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Fortsetzung Reiseschilderung „Mit dem Fahrrad von Leipzig (Sachsen) nach Leipzig (Russland/ Ural)

(Gohlis Forum, Heft 2/ 2020, Seite 14/ 15)

von Thomas Purcz

Bis dahin war noch ein langer Weg, erst einmal musste die Grenzpassage erfolgreich verlaufen. Wie schon bei der ersten Einreise nach Russland war ich gezwungen, ein umständliches, bürokratisches Procedere über mich ergehen zu lassen. An der ersten Stelle zeigt man seinen Reisepass und bekommt ein Zettelchen in die Hand. Damit darf man zum nächsten Kontrollposten. Er ist scheinbar der Qualifizierteste der Kontrollkette,
darf dafür auch im Häuschen sitzen. Er begutachtet Zettelchen und Visum im Reisepass, drückt in diesen ein Stempelchen und verteilt noch ein weiteres Zettelchen. Damit die Zettelwirtschaft nicht zu groß und unübersichtlich wird, gibt man Zettelchen 1 nur wenige Meter entfernt bei Wachmann 3 ab. Jetzt endlich öffnet sich die Schranke und die Fahrt in die große unbekannte Welt konnte beginnen.

Auf russischer Seite nannte sich die Straße nun Magistrale M10. Der Straßenbelag war dieser Bezeichnung würdig und mit zunehmender Entfernung von der Grenzstation nutzten dies auch immer mehr Fahrzeuge, um mit mehr als 100 Km/h an mir vorbeizubrausen. Bis zur nächstgrößeren Stadt Wyborg waren es etwa 60 Kilometer. Auf dem Weg dahin gab es gefühlte 3 – 4 Tank- und vereinzelte Bushaltestellen, mehr Abwechslung war von den russischen Straßenbauverantwortlichen nicht vorgesehen. Also hie. es einfach treten, treten, treten – möglichst rasch viele Kilometer sammeln und einen sicheren Schlafplatz finden. Am Ortseingang von Wyborg bestand dafür keine Gelegenheit. Ein riesiges, von Stacheldraht umspanntes Areal mit Armeefahrzeugen, ihrem Zustand nach bestimmt ausrangierte, eignete sich genauso wenig wie die mehrstöckigen, in die Jahre gekommenen Wohnblöcke. Zahlreiche, freilaufende Straßenhunde fanden die Gegend sicherlich spannend, ich dagegen nur ernüchternd. Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck, also Augen zu und durch. Als Verkehrsteilnehmer und dazu noch auf russischen Straßen jedoch keine gute Idee, wenn man nicht gerade in suizidaler Absicht unterwegs ist. Blieb nur der Beschilderung zu folgen und mit einem Blick auf die schöne Wyborger Burg die Stadt auf direktem Wege wieder zu verlassen. Die Hoffnung am anderen Ende einen Platz für mein Zelt zu finden, erfüllte sich nicht. Direkt an der Straße lag auch auf den nächsten 10 Kilometern kein Ort. Erst danach war zu meiner großen Freude eine kleine Seitenstraße in Richtung einer Ortschaft ausgeschildert. Von der Magistrale weg, Asphalt weg. Ich holperte einige Hundert Meter über eine Schlagloch – Schotterpiste und war froh, recht bald die ersten Häuser zu sehen. Die Zeit war fortgeschritten, es dämmerte schon, ein gro.es Auswahlverfahren nicht sinnvoll. Also versuchte ich es gleich auf dem ersten Grundstück. Das Tor war nicht verschlossen, ein Hund nicht hör – und sichtbar, das Chance – Risiko Verhältnis erschien mir annehmbar. Nach mehrfachem Klopfen an der Haustür öffnete eine nicht mehr ganz junge Frau. Schnell hatte ich erkannt, dass eine Verständigung nur in russischer Sprache gepaart mit etwas Pantomime möglich sein wird. Ein kleines Zelt, schlafen, eine Nacht, am nächsten Tag weiter nach Sankt Petersburg – die wichtigsten Fakten meines Wunsches waren schnell vermittelt. Als ich in ihrem Geschnatter “ moschno, moschno“ (möglich, möglich) hörte, war ich begeistert und gedanklich schon bei der Suche nach einer kleinen Rasenfläche im ziemlich chaotisch angelegten Nutzgarten. Aber Babuschka hatte andere Pläne. Sie zeigte mir einen kleinen Schuppen, brachte eine Matratze und meinte, da w.re es in der Nacht nicht so kühl. Schnell war die kleine Hütte vom gröbsten Unrat befreit und damit genug Platz geschaffen, dass die weiche Unterlage diagonal gelegt geradeso hineinpasste. Alles war für die Nachtruhe vorbereitet, da holte sie noch eine Kanne heißen Tee und eine Dose voller Gebäck. Sie erzielte, dass sie eigentlich aus Weißrussland stammt, es ihr hier aber besser geht.

Nur das die Politiker, die Regierungen Russlands und Deutschlands sich nicht vertragen, bereite ihr Sorgen und wir tranken den Tee auf die Freundschaft zwischen den Völkern, auf das friedliche Miteinander zwischen den einfachen Menschen.

Als ich am nächsten Morgen aus meinem Verschlag heraustrat, begrüßte mich ein wolkenverhangener Himmel, mehrere Pfützen auf dem Grundstück und eine unangenehme Kühle. Ein drastischer Wetterumschwung, den meine Gastgeberin geahnt haben musste. Nicht nur um mein Wohl war sie besorgt, auch mein Rad sollte nicht nass werden. Als ich schon in den tiefsten Träumen schlummerte, hatte sie noch eine große Plane über mein Fahrzeug gespannt und es so vor dem nächtlichen Regen geschützt. Was für eine nette, freundliche Geste.