Stolpersteine – nur für Eingeweihte?
von Ursula Hein
Einmal im Jahr werden in Gohlis wie überall in Deutschland die Stolpersteine geputzt, in die Straße eingelassene bronzene Stolpersteine, die an Menschen erinnern sollen, die vom NS-Regime verfolgt, vertrieben oder getötet wurden. Es gibt viele solcher Stolpersteine in Deutschland, aber es kann nicht aller Verfolgten gedacht werden, dafür sind es zu viele. Leider gibt es Menschen, die sich nicht angesprochen fühlen, wenn sie jeden Tag über den Stein vor ihrer Haustüre laufen. Es interessiert sie nicht, sie ignorieren ihn einfach. Sie fühlen sich vielleicht genervt von der Erinnerung an den „Fliegenschiss der deutschen Geschichte“, wie es ein führender AfD-Politiker zu sagen wagte, auch wenn er es später als „ungeschickte Formulierung“ zu relativieren versuchte.
Was können wir gegen diese Ignoranz und das Nicht-Wissen-Wollen tun? In den letzten Jahren, seitdem ich in Gohlis lebe und im Bürgerverein aktiv bin, haben wir in jedem Jahr rund um „unseren“ Stolperstein mit Flugblättern in den Hausbriefkästen und an Bäumen in der Heinrich-Budde-Straße 50 die Bewohner informiert. Auch im Gohlis Forum weisen wir immer darauf hin, dass wieder der Jahrestag des Erinnerns gekommen sei, und rufen zur Teilnahme auf. Aber fast niemand aus den umgebenden Häusern ließ oder lässt sich sehen.
Im letzten Jahr kam immerhin ein Ehepaar, beide sind Mitglieder des Bürgervereins. Ansonsten war es nur das kleine Häuflein aus Vorstand und Mitgliedern, das sich hier versammelte. Andreas P. putzt trotz Gichtproblemen eifrig den Stein für Werner Schilling, der 1917 in Leipzig geboren wurde und im Juli 1944 erst 27-jährig im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet wurde. Schon vorher hatte jemand ein wenig geputzt und Blumen auf den Stein gelegt.
Wir zündeten dann unsere Kerze an, stellten zwei kleine Erikastöckchen hin und sprachen über das Leben dieses Gohlisers, der sein Leben lassen musste, weil er Hitlers Krieg nicht mitmachen wollte. Die Stöckchen haben wir auf die benachbarte Baumscheibe gepflanzt, hoffentlich können sie dort einwurzeln und bis zum nächsten Jahr überleben, wenn sich dann vielleicht mehr Anwohner als diesmal gemeinsam an den Verfolgten des NS-Regimes erinnern werden.