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Kurze Baugeschichte des heutigen Gohlis

von Matthias Judt

Am 31. Dezember 2018 leben in Gohlis 45.092 Menschen. Das Bau- und Sanierungsgeschehen in diesem Stadtteil zeigt, dass die Einwohnerzahl weiter steigt und steigen wird. (1) Gut 180 Jahre früher, im Jahre 1835, zählte man hier nur 578 Einwohner. (2) Eine rasante Entwicklung in gut 180 Jahren, möchte man meinen. Dabei war die Einwohnerzahl von Gohlis vor etwa 85 Jahren sogar noch weit höher: 1933 lebten 54.581 Einwohner im Stadtteil. (3)

Die wenigen Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung verdeutlichen, welche Umwälzungen in Gohlis in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vonstatten gingen. Aus dem dörflich geprägten Ort, in dem vermutlich mehr als elf Jahrhunderte lang relativ wenige Bauern und einige wenige Müller von der Landwirtschaft gelebt hatten, wurde ein städtisch geprägtes Gebiet.

Der Aufschwung von Gohlis vollzog sich erst seit den 1840er Jahren. 1845 lebten in Gohlis immer noch weniger als 1.000 Einwohner, gerade einmal 930 Menschen. 1855 waren es jedoch schon 1.426. Die Volkszählung zum 1. Januar 1871 nennt bereits über 5.000 Einwohner. Zum Zeitpunkt der Eingemeindung nach Leipzig, am 1. Januar 1890 lebten dann schon 19.312 Männer, Frauen und Kinder in Gohlis. 1910 waren es 44.058, immerhin mehr als aktuell. (4)

Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen widerspiegelt sich auch in der Baugeschichte des Ortsteils. Wenige Hundert Einwohner bedeuten eine dörfliche Struktur, die sich noch heute in Gestalt des Schillerhauses, einem Bauernhaus, in Erinnerung ruft. (5) Tausende oder gar Zehntausende Bewohner meinten indes schon dichte Bebauung mit Karrees und geschlossenen Häuserfronten.

Was bedeuten dörfliche Strukturen? Vom heutigen Kirchplatz waren in den früheren Jahrhunderten im sogenannten Oberdorf Bauerngüter angelegt worden. Die jetzige Menckestraße mit ihrem markanten Anger (auf dem sich zwischen 1685 und 1861 das erste Schulgebäude von Gohlis befand) hieß deshalb Dorfstraße. Doch Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden dort mehrgeschossige, aufwändig gestaltete städtische Wohnhäuser. (6)

„Am südwestlichen Rand des Angers“ befand sich nun „das wohl bekannteste Gebäude von Gohlis. Das spätbarocke „Gohliser Schlösschen“ mit dem markanten Türmchen wurde 1755/ 1756 für den Leipziger Kaufmann Johann Caspar Richter (1708–1770) gebaut. Das Anwesen diente als Sommersitz und erinnert an die Zeit, als vermögende Leipziger Bürger in Gohlis bäuerliche Anwesen kauften, um darauf Sommer- bzw. Landhäuser errichten zu lassen. Das Gohliser Schlösschen entstand auf der Fläche von drei Bauerngütern, die zuvor entfernt werden mussten. Seit 1906 ist das Gebäude in städtischem Besitz und wird als überregionale Kultureinrichtung öffentlich genutzt.“ (7)

Was bedeutet im Vergleich zum früheren dörflichen Charakter von Gohlis seine explizite städtische Gestaltung?

Wegen der rasanten Entwicklung von Leipzig im 19. Jahrhundert profitierte auch sein damaliger Vorort Gohlis von einem Zustrom von Arbeitern, Beamten und Gewerbetreibenden. Nach 1880 entstanden so die eng bebauten Arbeiterwohnquartiere beiderseits der Gothaer Straße. Zehn Jahre später gab es schon eine dichte Bebauung östlich der Breitenfelder Straße, jedoch weniger ausgedehnte westlich davon: Hier erstreckte sich die Bebauung in der Hallischen (der heutigen Georg-Schumann-)Straße nur bis zur Wiederitzscher Straße sowie die Schkeuditzer und Eisenacher Straße (im wesentlichen nur nördliche Seite). (8)

