Das hässliche Entlein
Die Hoffnung ist weiter lebendig und auch an guten Ideen für ein schöneres Leben in Gohlis-Nord mangelt es nicht. Das ist deutlich geworden, nachdem das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung (AWS) zum ersten Rundgang um den Jörgen-Schmidtchen-Weg Anfang September 2024 eingeladen hatte. Rund anderthalb Dutzend Bürgerinnen und Bürger folgten beim Rundgang den Erläuterungen der Projektagentur Civixx, die mit einer Bestandsaufnahme zur Situation und der Probleme vor Ort beauftragt wurde. Etwa ebenso viele beteiligten sich am darauffolgenden Workshop in der Schule Diderotstraße Anfang November und noch mehr an einem öffentlichen Stadtteilforum Ende des Monats. Dort wurden erste Ergebnisse der Civixx-Untersuchung vorgestellt und Vorschläge bzw. Wünsche zur Verbesserung der Lage gesammelt.
Denn Gohlis-Nord ist mittlerweile ein sogenanntes Aufmerksamkeitsgebiet für die städtische Entwicklungsplanung. Einst als Wohnsiedlung für Angehörige der NVA errichtet und deshalb als „Stahlhelm-Siedlung“ bekannt, ist die Gegend heute ein Gegenstück zu den anderen Kiezen des Stadtteils. Alterung und Schwund der früheren Einwohnerschaft prägten die letzten Jahrzehnte. Die Wohnblöcke mit den niedrigeren Mieten neu füllten Studierende, einkommensärmere Bürgerinnen und Bürger sowie Familien mit Migrationsgeschichte. Einen Jugendclub vor Ort gibt es nicht, Spielplätze sind Mangelware, das nächste Seniorenbüro ist über eine halbe Stunde zu Fuß entfernt. Der Konsum-Supermarkt in der Beyerleinstraße, so berichtete Ralf Elsässer von der Agentur Civixx, bildet seit langem den zentralen sozialen Treffpunkt in der Nachbarschaft. Und dessen Mitarbeitende übernehmen für die Menschen im Viertel nicht selten zugleich auch die Rolle, die anderswo Sozialarbeiterinnen und -arbeiter haben. Ein Rattenproblem rundet die schwierige Lage ab.
Besonders drastisch zeigt sich der Kontrast zum übrigen Gohlis an der Hans-Kroch-Grundschule. Das Gebäude ist zu wesentlichen Teilen auf dem Niveau der 1980er bzw. 90er Jahre, die Fassade im DDR-Originalzustand. Der Haupteingang ist seit über fünf Jahren gesperrt, die Schule nur über Nebeneingänge zu betreten. Sonnenschutzfolien, die zu einer erträglichen Raumtemperatur im Hochsommer provisorisch angebracht wurden, haben keine Effekte gezeigt. Das Schulgelände hat in der Vergangenheit eher ausnahmsweise besondere städtische Zuwendung erfahren, etwa für Klettergerüste oder die Aufstellung von Basketballkörben. Die Probleme mit dem derzeitigen Zustand des Objekts fangen aber schon ganz unten an, verdeutlichte Rektorin Claudia Beckert beim Rundgang im September. Der Boden des Schulhofs besteht neben den alten Betonplatten aus verfestigtem Erdreich ohne einen Rest Grasnarbe oder lockerer Krume, weshalb sich dort bei Regen aus dem dunklen Sand Schlamm bildet. Bei stärkeren Niederschlägen kann das Regenwasser nicht richtig abfließen und es sammelt sich in großen Schlammpfützen. Die Turnhalle war wiederholt für Monate gesperrt, da sich dort durch Feuchtigkeit der Fußboden abgehoben hatte. Und der benachbarte Sportplatz kann nicht genutzt werden, weil er u. a. aufgrund seines Zustandes nicht den Maßgaben der Unfallversicherung entspricht.
Bildung, so tönt es regelmäßig aus politischen Zirkeln, sei der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben. Doch bei dem Bemühen, Heranwachsenden in Gohlis-Nord gute Erinnerungen an ihre Grundschulzeit zu verschaffen, wird Rektorin Beckert und dem Lehrkräfteteam hier das Gegenteil eines angemessenen Rahmens bereitet. Der Kontrast zur beispielsweise lediglich rund anderthalb Kilometer entfernten Karl-Liebknecht-Grundschule am Viertelsweg könnte kaum stärker sein.
