Von Lina Keilhaue, Lucia Malinowski und Levin Imieske

Meigl Hoffmann wurde 1968 in Leipzig geboren. Nach dem Abschluss der 10. Klasse an der Leibnizschule gründete er als Lehrling sein erstes Kabarett. Opposition wurde ihm, wie er sagt, schon „in die Wiege gelegt“. 1987 stellte er einen Ausreiseantrag. Dieser wurde Anfang Oktober 1989 genehmigt und er musste die DDR verlassen. Anfang 1990 kehrte er aus Frankfurt/Main nach Leipzig zurück und gründete hier 1992 das Kabarett „Gohgelmohsch“.

Während der Wende, bei den großen Massendemonstrationen waren Sie nicht in Leipzig, sondern in Frankfurt/Main. Wie kam es dazu?
Mein Problem in der DDR bestand darin, dass meine Mutter, Leistungssportlerin, 1960 Teilnehmerin an den Olympischen Spielen in Rom, mehrfache DDR-Meisterin und so weiter, 1974 illegal in den Westen ging. Das hieß damals „Republikflucht“. Eigentlich wollte mein Vater mit meinem großen Bruder und mir hinterher, hat dann aber doch gekniffen und ist hier geblieben. Es hätte passieren können, dass er in den Knast kommt und wir dann ins Kinderheim. Meine Mutter versuchte, in die DDR zurückzukehren. Das haben die Behörden aber nicht zugelassen. Nun saß sie getrennt von den Kindern todunglücklich in Frankfurt. Es war sehr schwierig auszureisen, auch wenn du endgültig gehen wolltest. Das hat alles ewig lange gedauert. Die Behörden wollten nicht, dass die Leute massenweise die DDR verlassen. Deswegen haben sie ja 1961 die Mauer gebaut. Als Sohn einer Republikflüchtigen galtest du sofort als Staatsfeind. Noch dazu mit einem Vater, der am Volksaufstand vom 17. Juni 1953 teilgenommen hatte und danach ein halbes Jahr im Knast saß. Da war dir die Opposition schon in die Wiege gelegt. Im Prinzip konnte ich in der DDR gar nichts werden. Wer studieren wollte, musste sich länger für die Armee verpflichten. Der normale Grundwehrdienst dauerte anderthalb Jahre, und wenn du stattdessen nicht drei Jahre gegangen bist, dann haben die gesagt: Studienplatz bekommen Sie keinen und Abitur natürlich auch nicht. So bin ich ein bisschen als Wanderer zwischen den Welten aufgewachsen. Hätte ich meiner Mutter in den Westen folgen sollen? Das hätte gedauert. Und ich hing auch an Leipzig. So habe ich mich dann illegal in Prag mit der Mutter getroffen, in die DDR durfte sie ja nicht wieder rein.

Wie haben Sie sich damals Ihre berufliche Zukunft vorgestellt?
Mir wurde in der 9. Klasse klar, dass ich kein Abitur kriege. Mein Plan, Sportjournalist zu werden, was damit passé. Ich hatte aber keinen Plan B. Kumpels fragten, was ich denn werden wolle. „Ich werde Rockstar, Schauspieler oder Asozialer“, sagte ich. Hab mich dann erst mal für Punk entschieden. Dann sollten wir uns um eine Lehrstelle bewerben. In der DDR gab‘s ja offiziell keine Arbeitslosen und jeder bekam eine Lehrstelle. Nicht die, die er haben wollte, aber du kriegtest auf jeden Fall eine. Ich hatte keine Idee, was ich denn nun werden sollte. Da gab es so blaue Heftchen, da standen diese ganzen Berufe drin, also zum Beispiel Facharbeiter für Betonbau oder Zerspanungstechniker. Alles hat nur nach Arbeit und Schmutz gerochen, wenn du das gelesen hast. Wegen totaler Ratlosigkeit habe ich mich einfach gar nicht beworben. Daraufhin hat die Schuldirektorin meinen Vater hinbestellt. Der hat dann zu mir gesagt: „Hör zu, ich besorg dir eine Lehre. Die machst du ohne Fehlzeiten, die Sache wird dir zwar nicht gefallen, aber du machst sie so gut, wie du kannst. Musst ja später dann nicht in dem Beruf arbeiten. Dafür unterstütze ich alles, was du danach machst.“ Sag ich: „Okay, das ist ein Deal.“ Und dann hat er mir eine Lehrstelle als Maschinen- und Anlagenmonteur besorgt.

