von Ursula Hein/Wolfgang Leyn

Drei Gohliser waren am 04.09.2019 zu Gast im Gesprächs-Café des Bürgervereins, die im Herbst 1989 (und lange davor) Mut bewiesen. Gerd Klenk, Mitbegründer und später lange Vorsitzender des Bürgervereins Gohlis, arbeitete zu DDR-Zeiten als Diplomingenieur. Seit 1986 engagierte er sich im kirchlichen Friedenskreis. „Wenn ich hier bleibe und nicht in den Westen gehe, dann will ich hier was tun!“, war seine Devise. Für die Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern. Gegen die stinkenden Abwässer in Elster und Pleiße, gegen die Dreckschleudern des Braunkohlenkraftwerks Espenhain. „Eine Mark für Espenhain“ – bei dieser Aktion des Christlichen Umweltseminars Rötha überwiesen 1987 zehntausende Menschen per Postanweisung symbolisch je eine Mark für neue Filteranlagen. Peinlich für den Staat, sagt Gerd Klenk, aber nicht zu verbieten wie eine Unterschriftensammlung.

Gehen oder Bleiben – also mit Ausreiseantrag in den Westen oder zu Hause etwas verändern, dieser Streit spaltete Familien wie Kirchgemeinden, erzählt Gotthard Weidel, damals Pfarrer an der Gohliser Friedenskirche und mit seiner Gemeinde am 09.10.1989 für das Friedensgebet in der Nikolaikirche verantwortlich. Der Friedenskreis Gohlis habe nicht die Regierung stürzen, sondern Veränderungen im Land erreichen wollen. Das im September 1989 gegründete Neue Forum nennt Weidel ein Zeichen an die Staatsmacht, dass die Leute endlich mitreden wollten. Das Land brauchte eine politische Kraft, die sich nicht mehr „am Nasenring durch die Arena ziehen ließ“.

Der Schriftsteller Reinhard Bernhof gehörte im Herbst 1989 zu den Mitbegründern des Neuen Forums in Leipzig. Er erinnert sich an Vorbehalte im Kirchenvorstand der Michaeliskirche. Politische Veranstaltungen hätten in der Kirche nichts zu suchen, bekam er zu hören. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, ehe das erste öffentliche Auftreten des Neuen Forums in Leipzig schließlich am 08.10.1989 in dieser Kirche stattfinden konnte, 1.500 Menschen kamen. Weidel erklärt, dass jene, die sich damals ehrenamtlich im Kirchenvorstand engagierten, als Berufstätige viel stärker unter dem Druck des Staates standen als etwa ein Pfarrer. Einig ist sich die Runde, dass weder die Kirchenleute noch die SED-Mitglieder über einen Kamm zu scheren waren.

Eigentlich wollten wir die „Ausreiser“ bei den Friedensgebeten nicht dabei haben, sagt Klenk. „Wir haben sie geduldet, damit die Staatsmacht uns nicht gegeneinander ausspielt.“ Mit anderen „Hierbleibern“ gelang es ihm 1987, in Torgau beim offiziellen Olof-Palme-Gedenkmarsch mit eigenen Plakaten aufzutreten: „Gitarren statt Knarren!“ oder „Friedensdienst statt Wehrkundeunterricht!“. Das war möglich, weil Erich Honecker zeitgleich zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik war und die Staatsführung Negativschlagzeilen in westlichen Medien vermeiden wollte.

Was ist heute von der friedlichen Revolution vor 30 Jahren geblieben? Gotthard Weidel nennt die Erfahrung, dass der Einzelne, gemeinsam mit anderen, tatsächlich etwas bewegen kann. Niemand sollte sich heute einreden lassen, die Politik von Vater Staat sei alternativlos. Stichwort Militärausgaben, Autobahnbau oder Billigflüge: „Lasst Euch nichts vormachen!“