Rettung ist in Sicht – aber eher wie eine Möwe am Horizont eines Schiffbrüchigen, der auf dem offenen Meer treibt. „Die Sanierung der Hans-Kroch-Schule ist mit der höchsten Priorisierung eingestuft und die Schule wird deshalb als erstes ausgelagert“, teilte zwar auf Anfrage des Bürgervereins der zuständige Sachgebietsleiter für den Schulbau der Stadt mit. Doch wann genau, darüber ist man sich bei der Stadt anscheinend noch nicht ganz klar. „Da wir um die Dringlichkeit der Komplexsanierung wissen, werden bereits im Herbst dieses Jahres die Vorbereitungen zur Aufstellung des Planungsbeschlusses zur Sanierung begonnen. Die Planung zur Komplexsanierung der Hans-Kroch-Schule soll dann in 2025 beginnen. Der Baubeginn ist für das Jahr 2028 und die Fertigstellung im Jahr 2031 geplant“, hieß es hierzu noch im September. Das Mitte November online geschaltete „Dashboard zu Baumaßnahmen bei Schulen und Kitas“ der Stadt spricht hingegen von einem Planungsbeginn ab 2026 und einer Fertigstellung 2032. Auf weitere konkrete Nachfragen reagierte die Behörde bis Redaktionsschluss Anfang Dezember nicht, auch telefonisch waren die zuständigen Mitarbeitenden nicht erreichbar.
Und mit Blick auf den restlichen Kiez haben die Erwartungen an den neuen Status als Aufmerksamkeitsgebiet ebenfalls die ersten Dämpfer erhalten. Zum Workshop und Stadtteilforum im November hieß es seitens des AWS: „Ziel ist es, aus den Gesprächen konkrete Lösungsvorschläge für Gohlis-Nord zu erarbeiten. Ende des Jahres soll diese Analyse gemeinsam mit Handlungsempfehlungen zum künftigen Einsatz eines Quartiersmanagements an die Stadtverwaltung übergeben werden.“ Doch ein echtes Quartiersmanagement wie etwa in Grünau oder Paunsdorf wird es für Gohlis-Nord aller Voraussicht nach nicht geben, sagte hierzu auf Nachfrage die zuständige AWS-Mitarbeiterin. Weitere Details sind auch hier noch nicht klar. Möglich sei die Beauftragung von ein bis zwei Personen, die sich um Verbesserungen im Viertel kümmern könnten, dies aber nicht ausschließlich in Gohlis-Nord, sondern als Teilaufgabe in einem verbundenen Projekt für Gohlis-Nord und das benachbarte Möckern. Das sei angesichts der angespannten Haushaltslage „unser Ansatz, Sie nicht allein zu lassen.“
An der Frage, ob und wie aus dem Entlein rund um den Jörgen-Schmidtchen-Weg mal ein Schwan werden kann, der sich vor den anderen Vierteln in Gohlis nicht zu verstecken braucht, steht also weiterhin mehr als ein Fragezeichen. Die Hoffnungen an der Kroch-Grundschule bleiben zum Realismus gezwungen. Gefragt, was sie sich für die Schule wünscht, meinte Rektorin Beckert: Ein Namensschild wäre schön. Und eine Kletterwand für die Schülerinnen und Schüler.
Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Update vom 14. Januar 2025: Das Büro CivixX – Werkstatt für Zivilgesellschaft wurde mit dem Jahresbeginn für das erste Halbjahr 2025 vom Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung mit der Vorbereitung eines Stadtteilmanagements in den Aufmerksamkeitsgebieten Möckern und Gohlis-Nord beauftragt. Die Ergebnisse der vorangegangenen konzeptionellen Analyse wurde Ende 2024 an das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung übergeben und werden derzeit gesichtet. Im Sinne eines lückenlosen Anschlusses an die bisherigen Erkenntnisse und den daraus folgenden Handlungsempfehlungen werden in den kommenden Monaten die Aufgabenschwerpunkte des Stadtteilmanagements (Quartiersmanagement light) in Gohlis-Nord für die zukünftige Entwicklung weiter präzisiert.
1 Kommentar
Hallo, danke für den Beitrag.
Leider ist es wohl so, dass die guten Ansätze, Diskussionen und Vorschläge daran scheitern könnten, dass die Eigentümer der Wohnbebauungen und Gewerbeimmobilien (Keine Kenntnis,wer Eigentümer der Konsumfläche ist… aber einen Plan haben) zu keiner Zeit eingebunden waren. So wurde es zumindest im Workshop von den Vertretern der Stadt Leipzig kommuniziert.
Schade.