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Gohlis Forum 1/2021

Gohlis Forum – Ausgabe 1 für 2021 erschienen

Liebe Leserin, lieber Leser,

so viele Schneemänner, Schneefrauen, Schneewesen wie in diesem Winter hat es in Leipzig wohl lange nicht gegeben. Der lange heiße Sommer scheint vergessen angesichts dieser weißen Pracht, die uns den Januar über immer wieder erneut überraschte. Frau Holle leistet so auch einen wahrlich großen Beitrag zu unser aller Gesundheit: Durch reichlich Schnee im eigenen 15km-Radius wird niemand erst in Versuchung geführt, andernorts nach selbigem zu suchen. Dennoch: Nach einem wundervollen Frühling wird recht bald einen Sommer und mit ihm extreme Hitze folgen. Besonders in der Stadt machen die ausgeprägten Hitzeperioden den Menschen, Tieren und Pflanzen sehr zu schaffen. Die Bedeutung von Grünflächen und speziell Bäumen für das (Stadt)Klima ist in den letzten Jahren auch in Leipzig stärker in das öffentliche Bewusstsein gekommen und prägt bspw. städtebauliche Maßnahmen immer mit. Bei jüngsten Platzneugestaltungen in Gohlis, z.B. an der Erbse und am Platz des 20. Juli 1944 (wir berichteten) wurden so spezielle Be-/Entwässerungskonzepte und besonders klimaresistente Bepflanzungen mitgedacht. Es ist auch kein Geheimnis, dass durch Einbindung von Bäumen und Gehölzen in stadtplanerische Prozesse sich die Lebensqualität im urbanen Raum sowohl aus ökologischer als auch gestalterischer Sicht erheblich verbessern lässt. Umso erfreulicher ist es, dass wir hier immer häufiger beobachten können, wie Bürgerinnen und Bürger für ihren Stadtteil selbst aktiv werden um unser aller Gohlis lebenswerter zu gestalten. So werden emsig Baumpatenschaften geschlossen, die Baumscheiben, also die Flächen um die Bäume herum werden liebevoll gestaltet und gepflegt. Dies ist sogar schon mit relativ wenig Aufwand möglich, jedoch sind ein paar Dinge zu beachten. Die Regionalgruppe Leipzig des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat in Abstimmung mit der Stadt vor einiger Zeit eine Broschüre mit entsprechenden Hinweisen und Tipps herausgegeben.

Ein weiteres interessantes Projekt wurde im Oktober 2020 auf dem Freiligrathplatz umgesetzt: der Naturschutzbund NABU hat gemeinsam mit der Stadtreinigung und AnwohnerInnen eine naturnahe Umgestaltung des Parks angeregt und umgesetzt. So wurden heimische Gehölze angepflanzt, Laubmulch eingesetzt und großflächig Wildblumen ausgesät um die Biodiversität des Parks zu erhöhen. Über die Maßnahmen informieren vor Ort verschiedene Hinweisschilder.

Mit Redaktionsschluss erreichte uns die Information, dass die Buchmesse auch in diesem Jahr abgesagt wird. Eine bittere Enttäuschung für viele, war dieses Leipziger Großereignis doch gewissermaßen der Silberstreif am Corona-Horizont. Aber es wäre leichtsinnig, den status quo voreilig wiederherzustellen. Aus diesem Grund gibt es in diesem Heft leider auch keinen Gohliser Kulturkalender. Dennoch haben wir interessante Beiträge zusammengestellt, damit Sie auf dem Laufenden bleiben: neben zwei weiteren umfangreichen Schülerinterviews mit Zeitzeugen der Friedlichen Revolution, gibt es u.a. wie gewohnt Berichte aus dem Stadtbezirksbeirat und vom Gohliser Baugeschehen.

 

In eigener Sache – Baumscheibenbepflanzung

von Tino Bucksch

Zwei Jahre hintereinander hat der Bürgerverein die Baumscheibe seines gestifteten Baumes in der Lützowstraße direkt vor dem Bürgerverein mit kleinen Blümchen bepflanzt. Es sollte somit erreicht werden, dass die oft sehr trostlosen grauen Baumscheiben – ob nun mit Bäumen bepflanzt oder nicht – kleine Aufwertungen des Stadtteils darstellen. Auch 2021 wird der Bürgerverein seine Baumscheibe wieder begrünen. Damit dies nicht der einzige bunte Flecken in dem oft grauen Asphalt der Straßenzüge im Stadtteil bleibt, möchte der Bürgerverein die Gohliserinnen und Gohliser mit einbinden. Was ist hierbei zu tun? Schlagen Sie uns unter buergerverein.gohlis@gmail.com oder zur telefonischen Sprechstunde montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr unter 0341-20018556 Standorte oder Straßenzüge vor, die für dieses Projekt in Frage kommen. Der Bürgerverein kümmert sich um die Materialbeschaffung, Öffentlichkeitsarbeit und die Einbindung des Näheren Wohnumfeldes. Wichtigster Part kommt am Ende den Gohliserinnen und Gohlisern zu, die sich als „Gießpaten“ darum kümmern, dass dieses tolle Projekt nicht nach den ersten heißen Sommertagen beendet wird – gemeinsam können wir durch viele kleine Farbtupfer unseren Stadtteil aufwerten.

In eigener Sache – Eine Bank für Gohlis

von Tino Bucksch

Wie schon von unserem Vorstandsmitglied Ursula Hein in der dritten Ausgabe des Gohlis Forums 2020 bemängelt, gibt es in Gohlis kaum Sitzmöglichkeiten für mobilitätseingeschränkte Menschen, Seniorinnen und Senioren oder auch junge Familien. Alle möchten sich auf ihren Wegen durch Gohlis gerne einmal ausruhen. Dies ist leider kaum möglich. Der Bürgerverein möchte nun mit dem Projekt „Eine Bank für Gohlis – viele Bänke für Gohlis“ den Ruhebedürftigen helfen. Wir wollen uns gegenüber der Stadtverwaltung stark machen, planungstechnisch und finanziell Mittel und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um Sitzbänke im Stadtteil aufzustellen. Erster Schritt hierzu ist es, geeignete Standorte zu finden. Der Bürgerverein selbst hat Ideen und möchte in den wärmeren Monaten und frei von Coronaauflagen mit kleinen Testspaziergängen weitere Standorte ausfindig machen. Neben diesem Vorgehen ruft der Verein aber auch die Gohliserinnen und Gohliser auf, uns ihre Hinweise und Vorschläge zu schicken. Dazu kann der Verein per Mail unter buergerverein.gohlis@gmail.com oder zur telefonischen Sprechstunde montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr unter 0341-20018556 kontaktiert werden.

