von Matthias Judt

„Im Herbst 1945 begann auch wieder der Schulunterricht“, berichtete 2015 der in Gohlis geborene Ingenieur Gerhard Eckart in einem von der Leipziger Volkszeitung herausgegebenen Buch. „Ich ging damals in die 38. Grundschule an der Breitenfelder Straße. Wir bekamen auch Schulspeisung., eine fürchterliche Kohlrübensuppe, die eigentlich mehr dazu angetan war, sich das Essen ganz abzugewöhnen. Aber wir hatten ja Hunger. […] Manchmal gab es Milchnudeln. Das war wie ein Festtag. Im Winter gingen wir, da es ja keine Kohlen gab, zumeist nur in die Schule, um Hausaufgaben zu notieren und unser großes Brötchen, welches es inzwischen als Schulspeisung gab, abzuholen. Aber es gab auch Schüler, die das nicht unbedingt brauchten, deren Eltern eine Bäckerei oder ein anderes Geschäft hatten. So waren die Brötchen ein beliebtes Tauschobjekt: Taschenmesser gegen zwei Brötchen oder Brötchen gegen Hindenburg-Briefmarken. Wenn ein Schüler krank war, musste ihm das Brötchen von einem Freund oder vertrauenswürdigen Schüler nach Hause gebracht werden. Hunger hatten wir immer, und wenn wir nachmittags aufden Trümmergrundstücken spielten, hatten wir immer eine Handvoll getrocknete Rübenschnitzel in der Hosentasche.“ (1)

Eckart, der heute einen Gemeindekreis an der Versöhnungskirche im Viertelsweg betreut, berichtete weiter: „An der Ecke von Lindenthaler und Hallescher Straße, heute Georg-Schumann-Straße, war damals ein Laden der Brotfabrik. War das Geschäft voller Kunden, so nutzten wir den Andrang und klauten Brötchen aus dem Schaufenster. Auf der Eisenacher Straße war immer ein reger Betrieb von Brauereifahrzeugen. Wenn wir sie die Straße entlangholpern hörten, standen wir schon in den Startlöchern und warteten darauf, dass die Tiere ihre Pferdeäpfel fallen ließen – für die Tomatenpflanzen in den Blumenkisten vor den Fenstern.“ (2)

(1) vgl. Gerhard Eckart, „Rübenschnitzel in der Hosentasche“, in Leipziger Volkszeitung (Hg.), „So war das damals …“ Leser erzählen aus ihrer Jugendzeit, Leipzig 2015, S. 60 – 63, hier S. 62.
(2) ebd., S. 63. Rechtschreibung nach Original.