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Geschichte in Geschichten (Teil 3) – Schüler fragen Zeitzeugen: Ute Ziegenhorn

Von Judith Lucas, Laura Kronschwitz und Luise Petereit

Ute Ziegenhorn: Jahrgang 1940, aufgewachsen in Jena, besuchte sie von 1946-52 eine Schule in Leningrad, wohin ihr Vater als Zeiss-Spezialist dienstverpflichtet war, danach ging ihre Familie wieder nach Jena. Dort studierte sie von 1959-65 an der Friedrich-Schiller-Universität Medizin und machte eine Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Seit 1974 arbeitete sie in Leipzig u.a. in der Poliklinik Nord in Gohlis, in der Menckestraße 17, wo sie bis 1992 praktizierte. Nach deren Auflösung war sie bis 2009 selbständige Kinderärztin in Gohlis.

Laura: Unser Thema ist die Friedliche Revolution in Leipzig und die Wende und ich woll-te wissen, wie allgemein Ihre Einstellung zur Revolution war, wollten Sie die Wiedervereinigung?
Wiedervereinigung hin Wiedervereinigung her. Es war eigentlich der Druck in der Arbeitswelt, Vorstellungen vom beruflichen Dasein und vom Werdegang. Da denke ich, da ist die Wiedervereinigung schon ein Schritt gewesen, der einfach notwendig war, vieles war eben doch so, dass man keine freie Entscheidung treffen konnte, in der Berufswahl ging es ja schon los.
[…]

Laura: Haben Sie auch an den Demos teilgenommen?
[…] Bei den sozialistischen Veranstaltungen musstest du erscheinen und da habe ich mich registrieren lassen und habe mich dann abgeseilt. Wenn du da nicht erschienen bist, dann konnten sie dich von der Uni schmeißen. […]

Laura: Ach so, okay und an denen zur Revolution?
Ja, jeden Montag. Wir haben damals auch immer Spätdienst in der Markgrafenstraße gemacht da war es auch immer schwierig durch die Innenstadt zu kommen und jaja das gehörte dazu. […]

Laura: Gerade am 09. Oktober hatten Sie da Angst, dass das irgendwie eskaliert?
Ja, es war sehr angespannt und die haben ja alle möglichen Lastwagen und Überfallkommandos, was das alles war von der NVA und Bereitschaftspolizei, das hatten sie ja alles aufgefahren. Das war ja überall rund rum um den Ring und wusste ja keiner, was passiert. Alle hatten Angst, dass sie schießen, obwohl die von der Bereitschaftspolizei auch alle Schiss hatten. […] Ich habe ja als Kind schon erlebt, den Juni 1953. Das war ja auch schon so eine kritische Zeit, da war ich gerade 13, das war ja auch nicht ohne.

Laura: Und was genau hat Sie dazu bewegt, obwohl Sie so viel Angst hatten?
Weil wir was verändern wollten, einfach das. Nicht die sog. Freiheit, was ist denn Freiheit, aber einfach um diesen ewigen gesellschaftlichen Druck loszuwerden.

Laura: Haben sich Ihre Hoffnungen jetzt damit erfüllt wie es jetzt abgelaufen ist?
Nein, weil vieles war ja mehr oder weniger dann ein Politikum. Da sind die ganzen Polikliniken zerstört wurden, jetzt erfinden sie die Ärztehäuser wieder. […] Da war vieles in Ordnung und wie gesagt auch die Mütterberatung und die Betreuung der Kindereinrichtungen. Da sind wir ja immer einmal die Woche hingegangen und haben uns die Sorgenkinder angeguckt. […]

Laura: Welche Veränderungen mit der Wiedervereinigung waren für Sie am größten und am bedeutendsten?
Naja, für uns war es beruflich ja total anders. […] nach der Wende hat die Stadt uns ja alle entlassen, da mussten wir uns ja alle erstmal kümmern, um Praxisräume, um die Einrichtung. Ich war da Ende 40, das ist ja nicht so einfach, Schulden aufzunehmen, das kannten wir ja alles nicht Kredite in dieser Form […] Dann war das ja ein total anderes Abrechnungssystem, das haben wir ja alles in der vollen Sprechstunde nebenbei uns aneignen müssen, das war schon nicht so einfach.