Hier breitete sich nach der Ansiedlung der „Gohliser Kasernen“ (die sich allerdings vor allem auf Möckernscher Flur ausdehnen sollten) (9) das sogenannte Militärische Viertel. Seine damaligen Straßennamen „Heerstraße“, „Artilleriestraße“, „Jägerstraße“ und „Jägerplatz“ markierten das Gelände. Es ist noch heute (oder besser: heute wieder) gekennzeichnet durch eine hochwertige Stadtvillenbebauung mit Vorgärten. (10)

In den Jahren zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden mit den Stadtvillen in der heutigen Ludwig-Beck-Straße, der Hoepnerstraße, in der Jäger- und der Stauffenbergstraße wie auch die Blockrandbebauung entlang der Landsberger Straße. Verluste durch Bombeneinwirkung im Zweiten Weltkrieg wurden in den 1950er Jahren und später durch weit weniger mit Ornamenten ausgestatteten Häuser ersetzt. (11)

Wesentlich einfacher gestaltet waren genauso die Bauten im sogenannten Französischen Viertel, das in Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 entlang einer Hauptachse, der heutigen Coppistraße, in den Jahren 1905 bis 1914 entstand. Die hier angelegten Straßen trugen die Namen von Orten mit entscheidenden Schlachten dieses Krieges (Beaumont-, Brie-, Gravelotte-, Metzer und Pariser Straße), von eroberten Gebieten (Lothringer und Straßburger Straße) oder von Heerführern (Blumenthal-, Fabrice-, Goeben-, Roon- oder auch Werderstraße). (12) Selbst das 1912 an der Lothringer Straße eröffnete Kino nahm mit seinem ersten Namen „Lichtspieltheater Francaise“ Bezug auf Frankreich. (13)

An den Gebäuden im ehemaligen Französischen Viertel sind weit weniger Verzierungen zu finden als im früheren Militärviertel. Fast durchgängig findet sich hier eine viergeschossige Wohnbebauung, die sich auch bei der Zeilenbebauung der 1920er und 1930er Jahren in den Straßenzügen Heinrich-Budde-, Corinth- und Adolph-Menzel-Straße sowie in der Lützow- und Geibelstraße fortsetzt. Selbst bei den eher zweckmäßig gestalteten Bauten aus den 1960er Jahren wurde diese Regel beibehalten. (14)

Eine erste Ausnahme von dieser Regel ist das Eckhaus „Klein-Paris“ an der Einmündung der Sasstraße in die Coppistraße. Hier finden sich aufstrebende Mauerpilaster, die mit Vasen und Figuren abschließen. „Das viergeschossige Gebäude streckt sich durch ein vollständig ausgebautes Dachgeschoss in die Höhe.“ (15)

Deutlich von den anderen Häusern in dem Gebiet unterscheiden sich zudem zum einen die „Feuerwachse Nord“ an der Matthisonstraße und die Villa Hilda (das heutige Heinrich-Budde-Haus“) an der Lützowstraße.

Die Feuerwache Nord ging nach dreijähriger Planungs- und Bauzeit im April 1907 in Betrieb. Es wirkt mit seinen Stützpfeilern wie eine Festung. Die an ihm angebrachten allegorischen Hochreliefs spielen mit dem Thema Feuer: Die Skulpturen „Der Kampf mit Elementen“, „Schutz des Eigentums“ und „Rettung des Lebens“ wurden 1905 von dem Künstler Josef Mágr geschaffen. Ergänzt werden sie durch das Wappen der Stadt. (16)

Die Villa Hilda wurde vis-à-vis der Bleichert-Werke in der Lützowstraße als Familienvilla des Unternehmers Adolf Bleichert errichtet. Ursprünglich sollte es sogar in direkten Anschluss an das Fabrikgelände „mit Garten und Teich, eventuell auch mit Stallgebäude“ im unteren Teil der Rietzschkewiesen errichtet werden. Damit hätte der Komplex allerdings direkt in der Hauptrichtung von Wind und Schall gestanden und wäre damit voll den Lärm- und Abgasbelastungen der Bleichert-Werke ausgesetzt gewesen. (17)