Demokratieecke – Ein Budget für den Stadtteil

von Tino Bucksch

Coronabedingt tagte der Stadtbezirksbeirat Nord auch in seinen zwei Januar-Sitzungen in digitaler Form. Beim ersten Termin Anfang Januar befassten sich die Beiräte mit zwei Themen, die eher langfristiger Natur sind. Zum einem wurde einstimmig einem Prüfauftrag zugestimmt, im Zuge der dynamischen Bevölkerungsentwicklung in Leipzig die Wahlkreiszuschnitte für die Stadtratswahl sowie dieZuschnitte der Stadtbezirke neu zu fassen. Ebenso wurde erneut die Überprüfung gefordert, ob eine stärkere Demokratisierung der Zusammenstellung der Stadtbezirksbeiräte nicht dem aktuellen Verfahren vorzuziehen wäre. Im Grunde nach geht es um die seit Jahren diskutiere Frage, ob auch die Mitglieder der Stadtbezirksbeiräte durch die Bürgerinnen und Bürger zu wählen sind. Aktuell werden die Beiräte entsprechend dem Wahlergebnis der Parteien zusammengesetzt.

Darüber hinaus beriet der Beirat sein gemeinsames Vorgehen im Bezug auf das neue Budget der Stadtbezirksbeiräte: in einer Höhe von 50.000,00 € soll dies den Beiräten ermöglichen, bestimmte Kleinprojekte und Anliegen im Stadtteil direkt zu fördern und zu finanzieren. Für diesen Prozess sollen sowohl aus dem Beirat als auch aus der Bevölkerung heraus Themenvorschläge gesammelt werden.

Ende Januar kam der Beirat erneut (digital) zusammen. Neben den einstimmigen Beschlüssen zur Integrierten Kinder- und Jugendhilfeplanung der Stadt Leipzig, dem Abschluss eines Mietvertrages für die Kindertageseinrichtung „Kita Seehausen“ und dem Planungsbeschluss zur Kindertageseinrichtung in der Mothesstraße 2 stellte das Sportamt die Pläne mit der Sportfreifläche in der Sasstraße vor. Neu wird die Installation einer Fitnessfreifläche für Jung und Alt neben dem Jugendclub „Ufo“ sein. Ebenso sollen noch im Frühjahr acht Mülleimer installiert werden. Gerade deren Einrichtung geht auf die Initiative des Bürgervereins zurück. Auch wenn wir gerne u.a. mit CleanUp Leipzig bürgerschaftliche Putzaktionen neben und auf der Sportfreifläche organisiert haben, so ist es in unseren Augen Aufgabe der Stadt Leipzig für ausreichende Gelegenheiten zu sorgen, Müll, der bei der Nutzung der öffentlichen Fläche entsteht, entsorgen zu können. Weiterhin ungeklärt ist leider der Nutzungskonflikt zwischen dem Basketballplatz und dem Volleyballfeld, dass für ersteren weichen musste. Hier wird der Bürgerverein weiterhin versuchen, vermittelnd zwischen dem Sportamt und der Volleyball-AG des Schillergymnasiums zu wirken.

Gohliser Baugeschehen: Von neuen Fassaden bis zum Rigolenlehrpfad

von Matthias Reichmuth

Das Jahr 2021 beginnt diesmal mit dem Blick auf neue Fassaden:
Mit der Gohliser Straße 38 wurde eines der letzten Häuser in diesem Bereich kernsaniert. Seit die Gerüste gefallen sind, sieht man der Fassade an, dass die oberen Stockwerke eher einen Neubau, die darunter eher eine Renovierung darstellen. Das Haus wurde jetzt auch um eine Etage höher als zuvor, womit es aber genau zur Nr. 40 passt. Auf der Hofseite wurden Balkone ergänzt und das zuvor verfallene Hinterhaus erneuert.
In neuen dezenten Farben leuchtet jetzt auch die Wustmannstraße. Hier hat die Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft eine Zeile des Architekten Fritz Riemann mit 7 Häusern und 46 Wohnungen behutsam saniert. zwischen Januar und Mai werden die Wohnungen bezugsfertig, die Vermietung zwischen 9,30 und 10,- Euro Miete je Quadratmeter hat schon 2020 im Internet begonnen.

Eine Nummer teurer wird das Wohnen (10,50 bis 12,50 Euro je m²) in den Neubauten an der Bremer Straße 6 bis 8a gegenüber der Krochsiedlung, die jetzt unter dem Namen „Kroch-Quartier“ angeboten werden. Dafür gehören dort Tiefgaragen-Stellplätze zur Grundausstattung, während in der Wustmannstraße der größere Teil des Hofes als Lebensraum für Kinder und Vögel dienen soll, die 15 Pkw-Stellplätze mit E-Ladesäulen gibt es für etwa jede dritte Wohnung. Für die meisten Wohnungsmieter wird das Leben daher sorgenfreier, wenn sie kein Auto haben oder ihres abschaffen möchten.
Die Magdeburger Straße 50 hat nun auch endlich ihr endgültiges Aussehen erreicht, nachdem die Baustelle schon seit Sommer 2019 für eine halbseitige Straßensperrung gesorgt hatte. Die sieben Eigentumswohnungen erhielten im Dezember 2020 zum Abschluss der Arbeiten noch eine ansprechende Einfriedung. Bis Ende 2013 war diese Straßenecke durch eine große Trauerweide geprägt.

Erkennbare Baufortschritte gibt es auch in der Berggartenstraße 2 (Ecke Schorlemmerstraße). Zur Weihnachtszeit waren die ersten beiden von fünf Vollgeschossen errichtet, die 10 Wohnungen sollen zwischen 550.000 und 710.000 Euro kosten und im Frühjahr 2022 bezugsfertig sein.
Eine große Baugrube gibt es inzwischen in der Fritz-Seger-Straße 10. Dort wurden immerhin zwei große Bäume vorn im Grundstück erhalten, einer davon zählt als Naturdenkmal.

Ende November 2020 waren pünktlich auch die Umbaumaßnahmen an der Kasseler Straße zu Ende gegangen. Der zuletzt fertig gestellte Straßenabschnitt präsentiert sich jetzt mit neuer Oberfläche und 10 frisch gepflanzten Straßenbäumen. Drei der Baumscheiben weichen vom gewohnten Erscheinungsbild etwas ab – warum, das erklären drei Schautafeln des „Informationspfads Baumrigolen“: Mit wissenschaftlicher Begleitforschung des Umweltforschungszentrums wird hier geprüft, welche Bauweise am besten geeignet ist, Sickerwasser zu halten, für die Bäume so lange wie möglich nutzbar zu machen und zugleich die Kanalisation bei Starkregen zu entlasten. Es ist zu hoffen, dass die neuen Bäume so trotz des fortschreitenden Klimawandels noch ein langes Leben vor sich haben. Nach der Kasseler Straße werden durch Städtebaufördermittel in den nächsten Jahren voraussichtlich an der Mottelerstraße und an der Cöthner Straße noch Straßenumgestaltungen möglich.

