Von Ursula Hein

Am 21. Juni wurde in der Kleiststraße 111 ein Stolperstein zu Ehren des jüdischen Kaufmanns Adolf Nathan Bickart auf Initiative von Monika Hirsch und Hermann Schein verlegt. Etwas 30 Gohliser, die meisten aus der Kleiststraße, versammelten sich kurz vor 11.45 Uhr, um an der Verlegung des Stolpersteins teilzunehmen. Von kleinen Kindern bis zu alten Menschen, die noch als Kinder die NS-Zeit miterlebt haben, waren alle Altersgruppen vertreten. Nachdem Kölner Künstler Gunter Demnig an diesem Tag schon zahlreiche Steine verlegt hatte, kam er in die Kleiststraße, um auch hier die Plakette mit Namen und Informationen zu Adolf Nathan Bickart in das Pflaster vor dem Haus der Familie Schlothauer einzusetzen.

Bickart war Mitinhaber einer großen Leipziger Lederwarenhandlung. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten sein Haus, um es zu einem sogenannten „Judenhaus“ zu machen, in dem zahlreiche jüdische Bürger in qualvoller Enge bis zu ihrem Abtransport in die Vernichtungslager untergebracht wurden. Leipzig hatte 47 solche Judenhäuser. Nach dem Abtransport dieser Menschen wurde es geplündert, einige Anwohnern ließen selbst Gartengeräte mitgehen; danach wurde es städtisches Eigentum und vom Stadtkämmerer Dr. Kurt Lisso und seiner Familie bewohnt.

Lisso, eine führende Figur der Leipziger Nationalsozialisten, war nach der Machtübernahme durch die Nazis zunächst Personalchef der Stadtverwaltung geworden. In dieser Funktion war er verantwortlich für die Säuberung der Verwaltung von den Nazis missliebigen Personen aus anderen politischen Lagern. Mehr noch: Lisso sorgte dafür, dass jüdische Mitarbeiter entlassen wurden und war schließlich an der Organisation der Judenverfolgung in Leipzig maßgeblich beteiligt. Schließlich gelangte er in das wichtige Amt des Stadtkämmerers.

Das Bild des toten Kurt Lisso, der sich kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Leipzig gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter im Zimmer des Oberbürgermeisters das Leben genommen hatte, gehört zur Ikonographie des Zweiten Weltkrieges. Das Foto erschien schon im Mai 1945 im amerikanischen Wochenmagazin „Life“, dort untertitelt mit der irrigen Bildunterschrift, es handle sich bei den abgebildeten Toten um den Leipziger Oberbürgermeister und dessen Familie. Die hatte sich indes in einem anderen Raum des Neuen Rathauses umgebracht.

Michael Schlothauer, der Besitzer des Hauses 111, hatte sich an seinem Geburtstag, dem 21. Juni, mit seiner Frau vor seinem Haus eingefunden und im Garten einen Tisch mit Getränken aufgebaut, um einmal auf andere Weise des ehemaligen Besitzers Bickart zu gedenken. Dieses Haus hatten er und seine Frau noch in DDR-Zeiten von der Stasi gekauft, die diese Immobilie seit 1949 besaß. Nach der Wende wurde dieser Kauf von der Treuhand als unrechtmäßig eingeordnet. Familie Schlothauer setzte sich mit den Erben der ursprünglichen Besitzer in den USA in Verbindung und kaufte das Haus zum zweiten Mal.