Die Villa Hilda wurde 1891 als Ersatz für ein an dieser Stelle erst 1872 durch den Gründer des Leipziger Gaswerks, Albert Gruner, errichtetes Wohnhaus erbaut. Die Familie Bleichert hatte es 1881 übernommen und einige Umbauten durchgeführt. Bleichert ließ das Haus schließlich 1889 abreißen, um Platz für den Neubau einer Familienvilla zu schaffen. (18)

Die Planungen für den Bau wurden durch Stefan Krieg-von Hößlin durchgeführt und der Bau durch die Leipziger Baufirma Steyer realisiert. Besonders interessant ist, dass das Wohngebäude wie die Fabrikhallen der Bleichert-Werke in Stahlskelett- und Betonbauweise ausgeführt wurden, was einem Laien äußerlich nicht auffallen wird. Die Fassaden, ausgeführt in Elbsandstein, sind überreich mit Bauplastik versehen, was dem Gebäude einen vom Historismus geprägten Charakter verleiht. (19)

Im Inneren ist trotz der jahrzehntelangen Nutzung als Kinderheim und Kulturhaus die klassische Aufteilung einer Fabrikantenvilla erkennbar. Die Räume im Erdgeschoss dienten der Familie Bleichert für repräsentative Zwecke, die im Obergeschoss nutzte sie privat. Im Obergeschoss waren Gästezimmer und Räume für die Bediensteten. Das Kellergeschoss diente als Lager und Wirtschaftsraum. Ein Teil der Villa wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bombeneinwirkung zerstört. (20)

Die Villa Hilde wurde nach der Enteignung der letzten Eigentümer im Jahre 1951 zunächst als Kinderheim genutzt und wurde schließlich 1956 zum „Klubhaus Heinrich Budde“ des damaligen VEB Verlade- und Transportanlagen (den ehemaligen Bleichert-Werken) umgestaltet. Das Kulturzentrum wurde nach dem Widerstandskämpfer Heinrich Budde benannt. Es erfüllt noch heute als soziokulturelles Zentrum wichtige Aufgaben in der Kulturarbeit im Ortsteil. (21)

Am Poetenweg entstand bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein weiteres mondänes Viertel um die Straßen Poetenweg, Platnerstraße und Primavesiweg. 1913 regelte ein Ortsgesetz die Bebauung von Gohlis-Süd (zwischen Magdeburger Eisenbahn und dem Rosental). Der Bau der „Turmschule“ (des heutigen Friedrich-Schiller-Gymnasiums), der bereits acht Jahr zuvor – 1905 – erfolgt war, zeigte an, dass sich Gohlis auch in Richtung Norden städtebaulich ausdehnte. Hierzu war bereits am 21. Mai1898 ein gesonderter Bebauungsplan für „Neu-Gohlis“ (das in etwa dem heutigen Gohlis-Mitte entspricht) erlassen worden, der die bis heute erhaltene städtebauliche Struktur vorbestimmte. (22) Abbildung https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:LE_NeuGohlis_Karte1890.jpg. (23)

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Turmschule entstand 1926 das repräsentative Postamt von Gohlis in der damaligen Friedrich-Karl- und heutigen Sassstraße (Abb.:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AHW_Postamt_N22_Gohlis_Leipzig_1926.jpg?uselang=de ). (24) Weiter die Sassstraße hinunter zur Ecke Hallischen Straße (heutige Georg-Schumann-Straße) errichtete der „Gemeinnützige Sparverein“ in den Jahren 1929/30 den markanten Gebäudekomplex mit vorgelagerten Einzelhandelseinrichtungen. (25)

Die nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Gohlis-Mitte vorherrschenden Baustile wurden vor allem wegen des starken Engagements von bürgerlichen Baugenossenschaften umgesetzt. Neben den städtischen Wohnungsgesellschaften waren es gerade sie, die das Bebauen kompletter Straßenzüge und Karrees finanziell und planerisch auf sich nehmen konnten. (26)