Einige Bauprojekte werfen auch ihre Schatten voraus. So wurde an der Etkar-André-Straße 37 (Ecke Gottschallstraße) im abgelaufenen Jahr schrittweise ein von Büschen und Birken bewachsenes Grundstück gerodet. Seit Mitte Dezember werden für die nunmehr kahle Fläche Eigentumswohnungen mit zwei bis fünf Zimmern im geplanten Neubau zum Verkauf angeboten. Die Lage an einem der noch namenlosen Gohliser Plätze ist sicher attraktiv, die Preise sind entsprechend: Sie liegen bei ca. 4.500,- Euro je m² Wohnfläche.

Auch in planiertem Zustand warten auf den Baubeginn die Schlotterbeckstraße Nr. 2 (schon länger) und Nr. 6 (zuvor ein schöner Garten), das Eckgebäude Bremer Str. / Wangerooger Weg (ein ehemaliger Technikbau), und die Cöthner Straße 19 (und damit die letzte Baulücke in der Cöthner Straße). Die Blumenstraße 62/64, Magdeburger Straße 1-3 und die Fläche des abgerissenen Hauses Witzlebenstraße 23 ergänzen diese Reihe. Es wird also auch in Zukunft etwas zum Baugeschehen zu berichten geben.

Schillerhaus en miniature als Tastmodell in Bronze

Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig erweitert inklusive Besucherangebote

Wenn die Museen nach ihrer coronabedingten Schließung wieder öffnen dürfen, wartet das Schillerhaus Leipzig in der Gohliser Menckestraße mit neuen Angeboten auf: Ein Tastmodell aus Bronze im Maßstab 1:100 gleich hinter dem Eingangsportal ermöglicht insbesondere sehbehinderten und blinden Besuchern, sich eine Vorstellung des historischen Gebäudeensembles zu verschaffen. Das eigentliche Schillerhaus wie auch das Kastellanhaus und der Garten sind in ihrer Lage zueinander, ihren Größenverhältnissen und ihrer Beschaffenheit in vielen Details zu ertasten.

Das Tastmodell wurde entworfen und realisiert von dem Bildhauer Jochen Zieger und der Bronzebildgießerei Noack aus Leipzig. Die beiden haben bereits langjährige Erfahrung mit Tastmodellen aus Bronze vorzuweisen, auch die beliebten Modelle vor der Universität am Augustusplatz und an der Thomaskirche beispielsweise stammen aus der Bronzebildgießerei Noack. Die Erfahrung zeigt, dass inklusive Angebote wie diese auch bei allen anderen Besuchern und Neugierigen ausgesprochen beliebt sind.

Zugleich erhalten Besucher die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines mobilen Audioguides auf einen Hörrundgang durch die Anlage und die Ausstellung führen zu lassen, der ebenfalls speziell für sehbehinderte und blinde Gäste entwickelt wurde. Hier versetzen nicht nur Texte und Beschreibungen, sondern auch Musikbeispiele den Besucher in die Sommermonate des Jahres 1785, in denen Friedrich Schiller in diesem Bauernhaus in Gohlis lebte, neue tiefe Freundschaften schloss und unter anderem seine berühmte »Ode an die Freude« dichtete. Für den Hörrundgang zeichnet die Berliner Firma Linon. Medien für Museen verantwortlich.

„Modell und Hörrundgang sind erste inklusive Angebote im Schillerhaus. Weitere Angebote werden in den nächsten Jahren folgen, wobei es in der denkmalgeschützten Anlage aus dem 18. Jahrhundert immer schwer bleiben wird, wirklich Barrierefreiheit herzustellen.“, so Ulrike Dura, stellvertretende Direktorin und Leiterin des Bereich Kunstsammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

Beide Projekte wurden gefördert durch das Investitionsprogramm Barrierefreies Bauen 2020 „Lieblingsplätze für alle“ des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig.

Gastbeitrag: Kulturhof im Lockdown

von Michael Plättner

Wie an so vielen anderen Orten in Leipzig herrscht auch im Kulturhof Gohlis Stille. Der Hof, der unter anderem die Musikschule „Neue Musik Leipzig“ und das Werkcafé beherbergt, liegt weitestgehend ruhig. Zum dritten Mal seit März letzten Jahres verharrt alles: der Musikunterricht, das Café, der Konzert- und Veranstaltungsbetrieb.

Lediglich einige wenige Lehrer*innen kommen in die Musikschule, um von hier online zu unterrichten. Wir grüßen uns mit entsprechendem Abstand, schwatzen kurz – meist mit Mundschutz auf dem Hof.
Die Stimmung meiner Kolleg*innen ist dabei in der Regel ein wenig besser als meine eigene. Es herrscht ein gesunder Pragmatismus. Der Online-Unterricht funktioniert als Einzelunterricht soweit. Das ist gut. Die Schüler*innen und Eltern haben sich darauf eingestellt. Wir sind dankbar über die Möglichkeit, aber sie ersetzt nicht annähernd den Unterricht vor Ort oder die Stimmung auf dem Hof. Weder für uns, noch für die Schüler*innen. Und es wird zunehmend schwerer, Instrumentalist*innen und Sänger*innen – egal welchen Alters – online zu motivieren. Auch das ist verständlich.

Jeder von uns, der seine Kinder derzeit beim häuslichen Lernen betreut, kennt die Grenzen der digitalen Lernvermittlung. Und der erwachsene Schüler, dessen Unterricht eine willkommene Zäsur im wöchentlichen Arbeitsrhythmus war, versucht nun im Homeoffice zwischen Kindern und kochen am digitalen Endgerät die Lehrer*innen zu verstehen. Ein Zusammenspiel und Musizieren ist bei einer Übertragungsverzögerung von einer halben Sekunde ohnehin kaum möglich.
Für die jungen Musiker*innen fehlen zudem die weiteren Anreize: in den letzten 12 Monaten gab es kaum Ensembleproben, die Bigband oder das Orchester haben keinen Ton zusammen gespielt. Bei den großen Besetzungen und dem Chor beginnt man nahezu von vorn. Die Wettbewerbe „Jugend musiziert“ und „Jugend jazzt“ sind zwar derzeit als Präsenzveranstaltungen geplant, aber ich ertappe mich, dass ich nicht so richtig daran glaube…

Noch einer der Gründe, warum ich nach dem Lockdown im letzten Frühjahr diesen als deutlich schwieriger empfinde: Das Frühjahr war geprägt von der Energie, sich neu zu erfinden. Wir haben Videotechnik angeschafft, online Konzerte und Vorspiele veranstaltet – später, sobald es ging, „hybrid“ mit kleinem Publikum. Jetzt, wo wir wissen, dass wir die Lockdowns nummerieren müssen, herrscht eine Onlinemüdigkeit bei Publikum und meinen Musikerkolleg*innen vor. Kaum jemand mag noch reine Streamingkonzerte machen. So mischt sich in eine gewisse „Lockdown-Routine“ eine Portion Resignation.
Neben den wirtschaftlichen Sorgen stellt sich dabei wie in vielen anderen Kulturstätten in Leipzig auch bei uns die Frage: ab wann macht es wieder Sinn zu planen?