Wie kam es dann aber zum Kabarett?
Ich saß mit meinen Kumpels im Café, wir haben uns damals ja als Bohème, als Halbintellektuelle, betrachtet. Und da hatte irgendeiner ein Kabarettbuch einstecken, von der „Herkuleskeule“ in Dresden. Da hab ich reingeguckt, und da war ein Gedicht drin ‚Langsam im Denken‘. Das fand ich cool. Da hab ich gesagt: Ich schreibe keine Gedichte, ich singe keine kommunistischen Volkslieder. Wir machen Kabarett. Zusammen mit ein paar verrückten Kumpels aus der Berufsschule haben wir dann damit angefangen. Und das war so gut, also so jung, so gegen den Strich irgendwie, dass die in der Berufsschule gesagt haben, wir sollten gleich ein richtiges Kabarett gründen. Damals gab es eine Punkband, die hieß ‚Wutanfall‘, von der war ich großer Fan. Deswegen hab ich mein Kabarett ‚Mutanfall‘ genannt.

1987 stellten Sie einen Ausreiseantrag. Was hatte Sie dazu bewogen?
Vom September 1985 bis Mai 1987 habe ich meine Ausbildung gemacht und mit den Kumpels Kabarett gespielt. Dann wurde mir klar, dass das mit einer Theater- oder Kabarettkarriere unter dem Radar der staatlichen Organe nicht mehr lange weitergeht. Kabarett geht ab einer gewissen Öffentlichkeitswirkung nicht ohne Deal mit den Behörden. Und mit Mutter im Westen ist es sehr fraglich, ob sie dich überhaupt vor einem größeren Publikum auftreten lassen. Und da wusste ich, jetzt musst du gehen. Ich wollte eigentlich nicht weg, aber ich dachte mir: Hier kann ich nicht länger Kabarettist sein. Also habe ich einen Ausreiseantrag in den Westen gestellt, zur Pflege der Mutter. Die hatte schweres Rheuma.

Wie sind Sie mit der oppositionellen Szene in Leipzig in Berührung gekommen?
Ich kannte eine Menge Leute, die im Kirchenkeller der Michaeliskirche verkehrten, und kam auch viel in Kneipen und Klubs rum, so habe ich oppositionelle Leute kennengelernt. Das war mal so ein Umwelt-Typ oder einer, der fragte: „Rosa Luxemburg, kennst du die?“ Und dann war ich ja mit dem Kabarett sowieso kritisch unterwegs. Wir haben uns als Linke verstanden. Also den Staat selber nicht. Wir waren der Meinung: Das sind keine Kommunisten, das sind Arbeiterverräter. Wir dagegen fühlten uns als bolschewistische Avantgarde, als Trotzkisten, als Revolutionäre im Geiste von Bucharin und so. Das war uns schon irgendwie wichtig. Einer meiner Freunde und Mitbegründer des Kabaretts hat damals gesagt: „Ich bin zwar Genosse, aber ich trage das Parteiabzeichen nicht am Revers, sondern im Herzen.“ Also der war wirklich Kommunist, ein guter.

Mitte/Ende 1988 begannen dann in Leipzig die ersten oppositionellen Aktionen. Zur Dokfilmwoche haben wir das erste Ding gemacht. In der DDR war gerade die sowjetische Zeitschrift „Sputnik“ verboten worden, wegen eines Artikels über den Hitler-Stalin-Pakt. Vorm Kino „Capitol“ ließ eine kirchliche Gruppe Luftballons fliegen, wo ‚Sputnik‘ draufstand. Die Stasi hinterher, mit dem Regenschirm haben sie versucht, die Luftballons zu zerstechen… Die haben auch mal einem von uns aufs Maul gehauen. Also, das war schon nicht ohne. Und dann gab‘s am 15. Januar den Liebknecht-Luxemburg-Marsch, da war ich dann auch dabei. Das war die größte Demonstration seit dem 17. Juni 1953. Beim Pleiße-Gedenkmarsch, da ging‘s um die Umwelt, aber auch um Meinungsfreiheit. Dann häuften sich langsam Aktionen wie das Straßenmusikfestival am Thomaskirchhof im Juni 1989. Da war ich auch dabei, einen Steinwurf entfernt vom Geschehen stand ich hinter den Fotografen. Ich wusste ja nicht, sind die von uns oder von der Stasi.