Der große Umfang des Wohnungsbaus in Gohlis in den 1920er und 1930er Jahren zeigt sich auch an anderen Stellen. Entlang der Breitenfelder Straße zeugen mehrere Komplexe von der Bautätigkeit, darunter der Wohnblock in der Nummer 42 und der Komplex „Margaretenhof“ an der Ecke zur damaligen Ulanenstraße. (27) Größere Komplexe errichtete der „Spar- und Bauverein Leipzig-Nord“ von 1927 bis 1933 in der heutigen Hans-Oster-Straße und im Viertelsweg. (28)

Daneben ist das „Philosophenviertel“ zu nennen, das einerseits kommunale Wohnbauten aus den 1920er und 1930er Jahren an den Hauptstraßen Virchow- und Coppistraße aufweist als auch ein ausgedehntes Wohngebiet mit Einfamilien- und Doppelhäusern zwischen Virchowstraße und Arthur-Brettschneider-Park. (29)

All diese Bauten zeigten die schrittweise Abkehr von überbordenden Fassadengestaltungen hin zu stärker funktional strukturierten Bauten, wie sie hiernach über Jahrzehnte überall in Gohlis entstehen sollten. Dieser Trend zu einer damals sehr modernen Bauweise fand in einem beispielgebenden Wohnviertel einen Höhepunkt – der ab 1928 von der „Aktiengesellschaft für Haus- und Grundbesitz“ Im Areal Landsberger/Danziger Straße (heute Landsberger/Max-Liebermann-Straße) umgesetzten „Krochsiedlung“.

Bereits 1910 wurden im Wasserwerk Leipzig erste Planungen für die Erschließung des späteren Geländes der Krochsiedlung begonnen. Dessen Versorgung mit Trinkwasser konnte nämlich nicht vom Krankenhaus St. Georg aus sichergestellt werden, sondern erforderte den Bau einer neuen Verbindungsleitung von den Wassertürmen in Möckern zum bestehenden Netz in Eutritzsch. (30)

In Neu-Gohlis wurde der Bau von 4.500 Wohnungen für etwa 15.000 Einwohner geplant, was bei voller Umsetzung bedeutet hätte, dass an dieser Stelle die größte Wohnsiedlung der Weimarer Republik entstanden wäre. (31)

Im Sommer 1929 begann der Bau der Siedlung. Die ersten 96 Wohnungen konnten bereits bis Ende April 1930 bezogen werden. Im Herbst desselben Jahres wurde der erste Bauabschnitt mit 1.018 Wohnungen abgeschlossen. Das war Anlass, am 28. Oktober 1928 die Wohnstadt Neu-Gohlis (die ab 1931 ihren Namen „Krochsiedlung“ trägt) offiziell einzuweihen. (32)

Dabei sollte es indes bleiben, obwohl die ursprünglichen Pläne eine viermal so große Wohnbaufläche vorsahen. Ende 1931 musste der Hauptaktionär der AG für Haus- und Grundbesitz, Hans Kroch, feststellen, dass es wegen der nunmehr voll ausgeprägten Weltwirtschaftskrise „ausgeschlossen [sei], daß diese Vergrößerung für absehbare Zeit in Frage kommt. (33)“ Selbst Planungen von 1932, die Siedlung durch Einfamilienhäuser zu erweitern, und solche von 1934, unter ausdrücklichem Bezug auf die nunmehr nationalsozialistischen „Vorstellungen der Reichsregierung […] durch den Bau von Einfamilienhäusern für alle Parteimitglieder der SA und der SS bodenständig zu machen,“ scheiterten am Votum der Stadtverwaltung. (34)

Die Bombenangriffe der Jahre 1943 bis 1945 sollten Gohlis insgesamt nicht sehr stark betreffen, doch auch hier waren erhebliche Schäden zu beklagen. Komplette Häuser (oder wenigstens Teile von ihnen) gingen u.a. in der Elsbethstraße (Nr. 16 – 18, Teil von Nr. 20) verloren. Kriegsschäden gibt es in der Lindenthaler, der Lützow- und der Berggartenstraße sowie der Georg-Schumann-Straße. Am Gohliser Schlösschen wurden der Garten, Arkaden und das Dach des Haupthauses beschädigt. (35)