Zum Glück ist es auch hier unter anderem die Energie unserer Musiker*innen und Kolleg*innen, die mich aus meinem winterlichen Tief holen und die Antwort geben: sobald wie möglich. Wenn wir ein Konzert wieder verschieben müssen, dann ist es halt so. Aber es geht weiter – noch lange mit Einschränkungen, da machen wir uns nichts vor – aber wir werden wieder öffnen und planen konkret Konzerte ab Ende März. So weicht die Resignation langsam einem fast schon trotzigen Tatendrang.

Michael Plättner ist Gründer und Leiter der Musikschule Neue Musik Leipzig und des Kulturhof Gohlis

Geschichte in Geschichten (Teil 4) – Schüler fragen Zeitzeugen: Dr. Karl Heinz Hagen

Von Valentina Michel, Alena Ackermann und Sophie Schmeiduch (Bearbeitet und gekürzt durch Ursula Hein und Wolfgang Leyn)

Dr. Karl Heinz Hagen, Jahrgang 1954, absolvierte 1973-77 bei Carl Zeiss Jena eine Berufsausbildung mit Abitur. Nach dem Pädagogik-Studium war er bis 1985 Lehrer für Geschichte und Deutsch an der 10-klassigen Polytechnischen Oberschule „Friedrich Schiller“ in Gohlis, der Turmschule. 1989 folgte die Promotion an der Uni Leipzig. 1990 wurde er vom Kollegium der Schillerschule zum Schulleiter gewählt. Gemeinsam mit Schülern und Eltern entwickelte er das Konzept eines allgemeinbildenden Gymnasiums mit beruflicher Orientierung. Doch Sachsen übernahm das gegliederte Schulsystem nach dem Vorbild Bayerns und Baden-Württembergs, das Thema war damit erledigt. 1992 wechselte er als Lehrer und Oberstufenberater ans Humboldtgymnasium, organisierte dort die ersten Schülerfirmen in Sachsen. 1995-2010 war er Referent am Sächsischen Institut für Lehrerfortbildung in Meißen-Siebeneichen, seit 2006 auch Lehrer am Beruflichen Gymnasium. Zur Zeit der Wende lebte er mit Frau und drei Kindern in Leipzig.

Gibt es etwas, das typisch für die Erziehung der Kinder in der DDR war oder für Ihr Leben als Kind oder Jugendlicher?

Typisch war, dass wir eigentlich in der gesamten Schulzeit in eine Organisation eingebunden waren. Erst die Jungpioniere und später der Jugendverband FDJ. Die waren straff organisiert, mit Uniformen und Fahnen. Das haben wir als normal betrachtet und nicht groß darüber nachgedacht. Natürlich sind wir damit in gewisser Weise beeinflusst, ja sogar vereinnahmt worden. Andererseits hatte ich eine sehr glückliche Kindheit.

Unter welchen Verhältnissen sind Sie aufgewachsen?

Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wir hatten den Wald vor der Haustür. Ich hatte einen großen Freundeskreis. Kinder waren damals unbeschwerter unterwegs, die Eltern hatten auch nicht so eine Angst um sie. Wenn wir mal mit einem aufgeschlagenen Knie nach Hause kamen, rannte niemand zum Anwalt, damit derjenige, der das Loch in der Straße zu verantworten hat, dafür bezahlen muss. Da kriegte man paar hinter die Ohren: Pass beim nächsten Mal besser auf. Das Leben der Menschen war damals von mehr Zusammenhalt geprägt. Das war aber auch dem Mangel geschuldet. Jeder hatte irgendwas, das man nicht ohne weiteres kriegte. Der eine hatte Holz, der andere hat selbst geschlachtet, das war auf dem Land so. Da hat man dann getauscht, hat sich auch gegenseitig geholfen.

Sind Ihre Träume und Ziele von damals vergleichbar mit denen der jetzt 20- oder 30-Jährigen?

Ich denke, wir waren in der gleichen Weise verrückt wie die heute 20-Jährigen, wir hatten nur andere Bedingungen. Bei uns gab es noch kein Internet, keine Handys. Wir hatten Freundinnen, Freunde. Wir haben uns nach der Schule verabredet, waren zusammen beim Jugendtanz. Was wir damals nicht hatten, das waren diese Reisemöglichkeiten, wie sie heute zum Beispiel meine Enkeltöchter haben. Wo die überall schon waren mit ihren neun bzw. viereinhalb Jahren! Aber ich frage mich manchmal, was für sie noch ein erstrebenswertes Ziel sein wird, wenn sie 20 … 25 Jahre alt sind, als Studenten. Wenn ich hätte reisen können, hätte ich das vielleicht auch gewollt. Aber das war für uns kein Thema. Ich habe an der Grenze im Sperrgebiet gewohnt. Am Zaun war die Welt zu Ende. Basta!

Würden Sie sagen, dass die Mauer heute noch in den Köpfen existiert?

Je nachdem. Die Leute haben ja ganz Verschiedenes erlebt. Manche haben überhaupt nicht verstanden, was da passiert ist. 1989 war ich 35 Jahre alt und hatte an der Uni promoviert, dann ist über Nacht alles umgekippt. Was bisher unten war, ist auf einmal oben, und du musst dich neu orientieren. Da gab’s Leute, denen ist das relativ leicht gefallen, die gingen damals über Österreich in den Westen. Manche haben sogar ihre Kinder zurückgelassen. Andere kamen mit der Entwicklung überhaupt nicht klar und sind in Depressionen verfallen. Wieder andere haben völlig euphorisch „Helmut, Helmut!“ gerufen, denen konnte es mit der Einheit gar nicht schnell genug gehen. Die Mauer in den Köpfen, die gibt es bis heute, nicht nur bei den Ostdeutschen. Wenn man in Bayern oder in Österreich mit Einheimischen zusammensitzt und ins Gespräch kommt, da staunt man, wie wenig die wissen von dem, was im Osten passiert ist. Für viele Wessis hatte man hier den Slogan: „Jung, dynamisch, erfolglos“. Eine anderer böser Spruch war: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist das anders rum.“ Andererseits galten wir als „Jammer-Ossis“. Ich sehe die Chance, diese Vorurteile zu überwinden bei eurer Generation und der Generation meiner Kinder – ich habe selber drei erwachsene Kinder – und ich sehe, wie entspannt, wie ganz anders sie an manche Sachen herangehen. Aber ich sehe auch die Verantwortung, sich mit der Geschichte zu beschäftigen.