Wie würden Sie Ihre Rolle während der Proteste beschreiben?
Ich selber war dabei wie ein Zeitzeugen-Journalist, der keinen Fotoapparat mithat, aber die Bilder im Kopf speichert. Zum Beispiel von der Einkesselung der Teilnehmer des Straßenmusikfestivals durch die Polizei. Danach wusste ich: Die werden den Staat verteidigen, wenn’s sein muss, auch gegen das eigene Volk. Nach dem Straßenmusikfestival habe ich meinen Ausreiseantrag dann auch gedanklich gestellt. Bis dahin war ich ein DDR-Bürger, der eigentlich lieber bleiben will, doch nun betrachtete ich mich als im Exil lebend hier in Leipzig. Ja, und dann wurde das im Sommer 1989 auf dem Nikolaikirchhof immer größer und immer interessanter. Neben dem „Wir wollen raus!“ gab’s auf einmal auch den Spruch „Wir bleiben hier!“. Da war ich live dabei, als der erfunden wurde. Nachdem die „Tagesschau“ darüber berichtete, kamen am nächsten Montag noch viel mehr Leute. Teilweise standen sie hinter der Absperrung, teilweise auf dem Nikolaikirchhof, immer mit Polizeiketten dazwischen. Am 2. Oktober haben die dann so ‘ne Kette aufgemacht, als der Druck von außen zu stark wurde. Was passierte? Die Zuschauer solidarisierten sich mit uns, und wie von Geisterhand zog ein Demonstrationszug los über den Augustusplatz, damals Karl-Marx-Platz. Ich stand da auf der Treppe vor der Oper und konnte es nicht fassen: Der Platz schwarz vor Menschen. Und alle waren sich einig: „Das kriegen die nie wieder in den Griff!“

Vier Tage vor der entscheidenden Demo am 9. Oktober wurde Ihr Ausreiseantrag genehmigt …
Ja, am 5. Oktober war es soweit. Ich hab noch zu meinen Kabarett-Leuten gesagt: „Ich würde ja gerne bleiben. Ich hätte auch in Mecklenburg einen Unterschlupf. Aber ich glaube, dass die am 9. Oktober schießen werden.“ Denn wenn die zulassen, dass der Demonstrationszug einmal um den Ring läuft, dann ist die Demonstrationsfreiheit da. Damit ist die Meinungsfreiheit gegeben, dann kommt als nächstes die Pressefreiheit. Danach die Forderung nach Reisefreiheit. Und bei der Reisefreiheit ist die Existenz des Staates DDR infrage gestellt.

Im Westen haben Sie sich entschieden, nach Leipzig zurückzukehren…
13 Tage nach meiner Ausbürgerung ist Honecker zurückgetreten. Da dachte ich, das kann doch nicht wahr sein: Die ganze Zeit halte ich durch. Und jetzt, wo das Arschloch zurücktritt, darf ich nicht mehr rein in die DDR! Die spinnen doch wohl. Wir durften dann endlich am Heiligabend visafrei wieder rein. Bis März 1990 bin ich noch gependelt, mal vier Tage Frankfurt, dann wieder drei Tage Leipzig. Und dann hab ich gesagt: Ich komme zurück. Denn hier sind die Freiräume. Im Westen ist alles schon fertig und verteilt, aber im Osten hast du noch die anarchische Möglichkeit, was zu machen als freier Künstler. Und genauso ist es gekommen.

Der Text wurde bearbeitet und gekürzt von Wolfgang Leyn.