Gohlis sollte jedoch bei der Bekämpfung der großen Wohnungsnot in Leipzig insgesamt eine große Rolle spielen. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 versuchte das SED-Regime mit einer Vielzahl von Maßnahmen, die Stimmung in der Bevölkerung ihm gegenüber zu verbessern. Dazu gehörte die starke Förderung des Wohnungsbaus. In einer eigens am 10. Dezember 1953 erlassenen „Verordnung [des DDR-Ministerrates] über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und die Rechte der Gewerkschaften“ wurde unter anderem die Gründung sogenannter Arbeiterwohnungsgenossenschaften angeregt. (36) Sie kamen in den Genuss zinsloser Kredite (zunächst über 80 % der Baukosten, ab 1957 sogar 85 Prozent), und es wurden ihnen „volkseigene“ (also staatliche) Grundstücke zur unentgeltlichen Nutzung überlassen. (37)

Exkurs: Die „Wünsche der Arbeiter“ und die AWG

„Entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der Arbeiter ist es erforderlich, Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften zu bilden und sie durch staatliche Hilfe zu fördern. Das Ministerium für Aufbau wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium der Finanzen und in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften innerhalb von drei Monaten ein Musterstatut für diese Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften auszuarbeiten. Im Plan der langfristigen Kreditgewährung für 1954 wird die Bereitstellung besonderer Kredite für die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften zu Vorzugsbedingungen in der Höhe von mindestens 50 Millionen DM vorgesehen.“ (39)

Im Jahre 1958 richteten die neu gegründeten Arbeiterwohnungsgenossenschaften (AWG) „Neuer Kurs“ und „Deutsche Reichsbahn“ an der Landsberger Straße und den Viertelsweg einer der größten Baustellen für den Wohnungsbau in der DDR ein. Hier entstanden bis 1963 in „industrieller Fertigungstechnologie“ insgesamt 320 Wohnungen in einer Größe von zwei bis vier Zimmern und einer Fläche von 55 bis 90 Quadratmetern. Sie wurden von dem Leipziger Architekten Horst Krantz (geb. 1927) entworfen, einem der Pioniere der Großblockbauweise in der DDR. (40)

In den Jahren 1960 und 1961 wurden zwischen Max-Liebermann-Straße und Virchowstraße innerhalb einer Taktbaustelle 832 Wohnungen in Großblockbauweisen, darunter von der AWG „Deutsche Reichsbahn“ 200 und von der AWG „Leipzig-Nord“ 224 Wohnungen. (41)

Die AWG „Leipzig-Nord“ errichtete 1960 an der Virchowstraße zudem einen Experimentalbau einer neuen Wohnungsbauserie („Q6“), der eine Vielzahl von Problemen auswies. Die Wohnungen im Erdgeschoss, im obersten Geschoss und an den Giebeln wurden nicht richtig warm. Die deshalb zusätzliche Beheizung über die Gasbacköfen und elektrische Heizgeräte setzte den Fußbodenbelägen zu und sorgte für Stockflecken und Schimmelbildung. Die Beseitigung dieser Mängel beschäftigte die AWG „Leipzig-Nord“ lange Jahre. (42)

Die Genossenschaft baute ab 1986 nördlich der Krochsiedlung schließlich eines neues Wohngebiet in fünfgeschossiger Plattenbauweise des Typs der Wohnungsbauserie 70 („WBS70“). Hier entstanden noch einmal 440 Wohnungen, eine Schule sowie eine Kaufhalle, deren Bauweisen sich an der WBS 70 orientierten. (43) Weil hier viele Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR Wohnungen zur Verfügung gestellt bekamen, wurde und wird das Wohngebiet im Volksmund auch „Stahlhelmsiedlung“ genannt.