Zurück zu zwei Daten, dem 9. Oktober 1989 und dem 9. November. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich sage ganz ehrlich, ich habe nicht zu den mutigen Männern und Frauen gehört, die über den Ring marschiert sind, mit dem Ziel, diese DDR zu beseitigen. Ich war zu der Zeit verheiratet, hatte drei Kinder und hatte erlebt, wie die Staatssicherheit über den Lebensgefährten meiner Mutter zugegriffen hatte. Uns war nicht klar, wie der 9. Oktober ausgehen würde. Es war ein großes Glück, dass Kurt Masur und die anderen fünf, darunter der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, sich mit der Bitte an die Bevölkerung gewandt haben, die Situation nicht in Gewalt ausarten zu lassen. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Es ist bis heute ungeklärt, ob es einen Schießbefehl wirklich gegeben hat. Ich kam gegen 17 Uhr aus der Uni, da standen Autos von der Kampfgruppe und von der Armee. Die Straßenbahngleise am Augustusplatz, dem damaligen Karl-Marx-Platz, waren schon gesperrt, man musste also drüben bei der Hauptpost einsteigen. Ich hatte große Sorge, ich musste meinen Jüngsten aus der Kinderkrippe abholen. Da kamen dann Autos gefahren mit Leuten von der Staatssicherheit, die hatten Maschinenpistolen zwischen den Knien. Ich hab meinen Sohn abgeholt, wir sind nach Hause gefahren und haben gewartet, was passiert.

Der neunte November, damit hat man echt nicht gerechnet. Das war ein Versprecher von Schabowski, der einfach eine Meldung falsch interpretiert hat. Die Frage hieß: „Ab wann gilt diese Öffnung?“ und er sagte: „Ich meine, ab jetzt“. Damit war dann natürlich die Grenze offen. Kurz darauf setzte dieser Run auf das Begrüßungsgeld ein. Die Züge waren überfüllt. Meine Frau hat das einmal mitgemacht, das hat unser Jüngster fast nicht überlebt, die Leute im Zug hätten ihn beinahe zerquetscht. Zu diesem Zeitpunkt stand die Frage der deutschen Einheit noch nicht auf der Tagesordnung. Das passierte erst im Dezember 1989. Da hat dann Helmut Kohl in Dresden seine Rede gehalten, hat sein Zehn-Punkte-Programm aufgelegt und da kam dann konkret die Forderung, die beiden deutschen Staaten zu vereinigen.

Bei der großen Demonstration am 4. November 1989 in Berlin, wo auch viele Künstler gesprochen haben, ging es den meisten darum, so wie mir auch, im Sinne von Gorbatschows Perestroika diesen Staat DDR zu reformieren. Dann haben wir 1990 durch Gorbatschow diese Chance bekommen: die Einheit zum Nulltarif. Die Russen haben ihre Soldaten bis 1994 komplett abgezogen. Das war mit Kohl ausgehandelt, und Gorbatschow hat sich daran gehalten.

Welche Auswirkungen hatten Mauerfall und Einheit für Sie und Ihre Familie?

Mein Vater war damals 63. Als Meister im Zeiss-Werk war er für zehn, fünfzehn Leute verantwortlich. 1991 kam er eines Tages in die Spätschicht und man sagte ihm: „Das ist heute deine letzte Schicht, ab morgen brauchst du nicht mehr zu kommen.“ Nach 42 Arbeitsjahren. Der kam abends mit seinem Bündel nach Hause und hat ein halbes Jahr gebraucht, sich wieder zu sortieren. Meine Schwester war Zahntechnikerin in einem Krankenhaus. Das Labor wurde von einem Wessi gekauft, und als erstes wurden danach alle Frauen rausgeschmissen.

Meine Frau hat sich vor allem um die Familie gekümmert. Aber ich hatte den Ehrgeiz, mich als Schulleiter einzubringen, den Unterricht neu zu konzipieren, das Schulgebäude zu verändern. 1990 war das einzige Mal, dass in Thüringen und Sachsen ein Schulkollegium seinen Schulleiter wählen konnte, und ich bekam über 80% der Stimmen. Dann gab es 1992 eine Ausschreibung für die neuen Schulleiterstellen, weil in Sachsen die Schularten so wie in Bayern und Baden-Württemberg installiert worden sind. Damit war ich draußen und musste mich ganz neu bewerben. Nach dieser „Klatsche“ lag ich ein halbes Jahr am Boden. Da musst du dir überlegen, stehst du wieder auf und es geht weiter oder verfällst du in Selbstmitleid und ziehst dich zurück.

Würden Sie das heutige Schulsystem oder das von früher als erfolgversprechender bezeichnen?

Meine größte Erwartung war eigentlich, dass mit der Wende das Bildungssystem in ganz Deutschland verändert wird. Ich war sehr enttäuscht, dass aus dieser einmaligen Chance so wenig gemacht wurde. Beide Bildungssysteme hatten Vor- und Nachteile. Man hat leider nicht versucht, abzuwägen, was man hätte aus beiden Systemen machen können. Das DDR-System war ideologisch völlig überfrachtet und so wie es war, nicht erhaltenswert. Beim heutigen System sehe ich als entscheidenden Nachteil, dass die Entscheidung über die weiterführende Schulart nach der 4. Klasse zu früh ist. Ich glaube, mit 13 oder 14 Jahren weiß man das besser. Ihr habt natürlich am Gymnasium ab Klasse 5 ein anderes Anspruchsniveau. Andererseits habe ich auch erlebt, dass Kinder ins Gymnasium hineingeschoben wurden und dann nach der 7. Klasse abgegangen sind. An der Mittelschule galten sie dann als Loser, die das Gymnasium nicht geschafft haben. Es braucht schon für das Gymnasium eine große Leistungsvoraussetzung, Willensstärke und auch Unterstützung, damit sich ein Kind in dem Alter ordentlich etablieren kann. Ich fand die naturwissenschaftliche Ausbildung in der Breite früher besser. Heute ist in den Lehrplänen meines Erachtens zu viel Spezialwissen drin. Meine Hoffnung wäre gewesen, diese solide naturwissenschaftliche Ausbildung zu kombinieren mit Kurssystem und Wahlmöglichkeiten.

Wie haben Sie als Geschichtslehrer sich auf die neuen Anforderungen eingestellt?

