette Wagenbestand auf Tatra-Bahnen umgestellt, von denen die letzten erst 2020 ausgemustert sein werden. Auf den in Gohlis verkehrenden Linien 4 und 10 werden sie seit Juli 2017 durch hypermoderne Straßenbahnzüge aus polnischer Produktion ersetzt. Der Hersteller, Solaris, ist auch Lieferant der in Leipzig und Gohlis eingesetzten Busse der LVB. (14)
(1) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Leipzig. Siehe auch Klaus Adam, Vom Zweispänner zur Stadtbahn. Die Geschichte der Leipziger Verkehrsbetriebe und ihrer Vorgänger, Leipzig 1996.
(2) Nach anderen Angaben wurde die Konzession bereits einige Tage vorher, am 12. April 1871, erteilt (vgl. Peter Wangemann, „Straßenbahnen in Gohlis“ (im Folgenden „Wangemann, Straßenbahn“), in Bürgerverein 2017, S. 141 – 146, hier S. 141).
(3) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig.
(4) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; Wangemann, Straßenbahn, S. 141.
(5) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Leipzig.
(6) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig.
(7) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig.
(8) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; https://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_Verkehrsbetriebe.
(9) Rudolf („Rudi“) Opitz wurde am 19. Februar 1908 in Gohlis geboren. Er erlernte den Beruf eines Reproduktionsfotografen und Chemigrafen. Nach Aufenthalten in Niedersedlitz und Düsseldorf kehrte er nach Leipzig zurück. 1931 wurde Opitz Mitglied der KPD und stieg schnell in der Stadtleitung auf. Nach der Machtübernahme durch die Nazis wurde er im Widerstandskampf aktiv. Im August 1935 wurde Opitz wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ verhaftet, nach 17 Monaten Untersuchungshaft zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und nach Absitzen der Straf ins KZ Buchenwald überstellt. Dort nutzte er seine Tätigkeit im Fotolabor der SS, um Fotos von den Gräueltaten im Lager herzustellen. Es gelang ihm, Negative von diesen Fotis aus dem Lager zu schmuggeln. Als er erfuhr, dass seine Entlassung aus dem KZ bevorstehe, bereitete er eine erneute Schmuggelaktion vor. Am 29. Juni 1939 wurde beim ihm ein Negativ gefunden, das die Exekution eines KZ-Häftlings zeigte. Opitz kam unter strengen Arrest. Am 7. August 1939 wurde Opitz von einem Arrestzellenaufseher erschlagen. Sein Tod wurde von der SS als Selbstmord „durch Erhängen“ dargestellt.
(10) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; Wangemann, Straßenbahn, S. 142.
(11) wiedergegeben und zitiert nach Wangemann, Straßenbahn, S. 144f. Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig.
(12) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; https://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_Verkehrsbetriebe#Nach_der_Wende_1990.
(13) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Stra%C3%9Fenbahnnetzes_Leipzig; Wangemann Straßenbahn, S. 145.
(14) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_Verkehrsbetriebe; Wangemann Straßenbahn, S. 146; Matthias Judt, „Die Tatras gehen, die Solaris-Bahnen kommen“, in Gohlis Forum Heft 3/2017.