von Matthias Judt

Am 1. Januar 1954 wurde die SAG „Bleichert“ (1) wieder in deutschen Besitz übernommen und firmierte für kurze Zeit als VEB Bleichert Transportanlagenfabrik Leipzig. Auf Geheiß des DDR-Ministeriums für Maschinenbau wurde im Februar 1955 entgegen dem Wunsch der Betriebsleitung der Name „Bleichert“ aus der Firmenbezeichnung in zwei Schritten getilgt. Zunächst hieß das Unternehmen „VEB Schwermaschinenbau Verlade- und Transportanlagen Leipzig, vormals Bleichert“. Dann wurde 1959 der an die Vorgängerunternehmen erinnernde Namenszusatz komplett gestrichen. (2) (3) Nicht nur das: Im Januar 2018 wurde im MDR-Fernsehen die Geschichte der Bleichert-Werke rekapituliert und dabei berichtet, dass die Produktion von Drahtseilbahnen – also dem Produkt, das einst den Ruhm der Bleichert-Werke ausgemacht hatte – nicht mehr fortgesetzt wurde. (4)

Die bereits in der Zeit als SAG hergestellten Autodrehkräne ADK-3 wurden weiter für den sowjetischen und heimischen Markt produziert, ab 1954 auch in einer Ausführung für den zivilen DDR-LKW „H3“ und den militärischen LKW „G5“, der bei der Kasernierten Volkspolizei (KVP) bzw. der nationalen Volksarmee (NVA) der DDR zum Einsatz kommen sollte. Zwischen 1953 und 1960 wurden zudem mit dem gleichen Oberbau insgesamt 507 Raupenkräne „Mitschurin“ gefertigt. 1954 begann darüber hinaus die Fertigung des ADK-5, der Lasten bis zu fünf Tonnen Gewicht heben konnte. (5)

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre obsiegte in der Führung des Unternehmens die Parteilichkeit gegenüber der Fachlichkeit. 1957/58 wurde der ingenieur-technisch versierte, nach planwirtschaftlichen Maßstäben aber nur wenig erfolgreiche Hauptdirektor von VTA Leipzig auf zähes Betreiben der SED-Betriebsparteiorganisation abgesetzt. (6)

In den 1960er Jahre pendelte sich die Beschäftigtenzahl wieder auf etwa 4.000 ein. Hauptprodukte waren später Bandanlagen für den Braunkohlentagebau, Kabelkrananlagen (darunter Containerkrane für Hochseehäfen), Pratzen- und Schwimmkrane, Kugelschaufler, Elektrokarren und Gabelstapler. (7) Dabei wurde das letztgenannte Produkt – Gabelstapler – im Bruch von Beschlüssen des „Rates fürgegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW, auch als Ostblock bekannt) hergestellt. Eigentlich war zwischen den Mitgliedstaaten des RGW vereinbart worden, die Produktion von Gabelstaplern in Bulgarien zu konzentrieren, doch diese zeichneten sich teilweise durch schlechte Qualität aus. Ein ehemaliger Betriebsdirektor (Detlef Jank) berichtete 2014, die bei VTA produzierten Gabelstapler seien „goldene Ware“ gewesen, die ihm „aus den Händen gerissen“ wurde. (8)

1973 erhielt der VEB VTA den „Ehrentitel“ Paul Fröhlich verliehen. Mit der Verleihung dieses Namens agierte die SED wenig sensibel. Beim Aufstand vom 17. Juni 1953 war die damalige SAG „Bleichert“ ein Schwerpunkt der Arbeiter-Streiks. Eine Reihe von Betriebsangehörigen waren danach Repressionen ausgesetzt, an denen Fröhlich maßgeblich beteiligt. Einige Mitarbeiter wurden zu Haftstrafen verurteilt. (9)

Exkurs: Paul Fröhlich (1913 – 1970)

1950 bis 1952: 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt
Dezember 1952: Ernennung zum 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig – in dieser Eigenschaft gibt er am 17. Juni 1953 der Leipziger Volkspolizei den Befehl, auf die streikenden Arbeiter zu schießen
1954: Kandidat des SED-Zentralkomitees (also nichtstimmberechtigt)
1958: Mitglied des SED-Zentralkomitees (also stimmberechtigt)
1963: Kandidat des SED-Politbüros
1968: Mitglied des SED-Politbüros
1970: Tod infolge von Herz-Kreislaufversagens in Ost-Berlin
Paul Fröhlich galt zeit seines Lebens als getreuer Gefolgsmann des damaligen SED-Chefs Walter Ulbricht. 1968 setzte Fröhlich auf Geheiß von Walter Ulbricht die Sprengung der Universitätskirche am Karl-Marx-Platz (Augustusplatz) durch, denn es sollte keine Kirche mit dieser Adresse in Leipzig geben. (10)