Das war ganz einfach und zugleich schwierig. Einfach insofern, als es jetzt eine große Anzahl von Schulbuchverlagen gab, die uns regelrecht überschüttet haben mit ihrem Angebot an Unterrichtsmaterialien. Wenn man halbwegs interessiert war und sich gekümmert hat, dann hatte man jetzt Möglichkeiten, sich einzubringen. Damals habe ich nebenher nochmal angefangen zu studieren. Das, was wir früher gelernt hatten, war ja im Schwerpunkt DDR-Geschichte mit der Arbeiterbewegung, Marx, Lenin usw., aber zum Beispiel die Französische Revolution wurde nur gestreift. Allerdings hatten wir gelernt, ordentlich wissenschaftlich zu arbeiten. Dann habe ich mich also in die Deutsche Bücherei gehockt und neben meinem Unterricht gelesen, gelesen, gelesen. Ich habe nochmal ein gesamtes Studium für mich durchgezogen, und als ich dann am Humboldtgymnasium war und Leistungskurse hatte, da war man richtig gefordert. Ich habe von niemandem mehr verlangt als von mir selbst. Den Schülern muss man günstige Rahmenbedingungen schaffen, muss ihnen etwas zutrauen und sie laufen lassen. Genauso wie bei unseren Schülerfirmen: Wir hatten ein Schüler-Café, ein Reisebüro, einen Schreibwarenladen. Die Schüler haben gearbeitet, sie waren Sonnabend früh da, ohne dass sie gezwungen wurden. Mit dem Reisebüro haben sie sich ihre Kursfahrt verdient.

 

Geschichte in Geschichten (Teil 5) – Schüler fragen Zeitzeugen: Ludmila Adelheid Scholz

von Frederik van Suntum, Mathilda Uhlmann, Juliana Henke (Bearbeitet und gekürzt durch Ursula Hein und Wolfgang Leyn)

Im Heft 5 des letzten Jahres und auf unserer Homepage wurde das Projekt „Schüler fragen Zeitzeugen“ der AG Stadtteilgeschichte ausführlich vorgestellt. In Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Schiller-Gymnasium entstanden im Rahmen des Geschichtsunterrichtes der 10. Klassen spannende Gespräche mit verschiedenen Zeit-zeug*innen der Friedlichen Revolution in Leipzig. Lesen Sie nun auf den folgenden Seiten zwei weitere der insgesamt neun Interviews. Hier im Text redaktionell betreut und gekürzt, wird das gesamte Interview dann auf unserer Homepage zu lesen sein.

Vielleicht haben Sie uns auch – aus Ihrer Erinnerung – noch etwas zu erzählen über die aufregenden Zeiten 1989/90. Wir freuen uns auf Ihre Leserbriefe.

Adelheid Scholz wurde 1944 in Tetschen (heute Děčín/Tschechien) geboren. Als 7-Jährige kam sie mit ihrer Familie nach Leipzig. Seit 1970 lebt sie im Stadtteil Gohlis. Nach dem Studium der Theater- und Kulturwissenschaften an der Leipziger Universität begann sie 1967 ihre Tätigkeit als Hörfunkjournalistin beim Sender Leipzig in der Springerstraße. Ihre fachlichen Schwerpunkte waren Bauen und Umwelt, seit 1984 moderierte sie dazu auch Live-Sendungen. Ab Dezember 1989 berichtete vom Runden Tisch in Leipzig. Seit Gründung des Mitteldeutschen Rundfunks 1992 arbeitete sie als Redakteurin bei MDR Kultur.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Journalistin im Hörfunk wurden?

Ich habe an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Kultur- und Theaterwissenschaften studiert. Journalistik wäre mir nie in den Sinn gekommen. Aber dann kam eines Tages eine Kommission an die Uni, die suchte Nachwuchs für den DDR-Rundfunk und fragte unseren Institutsdirektor: „Haben Sie nicht jemanden mit guter Sprache, guter Stimme und nicht gerade auf den Kopf gefallen?“. Und er hat mich vorgeschlagen. Auf diese Weise bin ich zu diesem Beruf gekommen. Während der letzten zwei Jahre des Studiums machte ich Praktika beim Sender Weimar und bekam dort einen Vorvertrag als Kulturjournalistin. Aber meine Liebe lebte in Leipzig, deswegen wollte ich nicht nach Weimar. Der Kompromiss war dann eine Stelle in der Nachrichtenredaktion am Sender Leipzig. Das Nachrichtenschreiben war eine gute Schule, weil man lernte, einen Gegenstand kurz und knapp zu schildern. Am Sender habe ich mich sehr wohlgefühlt. Wir waren dort eine relativ kleine Gruppe von Journalisten. Dadurch, dass wir sehr viele Themen zu bearbeiten hatten, war die Tätigkeit sehr abwechslungsreich.

Haben Sie sich Umwelt und Bauen als fachliche Schwerpunkte selber gesucht? Oder waren die einfach noch frei?

Am Sender gab es damals schon fünf Kulturredakteure, eine Journalistin in der Abteilung Musik, und vier beim Wort. Da hab ich mir dann gesagt „Du machst das, wozu keiner Lust hat, was aber die Leute interessiert.“ Das waren Bauen und Umwelt. Umwelt war zu DDR-Zeiten ein sehr heißes Eisen. Das hätte sich sonst niemand getraut, muss ich ehrlich sagen. Ich war im letzten Studienjahr Kandidatin der SED geworden. Da hatte man mich immer wieder liebevoll agitiert. Ich fand es auch gar nicht schlecht, weil wir einen Parteisekretär hatten, der einen sehr begeistern konnte. Dann im Sender Leipzig wurde mir klar: Von einem Mann kann ich mich scheiden lassen, von der Partei nicht. Also sagte ich: „Nein, ich stelle keinen Aufnahmeantrag. Mein Freund will das nicht“, was damals auch stimmte. Daraufhin wurde ich ein ganzes Jahr lang jeden Monat vom Parteisekretär des Senders zu einem einstündigen Gespräch geladen, was meinerseits fast immer mit Tränen endete, doch ich habe mir gesagt „Du hältst durch“. Die hatten sich eingebildet, wegen meiner Kontakte in die Tschechoslowakei, ich konnte ja auch tschechisch, hätten mich die Ideen des Prager Frühlings angesteckt. Der hat mich natürlich interessiert, das musste ich denen aber nicht sagen. Schließlich hat mich die Direktorin, die ich sehr schätze, zu einem langen Gespräch eingeladen. Dabei sagte sie mir, sie habe von der Partei-Kontrollkommission im Bezirk den Auftrag, mir fristlos kündigen. Doch sie wolle für mich bürgen. Also wurde mir nicht gekündigt.

Konnten Sie durch Ihre Arbeit beim Thema Umweltverschmutzung Dinge aufdecken?

