von Matthias Judt

1904 entstand in Gohlis ein in seiner Zeit völlig neuartiges Unternehmen. Gegründet wurde es von den vier Brüdern Artur, Otto, Rudolf und Richard Schneider, die sich auf den ersten Blick in einem hart umkämpften Marktsegment bewegen wollten, der Herstellung von Zinnfiguren. Doch anders als die vielen Konkurrenten entschlossen sich die Gebrüder Schneider, nicht die Figuren selbst zu erzeugen und zu vertreiben, sondern Gießformen zu produzieren, mit denen ihre Kunden ihre eigenen Zinnfiguren selbst herstellen konnten. Diese sehr frühe Form der „Do-it-yourself“-Bewegung, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren wirklichen Aufschwung nehmen sollte, entstand mitten in Gohlis. (1)

Die Brüder brachten die richtigen Berufe mit: Drei hatten technische Ausbildungen (davon zwei als Graveure), einer war Kaufmann. Ihre Idee basierte auf vier Grundsätzen. Wenn ihre Kunden die Zinnfiguren selbst herstellen sollten, musste sichergestellt sein, dass die Figuren leicht herstellbar waren, das Material also „gut laufen“ sollte. Auch deshalb wählten sie einen neuen Werkstoff, nämlich eine Aluminium-Legierung. Sie vertrieben ihre Produkte zudem direkt, verzichteten also auf herkömmliche Vertriebsformen. Schließlich unterbreiteten sie ihren Kunden ein Komplettangebot: Nicht nur die Formen wurden verkauft, sondern auch die Werkstoffe von der Legierung bis hin zu den Malfarben für die farbliche Gestaltung der Figuren. (2)

Im Jahre 1913 bezog die Firma neue Räumlichkeiten in der damaligen Äußeren Hallischen Straße 119 – 121 (der späteren Hallischen bzw. heutigen GeorgSchumann-Straße). Im Jahr darauf war die Firma an diesem Standort erstmals im Adressbuch der Stadt Leipzig vermerkt. (3) Im gleichen Jahr entstand in Wien eine Filiale, deren Leitung Richard Schneider übernahm. (4)

Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wuchs das Unternehmen stark an. 1914 hatte es bereits 60 Mitarbeiter, doch der Krieg bedeutete dann einen starken Einschnitt. Die Fertigung wurde stark eingeschränkt, was sich auch an der Beschäftigtenzahl bemerkbar machte. Nun waren nur noch 20 Personen, meist Frauen, beschäftigt. Zudem wurde nach Kriegsende die Herstellung von Formen für Soldatenfiguren für kurze Zeit verboten. (4)

Nach Kriegsende belebte sich jedoch das Geschäft wieder. Gerade der Export in die USA nahm deutlich zu, wenn dort auch vermieden wurde, die wahre Herkunft der Produkte zu nennen. Das Unternehmen wurde nicht von ungefähr in der ersten Hälfte der 1920er Jahre zum Marktführer in Deutschland. (6)

1928 wollten sich zwei der Brüder, Otto und Artur Schneider, zusammen mit einem Kompagnon, ein zweites Standbein schaffen, die Fabrikation und den Vertrieb „von hochwertigen Resonanz-Sprechmaschinen, Schallplatten, Nadeln, sämtl. Zubehörteilen“. Sie sollten auch exportiert werden. (7) Offenkundig nutzen sie ihre Geschäftskontakte beim Export von Gießformen nach Amerika, um von dort einen Technologieimport nach Deutschland zu organisieren.

Die Firma sollte jedoch nur ein gutes Jahr, vom 1. August 1928 bis zum 29. August 1929, existieren. Sie endete im Vergleich und erlosch 1931 endgültig. Das hatte auch Auswirkungen auf die eigentliche Firma, die sich für einige Zeit in ein Hinterhaus an gleicher Adresse zurückziehen musste. Erst 1938 konnten die ursprünglichen Räumlichkeiten in der Hallischen Straße 119 – 121 wieder bezogen werden. (8)

Die Firma orientierte sich immer am jeweiligen Zeitgeist, offenkundig auch aus opportunistischen Gründen. In der Kaiserzeit waren es kaiserliche Soldaten, die vornehmlich produziert wurden. Für die USA wurden wiederum Trapper und Indianer, aber auch US-Soldaten zum Modell für die Formen. In Zeiten des Verbots der Herstellung von Soldatenfiguren in Deutschland wurden Heiligenfiguren zum Muster. Ab 1933 kamen wiederum SA- und Jungvolk-Figuren hinzu, was bewirkte, dass die Firma in der Zeit des Nationalsozialismus nie geschlossen wurde. (9)

Nach 1945 wurden keine Schneider-Originalformen weiter produziert. Das Unternehmen sollte zwar in der DDR weiter als Privatbetrieb bestehen bleiben, doch nunmehr sich im Alleinbesitz einer familienfremden Person befinden. Nach der Flucht des letzten Geschäftsführers der Firma in die Bundesrepublik 1960 wurde das Unternehmen zunächst treuhänderisch verwaltet und schließlich dem „VEB Metallwaren“ angegliedert. Bis zum politischen Umbruch in der DDR wurden am Standort des Unternehmens in der heutigen Georg-Schumann-Straße 121 Leichtmetallteile hergestellt. Danach ging die Herstellung von Metallwaren an der Georg-Schumann-Straße 121 endgültig zu Ende. (10)

(1) vgl. Klaus Schneider, „Zur Geschichte der Gießformenfabrik Gebrüder Schneider“, abzurufen unter http://www.zinnfigurenklio.de/startframes.html?PHPSESSID_netsh10543=b4092290380a0dcdd0e02a1f30bbb808, dort unter Downloads/Schneider Gesamtkatalog und Historie (im Folgenden „Schneider Gießformenfabrik“). Schneider gibt 1903 als Gründungsjahr der Firma (an der sein Großvater Richard beteiligt war) an. Auf Geschäftsbögen der Firma findet sich indes der Verweis „Gegründet 1904“ (vgl. Geschäftsbogen von 1928/29, in http://www.zinnfigurenbleifiguren.com/Firmengeschichten/Schneider_Gebrueder/Schneider_Gebrueder_Leipzig.html (im Folgenden „Zinnfiguren-Bleifiguren“).
(2) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(3) vgl. Zinnfiguren-Bleifiguren.
(4) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(5) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(6) vgl. Schneider Gießformenfabrik, dort unter Verwendung von Angaben in Richard O’Brian, Toy
Soldiers, o.O. 1997.
(7) vgl. Geschäftsbogen von 1928/29, in Zinnfiguren-Bleifiguren.
(8) vgl. Schneider Gießformenfabrik.
(9) vgl. Schneider Gießformenfabrik, dort nach Uwe Kappel, Figuren-Magazin, Heft 2/2003, S. 24 – 26.
(1)0 vgl. Schneider Gießformenfabrik.