Laura: Gab es auch Veränderungen vor allem in Ihrer Branche, die Sie so richtig gut fanden? Neue Methoden oder so, die eingeführt wurden?
Na klar. Wir haben ja nicht mehr so viel schreiben müssen dank Computer, Das war schon ein Schritt, ansonsten Sonographiegeräte und sowas, das hatten wir ja alles nicht.

Laura: Was haben Sie sich damals noch, Sie haben ja schon gesagt, Sie haben sich vor allem diese Freiheit erhofft, was noch?
Ja, die sog. Freiheit, da geht es ja auch um die Reisefreiheit, dass man eben mal in der Welt reisen kann. Das durften wir ja alle nicht und naja, dass du eben nicht diesen ständigen gesellschaftlichen Druck hattest […] Mein Vater und meine Schwester, die waren auf Reisekader, obwohl sie nicht in der Partei waren, ins westliche Ausland und, wenn ich nun hier mal einen Messegast hatte, das wurde ja alles weiter gemeldet das haben die ja alles gewusst, die Stasi. […]

Laura: Empfinden Sie das Gesundheitssystem, wie es jetzt organisiert ist, als besser, oder…? Was finden Sie besser oder schlechter?
Ich finde das… also naja, du hast halt heute ganz andere Möglichkeiten der Untersuchung von MRT angefangen. Das hatten wir ja alles nicht, selbst Universitäten hatten das nicht und die Ultraschall Geräte. […] aber ich sag mir eben immer: der Normalsterbliche, wenn der zum Doktor will, der will ordentlich angehört werden, der will nicht, dass der nur in den Computer guckt und sich auch mal mit dem Menschen unterhält und ein bisschen Zuwendung und das gehört eben auch mit dazu und das ist nicht in Ordnung wie es heute zum Teil läuft […]

Laura: Wenn Sie in der Schule Ihre Meinung gesagt haben, über den Staat und so, es gab ja auch das Fach Staatsbürgerkunde, haben Sie da irgendwie bemerkt, dass Sie da schlechtere Noten bekommen haben?
Ja, auch schlechte Beurteilung habe ich von meinem Klassenlehrer bekommen. Der ist mir dann, nachdem ich das Abitur dann hatte, da hat er so quasi sich entschuldigt… Das kannst du zwar nicht beweisen, aber das war so. […]

Laura: Ja, was weiß ich ja nicht, wie schnell das nach der Wende dann auch alles geändert wurde oder…
Ja, das ging ruckzuck. Die haben da auch keine Rücksicht auf uns genommen. Das hätten die mit keinem Wessi gemacht, was die mit uns gemacht haben. Die haben uns ja sofort das neue System aufgedrückt bei der vollen Arbeit. Da hat doch keiner gefragt, wie wir das bewältigen, das Programm. Es hatte keiner bei uns einen Computer, geschweige denn, das andere Abrechnungssystem, das war alles so nebenbei. […]

Laura: Also hätten Sie sich eher gewünscht, dass nicht einfach die DDR komplett an den Westen angepasst wird, sondern das, was es in der DDR gab…
Ja schon anpassen, aber sinnvoll überlegen, was ist hier erhaltenswert und was nicht, das hat man ja nicht gemacht. Man hat rigoros alles erstmal abgesenst. Das hat man doch gar nicht gemacht, Gedanken sich gemacht. Können wir uns das übernehmen oder nicht, das war ja alles schlecht. Und so war es ja nicht. Das ist ja Fakt. […]

Der Text wurde bearbeitet und gekürzt, Ursula Hein

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