Ab 1984 ja. Damals lernte ich eine Stadtverordnete kennen, Frau Doktor Kasek. Sie hatte die erste Umweltgruppe in Leipzig gegründet. Meine Chefin hatte mich zu ihr aufgrund einer kleinen Zeitungsnotiz geschickt. Sie konnte gut argumentieren und hatte Zugang zu Daten – sie war Pharmazeutin – also zum Beispiel, wie viel Schwefel regnet auf Leipzig runter? Wie viel Staub? Das stand ja nirgends. Darüber wurde offiziell nicht berichtet. Oder die Verschmutzung der Flüsse. Und wir haben dazu regelmäßig Live-Sendungen gemacht. Die hießen zuerst „Ratgeber Umwelt“. Weil es aber beim Norddeutschen Rundfunk, also im Westen, Ratgeber-Sendungen gab, durfte sie nicht so heißen und wurde dann umbenannt in „Umwelt-Sprechstunde“. Meiner Direktorin musste ich vor der Sendung nur die Schwerpunktthemen und die grobe Fragerichtung vorlegen. Um mich gegen mögliche Angriffe verteidigen zu können, habe ich die Sendung mitschneiden lassen. Es gab zweimal Anrufe von der SED-Stadtleitung.

Man bekommt den Eindruck, dass Sie in ihrer Arbeit als Journalistin ziemlich eingeschränkt wurden.

Gemessen an heutigen Verhältnissen ja. Gemessen an den damaligen Verhältnissen hatte ich viel Freiraum. Und ich glaube, dass ich die Grenzen soweit ausgereizt habe, wie es ging. Wir waren ein UKW-Sender, der nur 100 Kilometer im Umkreis zu hören war, in der Hauptstadt Berlin schon nicht mehr. Und man konnte unser Wort – im Radio ist das ja ein flüchtiges Wort – nicht schwarz auf weiß nach Hause tragen. Also: Wir hatten einen gewissen Freiraum. Und unsere Direktorin hat mit uns sehr offen diskutiert. Das war anders als in den anderen Sendern von Radio DDR. Das Klima sehr liberal. Wir hatten mehr Freiräume zum Beispiel als die Leipziger Volkszeitung, die ja von der SED herausgegeben wurde, oder als Radio DDR I in Berlin. Aber natürlich ist es überhaupt nicht vergleichbar mit einer freien Presse.

Haben Sie an den Montagsdemonstrationen während der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 teilgenommen?

Ja, das begann ja zur Herbstmesse Anfang September. Ich war im Pressezentrum der Messe und habe unterwegs vor allem junge Menschen gesehen, die vor den Kameras des Westfernsehens riefen „Wir wollen raus“. Das wollte ich nicht. Eine Woche später war dann Internationales Bachfest, dessen Pressebüro ich leitete. Am 18. September war ein Empfang im Neuen Rathaus. Ich ging fröhlich beschwingt mit meinem Reportergerät die Treppe hoch. Neben mir ein Mann, weißhaarig, mit Latzhose. Das war Pfarrer Führer, mit dem habe ich mich dann noch vor der Nikolaikirche lange unterhalten. Und von da an bin ich zu jeder Demonstration gegangen. Am Anfang erst einmal beobachtend, am 2. Oktober dann schon mitlaufend. Am 2. Oktober sagte unsere Chefin: „Ihr müsst da hingehen, wir können zwar keinen O-Ton von der Demo senden, aber eine Nachricht müssen wir machen. Die Leute reden von nichts anderem, und im Sender Leipzig hören sie nichts darüber. Das geht nicht.“

Von der Demo am 2. Oktober wusste ich, dass in allen Kirchen aufgerufen wurde: Jeder, der am 9. Oktober kommt, bringt noch einen mit. Da habe ich mir gesagt: Jetzt kommen die Kinder mit. Wir sind getrennt gegangen, die Töchter und ich. Die eine war 16, die andere wurde 18. Ich habe sie bloß gebeten: „Geht bitte nicht in der ersten Reihe. Und geht nicht am Rand“. Wir ahnten, was passieren könnte. Es gab ja in der Stadt das Gerücht, in den Krankenhäusern wären zusätzliche Blutkonserven bereitgestellt worden. In unserer Redaktion wurde ein Feldbett aufgestellt. Ich bin am 9. Oktober mit zitternden Knien zur Demo gegangen. Aber ich bin gegangen. Wir haben uns dann als Familie an der Thomaskirche wiedergefunden. Das hatten wir so verabredet.

Haben Sie geglaubt oder gehofft, dass diese Demonstrationen wirklich was ändern?

Ja! Davon war ich überzeugt. Eigentlich schon am 2. Oktober. Da waren die Studenten da und die haben die „Internationale“ gesungen. „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.“ Das passte genau. Und man konnte das ganz laut singen. Jeder verstand, wie es gemeint war. Das war wirklich toll. Und von da an war ich fest überzeugt, dass das nicht nachlässt. Und am 9. Oktober – ja, völlig klar.

Nachdem am 9. Oktober nicht geschossen wurde und zum ersten Mal der Ring voll war mit Demonstranten, was hatten Sie damals für Vorstellungen, wie es weitergehen könnte?

Eigentlich war unser Ziel eine deutlich reformierte DDR. Wir haben nicht nach westdeutschem Muster gedacht. Wir, das waren drei, vier, fünf Kollegen im Sender, mit denen wir uns über Perspektiven unterhalten haben. Die wichtigsten Anliegen der Demonstranten waren Reisefreiheit und Meinungsfreiheit.

Sie haben später vom Runden Tisch berichtet. Was war das für ein Gefühl?

Das waren Tage der wunderbaren Anarchie. Auf fast allen staatlichen Ebenen bis hin zur Regierung bildeten sich Anfang Dezember Runde Tische. Die alte Macht hatte ihre Legitimation verloren, eine neue war noch nicht da, aber Entscheidungen mussten ja getroffen werden. Am Tage wurde gearbeitet, und einmal wöchentlich ab 17.00 Uhr regiert. Das ging oft bis 24 Uhr. Dann ins Funkhaus, Sendung produzieren. Und danach ins Bett. Ich war die Einzige unter den Leipziger Journalisten, die bis Anfang Juni 1990 regelmäßig davon im Sender Leipzig berichtete, zwei Minuten, zweieinhalb, das ging so. Ich habe zu dieser Zeit versucht, ganz intensiv mitzuteilen, was ich sah und hörte. Ich erinnere mich, dass ich an einem Tag 36 Stunden hintereinander gearbeitet habe, früh angefangen und erst am nächsten Mittag aufgehört. Ich habe damals von einem Tag zum anderen gelebt, im Taumel des Glücksgefühls, alles sagen zu dürfen. Es war so wie ein Rausch. Nie vorher wurden in der DDR so viele Fernsehsendungen geschaut, nie so viele Zeitungen gekauft, nie so viel Radio gehört, wie in dieser Zeit.

 

Seilbahnkönig & Tagebaugigant – Ein Leipziger Jahrhundertwerk, der Bleichert-Film von Dirk Schneider im MDR

Von Ursula Hein

Wenn Sie heute hinter der S-Bahnstation Gohlis auf der rechten Seite die neuen modernen Wohngebäude sehen, werden viele von Ihnen nicht mehr wissen, dass hier bis in die 90. Jahre des 20.Jhs ein florierendes Unternehmen stand, die ehemalige Seilbahnfirma Bleichert, dann VAT TAKRAF und vielen Menschen Lohn und Brot gab. Die früheren Fabrikhallen sind heute komfortable Luxuswohnungen.