Seit Bildung von Industriekombinaten in der DDR gehörte VTA zum VEB Schwermaschinenbaukombinat TAKRAF Leipzig und wurde 1985 sein Stammbetrieb, also eine Art Leitbetrieb. (11)

Nach der politischen Wende 1989 verringerte sich ihre Zahl auf 3.160 (April 1990). Im Zuge der Umgründung der früheren volkseigenen Betriebe zu Kapitalgesellschaften wurde zum einen das Kombinat TAKRAF aufgelöst und zum anderen die Verlade- und Transportanlagen Leipzig GmbH gegründet. Sie befand sich im alleinigen Besitz der aus dem ehemaligen Kombinat heraus neu gebildeten TAKRAF AG. Sie entschied sich in der Folgezeit dazu, ihre Standorte in Gohlis zu schließen. Was folgte war die Einstellung der gesamten Produktion und die Entlassung der Belegschaft. Am 1. April 1993 ging die VTA Leipzig GmbH in die Liquidation. Ihre Immobilien wurden von der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (TLG) verwertet und gingen 2001 an eine Unternehmen, das drei Jahre später selbst insolvent wurde. (12)

2008 kaufte schließlich eine eigens gegründete Tochtergesellschaft der CG-Gruppe AG das Gelände. Seit 2015 baut sie das ehemalige Fabrikgelände zu einem Wohnviertel um. (13)

(1) vgl. SAG „Bleichert“, hier in Gohlis in Geschichte und Gegenwart (Link setzen)
(2) vgl. André Winternitz, „Drahtseilbahnfabrik Adolf Bleichert“ (im Folgenden „Winternitz 2012“), in: http://www.rottenplaces.de/main/drahtseilbahnwerk-adolf-bleichert-3370/; Manfred Hötzel, „Die Firma
Adolf Bleichert & Co. Leipzig-Gohlis und die Nachfolgebetriebe SAG Bleichert und VEB Verlade- und
Transportanlagen Leipzig (VTA)/Verlade- und Transportanlagen GmbH“ (im Folgenden „Hötzel“) (3), in Bürgerverein Gohlis (Hg.) 700 Jahre Gohlis. 1317 – 2017. Ein Gohliser Geschichtsbuch, Markleeberg 2017 (im Folgenden „Bürgerverein 2017“), S. 159-164; (anders bebiidert, aber fast identisch im Text:) ders., Adolf Bleichert & Co. Leipzig-Gohlis. Kleine Beiträge zu einer großen Geschichte (=Gohlis Forum, Sonderausgabe, Dezember 2010), Leipzig 2010.
(4) „Der Osten“ und „Echt“, im MDR-Fernsehen gesendet am 23. Januar 2018.
(5) zusammengetragen nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Autodrehkran_Bleichert.
(6) vgl. Friederike Sattler: Rezension von: Oliver Werner: Ein Betrieb in zwei Diktaturen. Von der
Bleichert Transportanlagen GmbH zum VEB VTA Leipzig 1932 bis 1963, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 7/8 [15.07.2005], URL: http://www.sehepunkte.de /2005/07/7644.html
(7) vgl. Hötzel 2017, S. 163.
(8) wiedergegeben und zitiert nach: Rohnstock-Biografien (Hg.), Die Kombinatsdirektoren. Jetzt reden wir weiter. Neue Beiträge zur DDR-Wirtschaft und was daraus zu lernen ist, Berlin 2017, S. 109f.
(9) Siehe gesonderten Artikel von Matthias Judt, „Der 17. Juni 1953 bei der SAG Bleichert und seine Folgen“ (Link erstellen oder im Text Link setzen); gekürzte Fassung davon in Bürgerverein 2017, S. 55-58.
(10) vgl. Christian Rau, „Fröhlich, Paul Albert“, in: Sächsische Biografie, herausgegeben vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., wissenschaftliche Leitung: Martina Schattkowsky, Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi, aufgerufen am 07. Mai 2017.
(11) „TAKRAF“ stellt eine Abkürzung für Tagebau-Ausrüstungen, Krane und Förderanlagen dar. 11 vgl. Hötzel 2017, S. 163.
(12) Hötzel 2017, S. 164. 
(13) vgl. Hötzel 2017, S. 164; https://www.cg-gruppe.de/immobilien/projekte/in-ausfuehrung/bleichertwerke/399.