Nach der Herstellung der deutschen Einheit wurde Gohlis in seinen Altbaubeständen zum großflächigen Sanierungsgebiet. Sämtliche, zuvor militärisch genutzten Liegenschaften in Gohlis wurden seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu Wohngebieten umgewandelt. (44)

Darüber hinaus entstanden neue Wohngebäude. Am Coppiplatz entstand ein sechsgeschossiges Gebäude, dem sich in der Landsberger und der Franz-Mehring-Straße Wohnbauten anschließen. Sie runden das gesamte Wohnensemble am Coppiplatz ab und wurden an einer Stelle errichtet, an der zu DDR-Zeiten eine Kohlehandlung, ein Containerstandort und eine Verkaufsbaracke für Obst und Gemüse eher Tristesse vermittelte. (45)

In Gohlis-Nord entstand an der Max Liebermann-Straße nicht nur das Einkaufszentrum Gohlis-Park, sondern in seinem nördlich anschließenden Gebiet eine völlig neues Wohngebiet auf dem ehemaligen Gelände eines Armeesportplatzes. (46)

An der Virchow-Straße entstanden Reihenhäuser. Zwischen Rosental, Herloßsohn- und Stallbaumstraße wurde in den Jahren 2009 bis 2011 ein neues Wohngebiet, die Rosental-Terrassen, errichtet. (47)

In den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts erlebte Gohlis einen Sanierungs- und Neubauboom. Das Gohlis-Carré an der Otto-Adam-, Wilhelm-Plesse- und Virchowstraße kombiniert die Sanierung eines Karrees mit der Lückenschließung durch einen passenden Neubau. (48) Seit 2017 wird das 1980 errichtete siebengeschossige ehemalige Stabsgebäude des Militärbezirks III der NVA am Viertelsweg in der heutigen Wohnanlage „Siebengrün“ zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut. (49)

An der Max-Liebermann-Straße entsteht seit 2017 östlich der Bremer Straße ein Wohnkomplex mit 92 Wohn- und vier Gewerbeeinheiten. Für das Gebiet direkt nördlich davon gibt es darüber hinaus einen beschlossenen Bebauungsplan, der weitere mehrstöckige Gebäude, eine Schule (voraussichtlich Gymnasium) sowie auch Einfamilienhäuser vorsieht. „Auf der anderen Seite der Krochsiedlung wird das Gebiet nahe des Gohlis-Parks immer dichter bebaut: Direkt neben dem Seniorenheim „Hedwighof“ wurde im Januar [2018] ein größeres Mehrfamilienhaus fertig.“ An der Maria-Grollmuß-Straße plant ein Wohnungsbauunternehmen, 80 Wohnungen in Fertigbauweise zu errichten. Dabei werden ganz neuartige technische Entwicklungen genutzt, „mit denen die Baukosten […] um rund ein Viertel niedriger liegen als bei üblicher Steinbauweise – und ohne, dass das Ergebnis nach einheitlicher Plattenbauweise aussieht.“ (50)

Das ungebremste Wachstum der Leipziger Bevölkerungszahl lässt auch für die kommenden Jahre erwarten, dass überall in der Stadt, und auch hier im Stadtteil Gohlis weitere Neubauten entstehen und noch leerstehenden Gebäuden neues Leben eingehaucht wird.