Wie es früher hier aussah, zeigte gestern, am 19.1.2021 der Film des Regisseurs Dirk Schneider, eines ausgewiesenen Kenners der regionalen Industriegeschichte und ihrer Abwicklung nach 1990.

Ausgehend von der geradezu kriminalistischer Spurensuche auf Dachböden und Müllkippen, zeigt der inzwischen verstorbene TAKRAF-Ingenieur Günter Pyschik seine Schätze, Konstruktionszeichnungen, Pläne, Briefe, dem Ururenkel Hartmut von Bleichert, der sich von Rom her auf die Suche nach seinem bedeutenden Vorfahren und dessen Werk gemacht hat. Der langjährige Leiter der Geschichts-AG im BV Gohlis und ausgewiesener Kenner der Bleichert-Geschichte, Dr. Hötzel kann viele Details hinzufügen,

Die VAT-Konstrukteure Erhard Kleemann und Dieter Bittermann machen sich nach der Wende auf die Suche nach Bleichert-Seilbahnen und besuchen u.a. die Predigtstuhlbahn in Berchtesgaden. Weitere Seilbahne laufen noch in Meran, Bayern und der Schweiz, Innsbruck, Hafenseilbahn von Barcelona, am Nordkap, die südlichste – im chilenischen Punta Arenas in Feuerland die spektakulärste. Kurz vorgestellt werden Innovationen wie die weltbekannte Eidechse von 1923.

In der DDR wurde dann der Name Bleichert gelöscht, es entsteht das Kombinat TAKRAF, zuständig für kilometerlange Bänder für die Braunkohletagebaue der DDR und Kräne in Hochseehäfen. Die letzte Seilbahn ist dann in den 1960ern ein Sessellift in Oberhof.
Der interessante und mit vielen Dokumentaraufnahmen gespickte Film dauerte leider nur 45 Minuten, so dass bestimmte politische Aspekte zu kurz kommen mussten. Die doch sicher vorhandenen Verstrickungen in der NS-Zeit bleiben ausgeblendet, die DDR-Zeit der VAT sollte nicht nur von der technische, sondern auch stärker von der politischen Seite her beleuchtet werden. Die Liquidation des Betriebes durch die Treuhand – trotz der Mühen der Belegschaft den großen Betrieb nach der Vereinigung zu erhalten- könnte einen eigenen Film füllen.

Gefahrvoller Zugang: Auf dem Weg ins St. Georg

Von Ursula Hein

Ein großer Klinik-Komplex, das Klinikum St. Georg, liegt nördlich von Gohlis und sollte über die verlängerte Virchowstraße per Auto, Fahrrad und zu Fuß eigentlich leicht zu erreichen sein, aber…. es ist ein kurzer, gefahrvoller Weg. Spätestens, wenn man die Gärten des KGV Erdsegen e.V. erreicht, wird es für Radfahrer und vor allem für Fußgänger ungemütlich. Die Fahrbahn ist eng, es gibt weder Radweg noch Bürgersteig, dafür regen Autoverkehr: Krankenwagen, Taxen und private PKWs begegnen sich, es ist eng, der Krankenwagen hat Vorrang, man fährt auf die Seite, aber Vorsicht, man könnte an Bäumen oder unterhalb der Böschung landen. Radfahrer sollten vorsichtshalber absteigen und Fußgänger an die Seite treten, aber Vorsicht, man landet leicht im Müll. Vor allem auf der linken Seite, nach der Abzweigung zum Spazierweg entlang der Rietzschke, hat man die freie Auswahl. Toilettenbecken, Mülltüten, Masken und viele, viele Parkplaketten von St. Georg säumen das an sich hübsche Ambiente.
Auf der rechten Seite geht es den Abhang, erst einmal hinauf, dann hinunter, zwischen den stachligen Brombeerbüschen lässt sich natürlich gut ausweichen. Hier gibt es übrigens weniger Müll!

Vor der Einfahrt zu St. Georg gibt es erst eine Rechts- dann eine Linkskurve, vor allem die letzte ist arg unübersichtlich. Es gibt zwar ein kleines Stückchen Bürgersteig auf der rechten Seite parallel zum Erstaufnahmelager. Aber man muss dorthin die Straße queren, die nicht einzusehen ist. Wo geht man als guter Fußgänger? Doch immer auf der dem Verkehr entgegengesetzten Seite, damit man die ankommenden Autos sieht.
Jedenfalls ist die Strecke gefährlich, dabei ist es die schnellste Verbindung von Gohlis in die Klinik: Von der Endstation der 12 oder von den Buslinien 85 und 90 wäre es ein schöner Spaziergang, wenn, ja wenn nicht…

Was sollte man der Stadt raten? Platz wäre genug, v.a. im letzten Drittel des Weges. Nach den Gärten ist freies Land, wohl der Stadt gehörend? Man könnte den Weg verbreitern, die Kurven wegnehmen.

Jedenfalls wäre es an der Zeit, dass sich die Stadt einmal Gedanken über Veränderungen macht. Gab es da nicht einmal Gerüchte über eine Verlängerung der Linie 12 nach Norden?

In eigener Sache – Nachruf Steffen Mildner

Bürgerverein Gohlis

Mit Bestürzung haben wir von dem unerwarteten Tod unseres Mitgliedes Steffen Mildner erfahren. Steffen Mildner war nicht nur ein engagiertes Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Mobilität und Verkehr, sondern hat als Vorsitzender des Magistralenrates der Georg-Schumann-Straße die Entwicklung dieser Leipzigs Magistrale lange Zeit geprägt. Als überzeugter Stadt- und Projektplaner war er jederzeit für Ideen und Vorschläge zu gewinnen, die die Entwicklung der Magistrale in unserem Stadtteil voranbringen konnten.

Die Fähigkeit, vorurteilsfrei und unbefangen auf Menschen zuzugehen, hat es ihm ermöglicht, leicht Mitstreiter für seine Ideen zu gewinnen. Gemeinsam mit ihm und anderen Netzwerkpartnern konnte der Bürgerverein den Umbau der Halstestelle an der Bundesagentur für Arbeit zur barrierearmen Haltestelle erwirken. Dies war nur eines von vielen Projekten, mit denen Steffen Mildner für eine Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität entlang der Georg-Schumann-Straße stritt. Dass er nun nicht mehr unter uns weilt, wird eine große Lücke in die Reihen der ehrenamtlich Engagierten im Stadtteil reißen. Er wird uns allen fehlen und wir werden gerne an ihn denken.

Wir wünschen seiner Familie und den Angehörigen viel Kraft in dieser für sie so schweren Zeit.