(1) Vgl. Ordnungsamt Leipzig (Einwohnerregister), in: http://statistik.leipzig.de/statdist/table.aspx?cat=2&rub=1.
(2) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gohlis_(Leipzig). Die Zahl kann falsch sein: Nach anderen Angaben lebten ein Jahr früher sogar 629 Einwohner in Gohlis – vgl. Digitales Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen, in: http://hov.isgv.de/Gohlis_(2).
(3) vgl. Manfred Hötzel, „Gohlis und Leipzig – Historische Hauptdaten“, in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Beucha/Markleeberg 2017 (im Folgenden „Bürgerverein 2017“), S. 19 – 22, hier S. 21.
(4) zusammengestellt nach Bernd Rüdiger/Thomas Nabert unter Mitarbeit von Renate Bahr, Alt-Gohlis. Eine historische und städtebauliche Studie (im Folgenden „Rüdiger/Nabert 1996“), Leipzig 1996, S. 14, 19 und 26f.
(5) Eine ganz besondere „Annäherung“ an das Schillerhaus findet sich in Ursula Hein, „Auf Schillers Spuren. Von Mannheim nach Gohlis“ (Link)
(6) Vgl. Luise Grundmann, „Alt-Gohlis – Dorf und Großstadtviertel“ (Juni 2005, im Folgenden „Grundmann 2005“), in: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/78_E_534-altgohlis/.
(7) wiedergegeben und zitiert nach Grundmann 2005.
(8) Vgl. Rüdiger/Nabert 1996, S. 21 und 23.
(9) Vgl. Matthias Judt, „Kasernen in Gohlis“ (LINK einstellen zu Onlinetext)
(10) Vgl. „Das Militärische Viertel“ (im Folgenden: „Militärviertel 2003“), in Neu-Gohlis. Eine historische und städtebauliche Studie, Leipzig 2003 (im Folgenden „Neu-Gohlis 2003“), S. 31 – 36, hier S. 31.
(11) Vgl. Militärviertel 2003, S. 32.
(12) Vgl. „Das Franzöische Viertel“ (im Folgenden: „Französisches Viertel 2003“), in Neu-Gohlis 2003, S. 39f, hier S. 39.
(13) Vgl. Matthias Judt, „Kinos in Gohlis“ (LINK einstellen)
(14) Vgl. Französisches Viertel 2003, S. 29.
(15) wiedergegeben und zitiert nach Französisches Viertel 2003, S. 39.
(16) Vvgl. Französisches Viertel 2003, S. 39f; Annekatrin Merrem, „Die Feuerwache Nord“, in Bürgerverein 2017, S. 92f.
(17) wiedergegeben und zitiert nach „Das Heinrich-Budde-Haus“, in Neu-Gohlis 2003 (im Folgenden „Budde-Haus 2003“), S. 41.
(18) Vgl. Ansgar Scholz, „Heinrich-Budde-Haus/Villa Hilda (Lützowstraße 19)“ (im Folgenden „Scholz 2017“), in Bürgerverein 2017, S. 82 – 84, hier S. 82.
(19) Vgl. Scholz 2017, S. 82; Budde-Haus 2003, S. 41.
(20) Vgl. Scholz 2017, S. 82f; Budde-Haus 2003, S. 41.
(21) Vgl. Scholz 2017, S. 82; Budde-Haus 2003, S. 41. Der Bürgerverein Gohlis strebt an, sein Domizil nach einigen Jahren in der Lindenthaler Straße wieder im Budde-Haus aufschlagen.
(22) Vgl. http://www.leipzig-gohlis.de/historie/geschichte.html.
(23) Foto gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.
(24) Foto gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Quelle: Christoph Kaufmann: Fotoatelier Hermann Walter. Leipzig 1918–1935. Pro Leipzig, Leipzig 2010. Fotografen: Bernhard Müller (1860 – 1930) oder Karl Walter (1877 – 1940) vom Atelier Hermann Walter. Beide möglichen Fotografen sind mehr als 70 Jahre tot.
(25) Vgl. Rüdiger/Nabert 1996, S. 30
(26) siehe Matthias Judt, „Beamtenbaugenossenschaft – GEWOBA – AWG „Paul Kloß“ – VLW“ (LINK einstellen); ders., „Bauverein/Baugenossenschaft zur Beschaffung preiswert(h)er Wohnungen –
AWG „Alfred Frank“ – Baugenossenschaft Leipzig eG“ (LINK einstellen)
(27) Vgl. Rüdiger/Nabert 1996, S. 30; Uta-Andrea Weitzmann, „Chronik von Gohlis-Nord“ (im Folgenden „Weitzmann 2003“), in Neu-Gohlis 2003, S. 8.
(28) Vgl. Weitzmann 2003, S. 3 und 6; Ortstypik 2003, S. 45.
(29) Vgl. „Das Philosophenviertel“, in Neu-Gohlis 2003, S. 49.
(30) Vgl. „Der Bebauungsplan Gohlis-Krochsiedlung“, in Neu-Gohlis 2003, S. 46 – 48, hier S. 46.
(31) Vgl. Peter Leonhardt, „Krochsiedlung. Neu-Gohlis Wohnstadt der A.-G. für Haus- und Grundbesitz (Krochsiedlung)“ (im Folgenden „Leonhardt 2017“), in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Markleeberg 2017 (im Folgenden „Bürgerverein 2017“), S. 96 – 101, hier S. 96.
(32) Vgl. Weitzmann 2003, S. 9 und 12.
(33) Stadtarchiv Leipzig, Kap. 24, Nr. 3298, Bd. 1, Bl. 234, zitiert nach Leonhardt 2017, S. 98.
(34) wiedergegeben und zitiert nach Leonhardt 2017, S. 98, dort nach Stadtarchiv Leipzig, Kap. 24, Nr. 3298, Bd. 1, Bl. 270.
(35) Vgl. Rüdiger/Nabert 1996, S. 30ff.
(36) Gesetzblatt der DDR, Nr. 129 vom 11. Dezember 1953, S. 1219.
(37) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft, abgerufen am 7. Januar 2018; „Der genossenschaftliche Wohnungsbau nach 1945“ (im Folgenden „AWG“), in Neu-Gohlis 2003, S. 53f; Marvin Brendel, „’Instrumente des Sozialismus’. Die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften der DDR“, in: http://genossenschaftsgeschichte.info/arbeiterwohnungsbaugenossenschaften-der-ddr-814, aufgerufen am 7. Januar 2018.
(38) Die erste Bezeichnung der DDR-Währung war „Deutsche Mark“, abgekürzt „DM“. Damit wurde in der DDR dieselbe Währungsbezeichnung genutzt wie in der Bundesrepublik. Unterschieden wurden sie allein durch Namen wie „DM (Ost)“ und „DM (West)“. erst soäter wählte die DDR andere Bezeichnungen für ihre Währung („Mark der Deutschen Notenbank“ – MDN – bzw. „Mark der DDR“).
(39) „Verordnung [des DDR-Ministerrates] über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und die Rechte der Gewerkschaften“ vom 10. Dezember 1953, in Gesetzblatt der DDR, Nr. 129 vom 11. Dezember 1953, S. 1219.
(40) Vgl. AWG, S. 53; https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Krantz, aufgerufen am 7. Januar 2018.
(41) Beide Genossenschaften gehören heute zur Wohnungsbaugenossenschaft „WOGETRA“ (vgl. Weitzmann 2003, S. 19). Siehe auch AWG, S. 53.
(42) Vgl. Weitzmann 2003, S. 20; AWG, S. 54.
(43) Vgl. AWG, S. 54.
(44) Vgl. Hansgeorg Herold, „Sanierung in Gohlis nach 1990“, in: Bürgerverin Gohlis 2017, S. 342-344, hier S. 342; Matthias Judt, „Kasernen in Gohlis“ (LINK einstellen); ders., „Wohnen in Gohlis“ (LINK einstellen).
(45) Vgl. „Der Aufbau des Stadtteilzentrums und Lückenschließungen bis zur Gegenwart“ (im Folgenden: „Gegenwart 2003“), S. 55f, hier S. 55.
(46) Vgl. Karl-Heinz und Ursula Kohlwagen, „Kasernenstadt Gohlis-Möckern“ (im Folgenden „Kohlwagen 2017“), S. 107 – 124, hier S. 128f; Matthias Judt, „Kasernen in Gohlis“ (LINK einstellen).
(47) wiedergegeben nach Kohlwagen 2017, S. 128; Gegenwart 2003, S. 56.
(48) Vgl. Leipziger Volkszeitung vom 20. Juli 2017.
(49) Vgl. http://www.leipzig.de/news/news/vorhabenbezogener-bebauungsplan-nr-99-1-geschaeftshaus-viertelsweg-martin-drucker-strasse/, aufgerufen am 26. Mai 2017.
(50) wiedergegeben und zitiert nach Matthias Reichmuth, „Was erwartet Gohlis 2018?“, in Gohlis Forum, Heft 1/2018.